Der „Krieg der Narrative“ kennt keine Grenzen mehr
Die EU rüstet nicht nur militärisch auf, sondern auch verbal. Der „Krieg der Narrative“, von dem der EU-Chefdiplomat Josep Borrell spricht, kennt keine Grenzen mehr. Die Ukraine wird zum „globalen Problem“, Russland zum Sündenbock für alle Probleme der Welt.
Die EU rüstet im Propaganda-Krieg auf. Russland wird nicht mehr nur des Terrors und diverser Kriegsverbrechen beschuldigt, wie jüngst im Europaparlament. Nein, Kremlchef Putin soll auch an allen anderen Übeln schuld sein – nicht nur in EUropa, sondern in der ganzen Welt.
- Energie: Die EU beschuldigt Russland, einen „Energiekrieg“ zu führen, der die ganze Welt treffe. Dabei hat sich Putin bereit erklärt, Gas durch die offenbar noch intakte Ostseepipeline Nord Stream 2 zu liefern – doch die EU sagt Nein. Angeheizt wird der Streit vor allem durch die USA und die EU – aktuell mit dem geplanten europäischen Ölembargo und einem internationalen Ölpreisdeckel. Die Zeche zahlen ärmere Länder.
- Rezession: Nicht nur Europa droht eine Rezession, weltweit schwächelt das Wachstum. Auch daran soll – folgt man den EU-Politikern – Putin schuld sein, wegen des besagten „Energiekriegs“. In Wahrheit ist es aber der Wirtschaftskrieg gegen Russland (und zunehmend gegen China), der die Konjunktur lähmt und die Aussichten verdüstert. Afrika und Asien versuchen, sich herauszuhalten – mit einigem Erfolg.
- Nahrungsmittel: Immer wieder beschuldigt die EU Russland, an der Nahrungsmittelkrise schuld zu sein. Dabei hat Putin gerade den Getreidedeal verlängert, der es der Ukraine erlaubt, in diesem Jahr fast so viel zu exportieren wie im Vorjahr. Probleme hat hingegen Russland, der weltgrößte Getreideexporteur – wegen der westlichen Sanktionen! Und die Preise am Weltmarkt treiben vier große westliche Konzerne…
Diese Beispiele zeigen, wie die EU versucht, alle großen Probleme auf Russland zu schieben – und von ihrer eigenen (Mit-)Verantwortung abzulenken. Bei ihren Reisen stellen Borrell und andere EU-Politiker neuerdings immer wieder Russland an den Pranger.
Aus EU-Sicht ist das legitim – schließlich führt auch Russland einen Propaganda-Krieg. Es ist aber auch schädlich. Im Kern geht es in der Ukraine doch um einen kleinen, begrenzten Konflikt. Statt diesen Konflikt endlich zu lösen, bauscht ihn die EU immer mehr auf.
So forderte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die asiatischen Länder beim Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) dazu auf, den Ukraine-Krieg als „globales Problem“ anzuerkennen. Ähnlich argumentieren fast alle EU-Politiker.
Allerdings sind sie dabei nicht sehr erfolgreich. So räumte Borrell ein, dass Europa den „Krieg der Narrative“ im Nahen Osten und in Afrika wohl verloren habe. Auch in Asien läuft es nicht so gut. Beim APEC-Treffen war die westliche Schuldzuweisung umstritten.
Auch wenn die Mehrheit (richtigerweise) Russland für den Krieg verantwortlich machte, so gab es doch große Vorbehalte gegen die Sanktionen. Und das neue europäische Narrativ, dass Russland an allem Unheil der Welt schuld sein soll, überzeugte niemanden.
