Der Weg der EU in den Krieg: Das Ende der Diplomatie
Am 9. Dezember 2012 bekam die EU den Friedensnobelpreis. Knapp elf Jahre später unterstützt sie die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie konnte es dazu kommen? Was waren die wichtigsten Wendepunkte? Ein kritischer Rückblick in zehn Folgen. – Teil 1: Das Ende der Diplomatie.
Krachende Niederlage für Merkel und Macron: Beim EU-Gipfel konnten sie sich nicht mit ihrem Vorschlag durchsetzen, einen EU-Russland-Gipfel abzuhalten. Stattdessen drohen die EUropäer mit härteren Sanktionen. Dies schrieben wir am 25. Juni 2021, wenige Tage nach dem letzten Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Biden und Kremlchef Putin in Genf. Es war der Anfang vom Ende der europäischen Diplomatie mit Russland – acht Monate vor Kriegsbeginn.
Macron und Merkels Nachfolger Scholz sollten zwar noch im Januar 2022 versuchen, Putin vom Einmarsch abzuhalten. Aber das waren bilaterale Rettungsversuche. Die EU und ihre offiziellen Vertreter haben schon im Juni 2021 aufgegeben – und den USA das Feld überlassen.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU betonten damals nach einer stundenlangen Debatte, die EU müsse ihre Verteidigung gegen “bösartige, illegale und spaltende Aktivitäten durch Russland“ verstärken. Welche gemeint sind, sagten sie nicht.
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Die EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragte wurden in der Gipfelerklärung aufgefordert, zusätzliche Maßnahmen prüfen. Dazu zählen auch wirtschaftliche Sanktionen, die dann tatsächlich wenige Monate später vorbereitet wurden.
Ein Gipfeltreffen mit Russland sollte es hingegen nicht mehr geben. “Man konnte sich heute nicht darauf einigen, dass wir uns auf Leitungsebene, also auf Chefebene, treffen“, sagte Merkel, die damals noch am Ruder war.
Unser Fazit damals:
Damit steht fest: Die EUropäer vertrauen nur noch US-Präsident Biden, wenn es um Russland geht. Dessen Gipfel mit Putin wurde sogar in Osteuropa beklatscht…
Erstmals offenbarte sich damit die Doppelstrategie der Polen und Balten: Im Vorfeld des Krieges lehnten sie deutsch-französische Vermittlungsbemühungen ab. Damit blockierten sie auch den EU-Gipfel.
Gleichzeitig legten sie das Schicksal der Ukraine in die Hände der USA, die damals bereits auf Aufrüstung und Krieg setzten. Macron und Merkel hatten dem nicht viel entgegenzusetzen.
Nichts getan, um Minsk zu retten
Offiziell setzten sie zwar weiter auf die Abkommen von Minsk, die eine friedliche Lösung in der Ukraine herbeiführen sollten. Doch in der Praxis haben sie nichts mehr getan, um „Minsk“ zu retten.
Merkel und der französische Ex-Präsident Hollande haben dies mittlerweile sogar zugegeben. „Minsk“ sei nichts anderes als der Versuch gewesen, Zeit zu gewinnen, damit die Ukraine aufrüsten konnte.
Damit hat sie im Nachhinein auch noch die letzte europäische Initiative relativiert, die den Krieg abwenden sollte. Das Ende der Diplomatie wurde schon lange vor dem Beginn der Kampfhandlungen eingeleitet…
Teil 2 steht hier
Paul Zäch
21. Februar 2023 @ 16:12
Da nützt alles Schönreden nichts. Merkel und Hollande sind persönlich mit verantwortlich am Konflikt – oder besser gesagt am Krieg. Schlimm dabei ist, dass nun alle von EU-Staaten gegebenen Garantien bei allfällig vorgeschlagenen Lösungen nicht das Papier wert sind auf dem sie stehen.
KK
21. Februar 2023 @ 15:18
@ Horst:
„Ich werde den Eindruck nicht los, als hätte Merkel nur eine Ausrede gefunden,…“
Ich denke, der Eindruck täuscht; auch mit Poroschenko und Hollande sagen ja zwei andere an den Verhandlungen Beteiligte genau dasselbe aus. Und die Realität des konsequenten ukrainischen Nichtumsetzens bestätigt die drei ja nur.
@ Paula Rollmann:
„Eine Regierungschefin eines Rechtsstaats auf einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt: “Ich freue mich, dass es gelungen ist Osama bin Laden zu töten.”“
Ja, da hat sie sich endgültig als alttestamentarischer Racheengel geoutet – was ja genau ihre Motivation und die vieler Osteuropäer ist, die Russen als Rechtsnachfolger der Sowjets so abgrundtief zu hassen, dass es einen dritten Weltkrieg wert scheint, die endlich mal kleinzukriegen.
