Der Bluff mit dem EU-Beitritt
Mitten im Krieg will die EU-Kommission den Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau empfehlen. Dabei erfüllen beide Länder nicht einmal die Grundvoraussetzungen. English version here
Die Würfel sind längst gefallen. Schon letzte Woche verkündete Außenministerin Baerbock, dass die Ukraine der EU beitreten wird. Und am Wochenende lobte Kommissionschefin von der Leyen, dass Kiew „bereits deutlich über 90 Prozent des Wegs hinter sich“ habe; der Weg für Verhandlungen sei frei.
Die Vorstellung des „Fortschrittsberichts“ zur Erweiterung ist zur Farce geworden. Jeder in Brüssel weiß, dass die EU-Kommission den Start von Beitrittsverhandlungen empfehlen wird.
Und jeder kann wissen, dass die strikte Prüfung der Beitrittskriterien in der Ukraine und Moldaus ausgefallen ist. Noch im Juni erklärte Erweiterungs-Kommissar Varhelyi, die Ukraine habe erst zwei von sieben Prüf-Kriterien erfüllt.
Knapp drei Monate später sollen fünf weitere Tests bestanden sein – darunter der Kampf gegen die Korruption, die nach Ansicht von Ex-Kommissionschef Juncker endemisch ist? Das ist kaum möglich und noch weniger glaubhaft.
Brüssel wird ein Gefälligkeits-Zeugnis vorlegen, wie schon beim Kandidaten-Status 2022. Die Ukraine erfüllt nicht ´mal die Basics: wirtschaftlich und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen – sie ist von der EU abhängig!
Weiterlesen hier (Watchlist EUropa)
Monika
9. November 2023 @ 11:57
Wir sollten uns den Gedanken gestatten, dass Frau vdL lediglich die undankbare Aufgabe erfüllt Entscheidungen, die „an anderer Stelle“ längst gefallen sind, im Sinne einer nicht weiter spezifizierten „Demokratie=Freiheit-Ideologie “ unters Volk zu bringen. Ihre Aufgabe ist ausschließlich öffentlich den Anschein geordnet-demokratischen Prozessablaufs zu gewährleisten.
„Geopolitisch beschlossen“ ist der EU-Beitritt der Ukraine und anderer Ländereien mit Grenzen zu Russland längst, um dort, nach US-Lesart, völlig „friedensbewegt und redlich“, US-Militärbasen (nicht NATO-Basen, da wären noch Rücksprachen nötig) aufbauen zu können, deren „Friedenspotenz“ quasi ohne jede Vorwarnzeit Russland enthaupten könnte, sowie China „von der Landseite aus bequemer erreichbar“ machen könnte.
Auf die EU-Institutionen brauchen wir keine Hoffnung mehr zu setzen. Ich frage mich, was die Bürger Europas tun könnten, um sich nicht derart entmündigen zu lassen. Welche Kriterien müssten errfüllt werden, um über anstehende Erweiterungen die Europäer*innen selbst abstimmen zu lassen. Im Zuge der Europawahl müsste doch eine Möglichkeit geschaffen werden können, eine Art Bürgerbegehren anzuhängen, bei dem ein Aufnahme-Moratorium gefordert werden könnte! Zumindest solange, bis die Folgen der Erweiterungen für die Bereits-EU-Mitglieder überhaupt absehbar sind!
WBD
9. November 2023 @ 13:38
@Monika (9.Nov,11.57): Gab es nicht auch Volksabstimmungen in Frankreich & Irland, die Beitritte abgelehnt hatten? War glaube ich in den späten 70ern. Wurden die abgeschafft? Wäre ja wirklich traurig, wenn man dem Volk überhaupt nix mehr erlauben würde…
Stef
8. November 2023 @ 10:06
@ Kleopatra: Taktisch gesehen haben Sie recht. Würde die EU aber ihre Beitrittsbedingungen derart modifizieren, dass ein im Krieg befindlicher Staat, dessen endemische Korruption bekanntermaßen immer noch grassiert und der die Demokratie (aus nachvollziehbaren Gründen) aussetzt jetzt kurzfristig aufnimmt, hätten wir eine Präzendenz geschaffen, die wir womöglich nie wieder einfangen können. Mit anderen worten ein strategisches Eigentor aus taktischen Gründen.
