Brexit à la francaise, Baerbock und die Ukraine – und der doppelte Orban

Die Watchlist EUropa vom 02. Juli 2024 – Heute mit einer europapolitischen Schadenbilanz, einem völlig neu definierten nationalen Interesse und einer verwirrenden Gulasch-Taktik.

Nach dem ersten Durchgang der Parlamentswahl in Frankreich hat es den EU-Politikern in Brüssel die Sprache verschlagen. Ein Sieg der Nationalisten könnte weitreichende Folgen für ganz EUropa haben. Also schweigen sie – und ziehen die Köpfe ein.

Ein Leitartikler in “Le Monde” zieht schon Parallelen zum Brexit – also dem britischen EU-Austritt von 2016. Präsident Macron habe sich ebenso verzockt wie der damalige britische Premier Cameron, schreibt die französische Zeitung. Auch damals wurde die EU kalt erwischt.

Droht also ein “Brexit à la francaise”? Noch ist es nicht so weit, noch gilt es, den zweiten Wahlgang und die Sitzverteilung in der neuen französischen Nationalversammlung abzuwarten. Noch ist Le Pen nicht an der Macht.

Und noch hat sie ihr Programm, zu dem eine Senkung des französischen EU-Beitrags und ein Ausstieg aus der europäischen Energieunion zählen, nicht in die Tat umgesetzt. Einen EU-Austritt predigt sie übrigens auch nicht mehr.

Franzosen wurden übergangen

___STEADY_PAYWALL___

Allerdings sollte man sich nicht wundern, dass viele Franzosen von der Europapolitik schwer enttäuscht sind und einen Schlußstrich ziehen wollen. Denn sie sind schon allzu oft übergangen und betrogen worden.

Das fing schon mit dem Maastricht-Vertrag an, der in einem Referendum in Frankreich 1992 nur mit einer hauchdünnen Mehrheit durchgekommen war. Viele Franzosen lehnen den neoliberalen Vertrag bis heute ab.

Wenig Jahre später fiel der EU-Verfassungsvertrag in einem weiteren Referendum durch. Doch Frankreich ließ sich von Deutschland überrumpeln; der Text wurde ohne große Änderungen in den Lissabon-Vertrag überführt.

Mit dem Amtsantritt von Macron kam die dritte kalte Dusche: Ex-Kanzlerin Merkel lehnte die weit reichenden Reformvorschläge aus Paris ab. Die historische Chance, die der Brexit bot, wurde nicht genutzt, der Frust stieg weiter.

Auch die Linke fordert einen “Bruch”

Macron machte jedoch weiter, als wenn nichts gewesen wäre, und spielte sich kurz vor der Europawahl gar zum selbst ernannten Führer der EU auf. “EUropa kann sterben“, warnte er – und wurde von den Franzosen abgestraft.

Statt endlich einzulenken und seinen Kurs zu ändern, setzte Macron die nun laufenden Parlamentswahlen an. Das Ergebnis: EUropa kann tatsächlich sterben – daran, dass die Franzosen nicht gehört und “mitgenommen” wurden…

Denn die Macronisten haben den ersten Wahlgang verloren. Und die Linke, die auf Platz zwei kam, fordert ebenfalls einen “Bruch”. Was wir jetzt sehen, ist nur der Schlusspunkt einer lange währenden und tief sitzenden Entfremdung.

Siehe auch “Neuwahl in Frankreich: Macron wird zur Gefahr”

News & Updates

  • Baerbock, die Ukraine und das nationale Interesse. Außenministerin Baerbock hat zu einer noch stärkeren Unterstützung der Ukraine aufgerufen. Die Hilfe “sei ein Investment in unsere eigene nationale Sicherheit”, sagte sie in Berlin und fügte hinzu: “Ein größeres nationales Interesse kann es doch eigentlich gar nicht geben.”Baerbock versucht offenbar, die nationalen Interessen der Deutschen unter jene der Ukraine zu subsumieren. Diese sind aber essentiell verschieden – vor allem, wenn es um den künftigen Bundeshaushalt geht, also ums Geld…
  • Kaufkraft-Verlust geht weiter. Die Reallöhne in der EU sind im vergangenen Jahr im Schnitt um 0,6 Prozent zurückgegangen. 2022 waren sie sogar um 4,2 Prozent eingebrochen. Für Deutschland gehen die Forscher von einem Reallohnverlust von 0,3 Prozent für das vergangene Jahr aus. 2022 waren es 4,4 Prozent. – Warum das den Rechten nutzt, steht hier (Blog)
  • EUMilliarden für Ägypten. Die EU und Ägypten haben ein gemeinsames Investitionsabkommen in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro unterzeichnet. Das Europaparlament wurde übergangen. Es gebe auch keine Mechanismen, um Menschenrechts-Verstöße zu ahnden, kritisiert die EU-Bürgerbeauftragte. Das scheint in der “Werteunion” aber nicht weiter zu stören...

Das Letzte

Der doppelte Orban Ungarns Regierungschef Viktor Orban gibt’s neuerdings in zweifacher Ausführung. Am Sonntag präsentierte er sich in Wien als Führer einer neuen, patriotischen Sammlungsbewegung. Die Gruppierung “Patrioten für Europa” umfasst neben der ungarischen Regierungspartei Fidesz die rechte österreichische FPÖ und die liberal-populistische tschechische ANO. Einen Tag später übernahm Orban dann die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft. Plötzlich war er der uneigennützige Sachwalter der Interessen aller 27 EU-Staaten, der EUropa wieder “great” machen will (so der offizielle Slogan). Das passt nicht zusammen, in Berlin nimmt man ihm das auch nicht ab. Dort will man sogar das so genannte Artikel-7-Verfahren weiterführen, das zum Verlust der ungarischen Stimmrechte führen könnte…

Mehr Newsletter hier