Hekla
21. Februar 2023 @ 13:32
Ich habe gerade einen Ausschnitt von der SIKO gesehen, in dem von der Leyen bekennt, dass die Kommission bereits im Dezember 2021 angefangen hat, mit den USA zusammen an „potentiellen“ Sanktionen zu arbeiten. Sie haben dafür „Tag und Nacht gearbeitet“..
Es ist doch unfassbar! Während Scholz, Macron, Orban und andere noch nach Moskau gepilgert sind und wenigstens versucht haben, auf der diplomatischen Ebene etwas zu erreichen, hat die Kommission nicht eine einzige diplomatische Initiative gestartet, stattdessen aber schon Sanktionen für den Fall eines Angriffs vorbereitet! Es ist für mich einfach nicht zu glauben, wohin sich die ehemalige „Zivilmacht EU“ entwickelt hat. Kein Dialog, keine Diplomatie, dafür Wirtschaftskrieg, Konfrontation, Eskalation. Da es schon genug konfrontative und eskalatorische Kräfte auf der Welt gibt, auf so eine EU kann gerne verzichten.
ebo
21. Februar 2023 @ 13:50
Angeblich dienten die Sanktionen damals noch zur Abschreckung. Die EU sollte Sanktionen verhängen, weil die Nato ja leider nichts tun könne, und so den Krieg verhindern.
Beides – die Abschreckung und die Untätigkeit der Nato – hat sich als falsch erwiesen, vermutlich war es nur ein Vorwand.
Richtig ist dagegen, dass man Macron und Scholz auflaufen lief – nicht nur in Moskau, sondern auch in Brüssel!
Annette Hauschild
23. Februar 2023 @ 12:24
Guten Tag Hekla, ich bin genau so verzweifelt wie Sie an dem Unwillen oder noch schlimmer, an der Unfähigkeit der „Zivilmacht EU“ zu diplomatischen Initiativen. Aber bitte bedenken Sie, dass es von 2014 an jahrelang den Versuch gab, die Krise diplomatisch zu lösen. Allerdings gewann man da recht schnell die Einsicht, dass die Ukraine gar nicht an der Einhaltung von Minsk II interessiert war, und die Russen sich das nicht lange ansehen und auf jeden Fall kriegerisch eingreifen würden.
Es gehört zur Diplomatie, dass man nicht immer alles laut sagt, was man denkt und weiß, und dennoch versucht das Beste aus einer total verfahrenen Situation zu machen. Deshalb hat mich Merkels und Hollandes Offenbarung auch nicht sonderlich überrascht.
Wenn Merkel oder Hollande das aber in den Jahren zuvor jemals offen gesagt hätten, wäre der ganze Minsk Prozess schon sehr früh beerdigt worden und möglicherweise hätte der Krieg früher angefangen. Und es gab mit Selenskis Präsidentschaftswahlkampf 2019 ja immer noch eine kleine Chance, dass Minsk II doch noch umgesetzt wird.
Was aber soll an der Vorababstimmung von potentiellen Strafmaßnahmen unfassbar sein? Es ist dumm, Sanktionen aus dem hohlen Bauch und ganz unvorbereitet zu verhängen. Natürlich muss man so was vorher planen, zumindest überlegen, was, wer, wann, wie und wie lange sanktioniert werden soll, Ich bin damit zwar nicht einverstanden, aber wenn man Strafmaßnahmen verhängen will, dann nur mit Vorbereitung. Glauben Sie mir, die Russen konnten sich natürlich ausrechnen, worum es bei dem Treffen von UvdL und Biden im Dezember 2021 ging und selbst schon Gegenmaßnahmen planen.
Was ich allerdings genau so unfassbar finde wie Sie ist, dass die EU sich ganz auf den Kriegskurs ausgerichtet hat und keinerlei Bereitschaft – oder was noch schlimmer ist – keinerlei Fähigkeit mehr zu einer Friedensdiplomatie zu besitzen scheint.
european
21. Februar 2023 @ 13:59
Politico hat dazu schon vor laengerer Zeit ein Dossier gebracht.