Abgesehen davon bezweifele ich, dass sich in der EU die dafür erforderlichen Mehrheiten organisieren lassen. Das wird eine Bauchlandung geben.
Und schließlich ist es auch erforderlich, der natioinalistischen Regierung in Kiew (und nicht nur den Russen) Grenzen resultierend aus der Anwendung der europäischen Werte aufzuzeigen. Selenski mag gewählt worden sein, er wurde als Friedenskandidat gewählt und hat Jahre vor dem Einmarsch Russland mit wehenden Fahnen in das Lager der Nationalisten gewechselt und duldet den Aufbau offener faschistischer Strukturen in Regierung, Staat und Militär. Wollen wir auch nur einen Rest an Glaubwürdigkeit erhalten, müssen wir bis auf Weiteres Distanz wahren in Sachen EU-Beitritt.
Ganz zu Schweigen davon, dass ein Beitritt der Ukraine die europäischen Steuerzahler exorbitant teuer zu stehen kommen wird. Wir schulden der Ukraine nichts. Und wir sollten die Scherben Russlands und der USA in ihrer imperialen Auseinandersetzung nicht ohne Not aufkehren.
Michael
7. November 2023 @ 12:39
Die Ukraine erfüllt bis dato – und laut verschiedenen Ukrainekennern und Beobachtern – nicht ein einziges der Copenhagen Criteria und bis zum Abschluss von Friedensverhandlungen ist die Zukunft der Ukraine vollkommen ungewiss! Die EU Mitgliedschaft ist kein Mittel zu undurchsichtigem Zweck, sondern ein Zweck per se! Es ist paradox aber so sehr ich z. B. ungarische und slowenische Positionen kritisiere und ablehne, so sehr setze ich inzwischen darauf dass Ungarn und Slowenien aber auch andere Mitgliedstaaten, wie möglicherweise die Niederlande, UvdL in die Parade fahren und Beitrittsverhandlungen blockieren werden. Mal ganz abgesehen von einer wie auch immer gearteten Lösung des Ukrainekonflikts halte ich die Ukraine für die nächsten 15 bis 20 Jahre nicht für für beitrittsfähig. Verhandlungen könnten dann evtl. In 10 Jahren aufgenommen werden.Und darüberhinaus halte ich die EU, ohne massive Reformen, für nicht fähig einen Problemfall wir die Ukraine zu absorbieren ohne in ernsteste Schwierigkeiten zu geraten.
ebo
7. November 2023 @ 13:50
Die neue “Geopolitik” toppt alle alten EU-Regeln. Der Regelbruch ist zur Norm geworden, gerade rund um die Ukraine (Waffen, Geld etc.)
Nachdem man den Ukrainern alle möglichen Versprechen gemacht hat, kann die EU nun aber nicht zurück. Sie könnte einen Beitritt allerdings immer noch an eine Friedenslösung und an Wahlen binden. Erst nach dem Krieg und mit einer dann – hoffentlich – neuen und demokratischen Führung hätte das Land einen Platz in der EU.
Kleopatra
8. November 2023 @ 07:24
@ebo: Ihr Vorschlag würde es für Putin nur attraktiver machen, den Krieg and infinitum fortzusetzen, denn wenn er aufhört, riskiert er ja die Aufnahme der Ukraine in die EU (wodurch sie gleichzeitig Anspruch auf militärischen Beistand beim nächsten Russeneinmarsch hätte). Das wäre widersinnig. Und wollen Sie unterstellen, der gegenwärtige ukrainische Präsident sei nicht demokratisch gewählt worden?
Was Wahlen betrifft: Für die Aussetzung von Wahlen während eines Krieges gibt es zahlreiche praktische Gründe. Mir ist auch nicht bekannt, dass in den demokratischen Staaten, die im II.WK gegen Deutschland im Krieg standen während des Krieges gewählt worden wäre.
ebo
8. November 2023 @ 10:18
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Der Beitritt wurde der Ukraine erst NACH dem Kriegsbeginn versprochen, was ein schwerer Fehler war. Denn damit schafft man den falschen Eindruck, ein Krieg könne die Annäherung an die EU beschleunigen – und man ermuntert die Ukraine, den Krieg ad infinitum fortzusetzen, bis zum “Sieg”. Genau das beobachten wir heute.