Vielleicht sollten es Borrell & Co. ‚mal mit einer anderen Erzählung versuchen, die nicht von Krieg handelt, sondern von Diplomatie. Früher waren Verhandlungen und Kompromisse das Erfolgsgeheimnis der EU, heute verbarrikadiert sie sich im Infokrieg…
Mehr zum Infokrieg hier
P.S. Immer mehr Regierungen gehen dazu über, den „Infokrieg“ mithilfe von gut bezahlten Profis zu führen. So hat Polen gerade einen Milliarden-Auftrag an amerikanische PR-Firmen vergeben, mehr dazu hier
Armin Christ
2. Dezember 2022 @ 11:22
Solange ukrainisches Getreide hierzulande in den Futtertrögen von Hühnern und Schweinen verschwindet und gar zur „Biosprit“ Herstellung verwendet wird sollten die Anhänger des Regimes von Banderastan aufhören dem Russen, also dem Iwan, als dem Moskowiter, dem Outin die Schuld an Hungerkrisen im globalen Süden zu geben. Naja, so sind sie: die Selbstgerechten.
Freiberufler
1. Dezember 2022 @ 12:23
Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie’s lesen. (Karl Kraus)
ebo
1. Dezember 2022 @ 12:25
K.K. ist ein Klassiker, wir könnten ihn hier täglich zitieren…
Stef
30. November 2022 @ 12:45
Der Scherz ist, dass die Medien jenseits des Atlantiks beginnen, sich mit den Absurditäten des Krieges auseinanderzusetzen, die hiesigen Medien (und die hiesige Politik) darum aber noch einen weiten Bogen machen. Siehe das aktuelle Cover von „the Economist“.
Unabhängig von der Frage der Shculd an dem Krieg in der Ukraine (und ich meine, dass dem Westenunter Führung der USA hier mehr als 50 % der Verantwortung gebühren) ist doch unverkennbar:
– Die Sanktionen schädigen nicht Russland, sonder Europa.
– Europa ist ohne russiscches Gas ein größerer Klimasänder und gleichzeitig industriell nicht mehr konkurrenzfähig. Mindestens auf die nächsten zehn Jahre.
– Inzwischen wird in Deutschland ovven über Blackouts und kontroliierte Abschaltungen der Energienetze gesprochen.
– Faktisch wendet sich dieser Krieg also mindestens ebenso stark gegen Europa, wie gegen die Ukraine und Russland.
– Alle Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine haben nicht den militärischen Durchbruch bringen können.
Wir können uns als Europäer nicht länger um die Frage herummogeln, was eigentlich in unserem Interesse liegt. Und falls es kein gemeinsames Interesse mit den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedern geben kann, dann ist die EU nicht mehr lebensfähig.
KK
30. November 2022 @ 11:36
@ Kleopatra:
Schon vergessen, warum die beiden NS überhaupt gebaut worden sind?
Durch den immer wieder auflodernden Streit um nicht bezahlte Gasrechnungen und die Gaspreise mit Russland war die Durchleitung russischen Gases durch die Ukraine ab 2005 für Westeuropa nicht mehr sicher.
Die Ukraine war spätestens seit 2005 nicht bereit, an Weltmarktpreise angeglichene Gaspreise aus Russland zu bezahlen.
Und Russland war nicht bereit, eine Annäherung an den Westen und eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu akzeptieren (aus Sicherheitsinteressen, die der Westen für sich in Anspruch nimmt und auch anderen zubilligen muss).
Dass man Russland vorwerfen könnte, nicht ratonal zu handeln, ist völlig unsinnig, wenn man sich ein ähnliches Szenario vor den Toren der USA (atomwaffenfähige Raketen an den Grenzen der USA, die DC unterhalb der Vorwarnzeiten erreichen könnten) mal vorstellen würde. Kubakrise schon vergessen?
Russland hat lange versucht, die USA zu einem Entgegenkommen zu bewegen, wurde aber stoisch über Jahre abgewiesen. In der Zeit wurde die Ukraine vom Westen und vor allem den USA mächtig aufgerüstet – den m.E. durch USA/NAhTOd provozierten „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ hätten die USA durch Verhandlungen und Akzeptanz auch russischer Sicherheitsinteressen durchaus verhindern können, aber das war offensichtlich gar nicht gewollt.