Von der Leyen hatte dazu weder ein Mandat noch gehoert das in ihren Aufgabenbereich und einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt sie auch nicht. Sie fuehrt die EU eigenmaechtig mit Hurra in eine richtig tiefe Rezession. Transatlantiker eben. Make America Great Again. Ich bin sehr sicher, dass es ueber deutsche bzw. europaeische Politiker Charakterstudien darueber gibt, wer bereit ist, fuer die Fetttoepfe der Macht alles zu verhoekern. VdL gehoert m.E. ebenso dazu wie Baerbock.
Und selbstverstaendlich ist Putin an allem Schuld. Wie praktisch ist das denn?
Es sieht aktuell so aus, dass Biden nicht wiedergewaehlt wird. Selbst die Demokraten wollen ihn nicht mehr, bei den demokratischen Waehlern sieht es noch schlimmer aus. Die Polls sprechen fuer Trump.
Ich bin keine Fox-News Zuschauerin, aber heute morgen habe ich mal in die aktuelle Tucker Carlson Sendung gesehen. Durchaus interessant, was da so zum Vorschein kommt bzw. wie die amerikanischen Waehler das Geschehen beobachten.
https://youtu.be/I-q-3z–8iw
Paula Rollmann
21. Februar 2023 @ 12:45
Eines der wenigen Dinge, die ich bei Frau Merkel gut fand, war, dass sie beim Nato-Gipfel in Bukarest 2008 mit Sarkozy zusammen verhindert hat, dass die Ukraine aufgenommen wurde.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/bushs-georgien-ukraine-fiasko-nato-notrettung-fuer-den-gipfelverlierer-a-545178.html
Heute sehe ich auch dies differenzierter.
Angela Merkel ist die Kanzlerin, die dem überführten Lügner und Kriegsverbrecher im Irak-Krieg für schöne Bilder in Amerika „Jubelperser“ auf den Marktplatz von Stralsund gestellt hat – man musste sich mit Lebenslauf dafür bewerben.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bush-in-stralsund-die-teuerste-grillparty-der-welt-a-426270.html
Dass sie sich auf dem G7-Gipfel in Heiligendamm wie eine Staatsfrau verhält, das werfe ich ihr nicht vor. Aber Niemand hat sie dazu gezwungen Herrn Bush privat die Wildsau zu grillen, noch ihn auf seiner Ranch zu besuchen.
Und die Zuckerl oben drauf:
https://www.youtube.com/watch?v=_EaEVIh9t5I
Eine Regierungschefin eines Rechtsstaats auf einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt: „Ich freue mich, dass es gelungen ist Osama bin Laden zu töten.“
european
21. Februar 2023 @ 14:02
Eines sollte man nicht vergessen:
Waere damals Merkel schon Bundeskanzlerin gewesen, haette Deutschland im Irak mitgeschlachtet. Wenn es moeglich gewesen waere, haette sie in einem der ersten Bomber gesessen. Als Oppositionsfuehrerin hat sie sich damals vehement fuer eine deutsche Kriegsbeteiligung ausgesprochen.
Horst
21. Februar 2023 @ 11:51
Mich überzeugt das so nicht: 1.) Entweder haben die Polen und Balten den Kurs der EU bestimmt – sozusagen als Trojanische Pferde der USA? 2.) Oder haben Merkel und Macron ein Doppeltes Spiel gespielt? Und wenn letzteres, dann ebenfalls als Trojanische Pferde oder mit einem eigenständigen Ziel?
Ich werde den Eindruck nicht los, als hätte Merkel nur eine Ausrede gefunden, um dem schlechten Ruf, den sich Steinmeier mit Minsk II eingefangen hat, nachdem sich alle auf Krieg umgestellt hatten, zu entgehen. Denn bevor sie ihre Ausrede verlautbarte, war auch sie in den Medien bereits öfters angegriffen worden – nach dem Schema, die deutsche Entspannungspolitik sei schuld am russischen Überfall.
Und Merkel sagte dann, sie habe nur so getan, als setze sie Entspannungspolitik fort; alles, was Minsk angeht, sei ja nicht so gemeint gewesen… (So billig kann Politik sein, und die sehr relative Größe Merkels bestand in ihrer Amtszeit oft darin, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.)
ebo
21. Februar 2023 @ 12:07
Es ist doch nicht so kompliziert. Bis Mitte 2021 gaben Deutschland und Frankreich in der Ukraine-Politik den Ton an – mit Minsk, das allerdings nur halbherzig verfolgt wurde, wenn überhaupt. Dann kam der EU-Gipfel, und Merkel und Macron holten sich eine blutige Nase. Danach waren die Osteuropäer am Zuge, gemeinsam mit den USA. Es war das Ende der europäischen Russland-Diplomatie. Fortan gab Biden die Richtung vor!