Richtig wäre es gewesen, den Beitritt von vorneherein an eine Friedenslösung zu binden und sich aktiv an dieser Lösung zu beteiligen. Damit hätte man eine positive Dnyamik in Gang gesetzt – und keine kriegerische, wie derzeit. Und dass vor einem Beitritt Wahlen und ggf. ein Referendum stattfinden müssen, sollte eigentlicgh selbstverständlich sein.
Kleopatra
8. November 2023 @ 14:20
@ebo: Erstens ist der seit längerem bestehende Assoziationsvertrag mindestens die Andeutung der Möglichkeit einer Aufnahme. Zweitens hat nicht die Ukraine, sondern Russland den Krieg angefangen; und wenn man die Ukraine sofort zu Frieden um jeden Preis gezwungen hätte, worauf Ihr Vorschlag hinauslaufen würde, wäre dies eine Prämie für den Aggressionskrieg. Drittens handelt es sich natürlich auch um die Reaktion auf Putins Kriegsziel, eine Annäherung der Ukraine an die EU zu verhindern. Und was die nachvollziehbare Kritik an der Geschwindigkeit betrifft: Ich denke, man will auch Fakten schaffen. Wie die deutsche Wiedervereinigung nur während eines relativ kurzen Zeitraums einfach zu haben war, kann man die Grundsatzentscheidung für die Ukraine in der EU nicht beliebig auf die lange Bank schieben.
Und wo sehen Sie eine Bereitschaft Russlands zu einem Verständigungsfrieden? Bei der Gier Russlands ist leider wohl nur ein Waffenstillstand möglich, wie etwa das Münchner Abkommen mit Hitler m Herbst 1938 (für das nachträglich als Rechtfertigung vorgebracht wurde, es habe Großbritannien Zeit für den Aufbau der eigenen Luftwaffe erkauft).
ebo
8. November 2023 @ 14:39
Niemand hat die EU gezwungen, der UKraine NACH dem Kriegsbeginn den Kandidatenstatus zu geben. Es war ein Fehler, auf den nun weitere folgen.
Die Nato hat – geführt von den USA – viel vernünftiger agiert. Die Allianz hat ihre Beitritts-Bedingungen in Vilnius sogar noch verschärft!
Was Russland und einen Verhandlungsfrieden betrifft: Warum testen wir Putin nicht, indem wir eine Lockerung der Sanktionen und eine Reduzierung der Waffenhilfe ins Spiel bringen? Lange kann der Westen der Krieg ohnehin nicht mehr durchhalten…
Stef
9. November 2023 @ 08:17
@Kleopatra: “Drittens handelt es sich natürlich auch um die Reaktion auf Putins Kriegsziel, eine Annäherung der Ukraine an die EU zu verhindern. ”
Das habe ich noch nie als Kriegsziel der Russen wahrgenommen, es gibt sogar gegenteilige Verlautbarungen der russischen Regierung, dass gegen eine EU-Annäherung ohne Exklusive Abgrenzung gegen Russland und ohne militärische Komponenten keine Einwände bestehen. Aber Sie haben sicherlich Quellen für Ihre Behauptung. Oder interpretieren Sie wieder das Gegenteil des Gesagten in Äußerungen aus dem Kreml hinein?
renz
7. November 2023 @ 16:11
Blos keinen Beitritt dieser Länder. Dann kann man der Türkei den Beitritt nicht mehr verweigern. Wir hätten dann schon im ersten Jahr 10 Millionen neue Bürgergeldempfänger. Das schafft unsere Bürokratie nicht.
Übrigens: wie sieht das dann mit allen anderen europäischen Länder aus, die noch nicht in der EU sind? Dürfen die in solch einem Fall diskriminiert werden? Weiß-Russland, Armenien, Georgien und und und – was ist denn eigentlich dann bei einem russischen Antrag los?
WBD
7. November 2023 @ 19:43
Armenien und Georgien zähle ich immer noch zu Asien, auch wenn die geopolitischen Augen der EU schon dahin schielen.
Ausserdem wäre ich Meinung, daß man die asiatischen Länder in alphabetischer Reihenfolge eintreten lassen sollte: da stünde dann Afghanistan auf Platz 1 …