Und wir sehen ja jetzt deutlich, dass der Hauptprofiteur des Konflikts jenseits des Atlantik sitzt! Mission accomplished!
Deutschland – und auch Europa – hat seine Energieabhängigkeit von Russland gegen eine noch viel stärkere – und sehr viel teurere – von den USA getauscht!
KK
30. November 2022 @ 10:56
@ebo:
„Der Clou liegt m.E. darin, dass die EU alles daran legt, den Ukraine-Krieg zu einem Welt-Krieg hochzujazzen.“
Das hat Tradition! Auch im zweiten Weltkrieg ging es schliesslich um „Lebensraum im Osten“…
Kleopatra
30. November 2022 @ 08:18
Russland könnte Gas nicht nur durch die nicht zertifizierte Hälfte von Nord Stream 2 liefern, sondern sogar durch die Gasleitungen, die die Ukraine durchqueren. In dem Fall würde es sich allerdings gut machen, den Krieg zu beenden. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass Russland einen schwachsinnigen Angriffskrieg begonnen hat, warum erwarten wir dann, dass es sich vernünftig verhält?
Arthur Dent
29. November 2022 @ 23:01
Seiner Meinung nach lebt Herr Borell im Garten (Eden?) – außerhalb Europas ist nur Dschungel. So macht man sich Freunde in der Welt.
(übrigens hält sich meiner Meinung auch Lateinamerika raus)
MarMo
29. November 2022 @ 20:38
Für wie doof halten die Westpolithonks eigentlich die Politikerinnen und Politiker in anderen Teilen der Welt? Auch diese sind des Beobachtens, Denkens und der Wahrnehmung mächtig. Und diese Fähigkeiten reichen aus, zu erkennen, dass es die Sanktionspolitik der USA und der EU ist, die die ökonomischen Verwerfungen auf dem Weltmarkt bei vielen wichtigen Gütern auslösen. Die Länder im Globalen Süden haben immer wieder auf’s Neue westliche Arroganz, doppelte Standards und neokolonialistische Übergriffe erfahren – warum sollten sie sich jetzt in diesen Konflikt reinziehen lassen? Warum sollten sie den Krieg in der Ukraine als „globales Problem“ anerkennen. Sie wissen doch bestens, dass dies nicht für die Kriege der USA und ihrer Verbündeten gefordert wird. Hunderttausend sterbende Kinder im Irak durch die Sanktionspolitik der USA – kein Problem für Madeline Albright. Und vermutlich bekümmern Frau Baerbock die hungernden Kinder in Afghanistan und im Jemen auch nicht sonderlich.
Ich bin im Übrigen der Meinung, dass dieser Krieg auf einer durch und durch kalkulierten Provokation seitens der USA und der Nato gründet. Zu diesem Schluss kann man sehr wohl kommen, wenn man sich die Mühe macht, sich durch die lange und sehr komplexe Vorgeschichte zu arbeiten.
Ich finde es unglaublich, wie hier Tatsachen ignoriert werden. Mich widert die heuchlerische, kriegstreibende nationale Politik in Deutschland ebenso an wie die der EU.
ebo
29. November 2022 @ 20:48
Der Clou liegt m.E. darin, dass die EU alles daran legt, den Ukraine-Krieg zu einem Welt-Krieg hochzujazzen. Dabei ging es zunächst nur um kleine Regionen wie die Krim und den Donbass!
Selbst jetzt noch ist der Ukraine-Krieg eine Kleinigkeit im Vergleich mit Irak, Jemen oder Sudan.
Mit einem anderen „Narrativ“ könnte man diesen Konflikt auch klein halten, regional begrenzen und schließlich lösen. Die EU macht das ganze Gegenteil…
KK
29. November 2022 @ 17:13
Was waren das noch für Zeiten, als ein Bundeskanzler Adenauer noch in der Lage war, „jeden Tag etwas klüger“ zu werden. bei unseren heutigen Politikern hat man eher den Eindruck, dass da Hopfen und Malz verloren ist.