Annette Hauschild
23. Februar 2023 @ 12:26
Und so weit ich informiert bin, gab es zwar Gerhard Schröders Nein, aber doch ne Menge finanzielle Unterstützung.
pitiplatsch
21. Februar 2023 @ 09:27
Merkel wurde zunehmend USA-affin, gefiel sich im Kongress in der Rolle des armen Ost-Mädels, welches keine Original-Jeans besaß und erschien nicht zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland in Moskau. Gegen das Abhören ihres Handys reichte ihr die Poffala-Diplomatie, der für seine „treuen“ Dienste einen Sitz im Bahnvorstand bekam. Und wie erwähnt, kein Wort zu Assange u.a.
s.a. https://www.reuters.com/article/russland-deutschland-idDEKBN0M71H320150311
european
21. Februar 2023 @ 07:49
Minsk hat mich dazu gebracht, über Angela Merkel neu nachzudenken. Bisher hielt ich sie zumindest persönlich für integer, i.d.S., dass ich ihr nicht zugetraut hätte, sich z.B. an Maskendeals persönlich zu bereichern. Ihre neoliberale Politik habe ich abgelehnt. Menschenfeindlich, europaschädlich, ökonomisch unsinnig und sowohl mittel- als auch langfristig auch deutschlandschädlich. Das Griechenland-Desaster habe ich ihr nie verziehen. Aber auch da haben wir die Politik aus USA übernommen. Eine Politik, die insbesondere nach der Finanzkrise dafür gesorgt hat, dass mittlerweile einem Prozent der Menschheit 60 Prozent des Weltvermögens gehören.
Seit Minsk denke ich noch anders. Wieviele ihrer Entscheidungen haben zum heutigen Desaster aktiv beigetragen? Hat sie Macron mit seiner Initiative zu einem souveränen Europa ignoriert, weil sie einfach keine Lust dazu hatte und Deutschland gerade auf der Überholspur die anderen Länder Europas ausnahm, oder war sie schon da bewusste Erfüllungsgehilfin der US-Administration, die nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass sie kein souveränes Europa mit eigenem Willen und Ideen will. Was ist mit Nawalny und den angeblichen Beweisen, die Russland immer wieder gefordert hat. Wenn doch die Beweise zu Lasten Russlands vorhanden gewesen wären, wären das unbezahlbare Trumpfkarten in der Ostpolitik gewesen. Ist es nicht vielmehr so, dass es eben genau diese Beweise nicht gegeben hat und sie mit dieser Politik einfach nur weiter den Konflikt angestachelt hat, ganz im Sinne der Neocons? Wenn nichts da ist, erfinden wir eben etwas.
Minsk. Ein Scheinabkommen, um die Ukraine aufzurüsten.
3000 Drohnentote durch die USA mit Deutschland (Ramstein, Stuttgart) als Relaisstation. Mit unserer Hilfe wurde der Rechtsstaat komplett ausgeschaltet und Jagd auf Menschen gemacht. Keine Anklage, keine Gerichtsverhandlung, aber Todesurteil und direkte Vollstreckung. Westliche Werte eben.
Kein Wort zu Julian Assange, Snowden, Manning.
Das sind keine Einzelfälle mehr, das hat System.
ebo
21. Februar 2023 @ 08:56
Mein Urteil über Merkel fällt nicht so harsch aus. Sie war die Kanzlerin des „glücklichen“ Status Quo, in dem Deutschland – bzw. die deutsche Wirtschaft – von EUropa profitierte. In der Ukraine-Politik wollte sie das Richtige, hat sich jedoch nie wirklich engagiert (Heusgen!). So hat sie nichts gegen die heimliche Nato-Integration und die Aufrüstung durch die USA getan. Am Ende war sie wohl wirklich machtlos – nicht nur gegenüber Putin, wie sie nach ihrem Abgang sagte, sondern auch gegenüber Biden und den USA. Allerdings hatte sie eine Autorität, die das Schlimmste hätte verhindern können. Scholz hat die nicht. Er ist nicht nur machtlos, sondern offenbar auch ratlos…
KK
20. Februar 2023 @ 18:31
„Damit hat sie im Nachhinein auch noch die letzte europäische Initiative relativiert, die den Krieg abwenden sollte.“
Nicht nur relativiert, sondern EUropa als Partner internationaler Verträge regelrecht diskreditiert; wer kann hiernach die EU, die EUropäer und ihre Vertreter noch als verlässliche Verhandlungspartner begreifen, die der Gegenseite um des eigenen Vorteils willen nicht das Blaue vom Himmel lügt…