Corona-Chaos: EU-Politiker mogeln sich durch
Erst die Reisewarnungen, dann der Rücktritt von EU-Kommissar Hogan: Wegen widersprüchlicher Coronaregeln ist das Europaparlament tief verunsichert. Viele Abgeordnete mogeln sich durch – genau wie die EU-Spitze.
Dürfen sie nach Straßburg reisen? Oder sollten sie lieber in Brüssel bleiben? Zehn Tage vor der nächsten Plenartagung sind die Europaabgeordneten tief verunsichert.
Die deutschen Sozialdemokraten lehnen den eigentlich fälligen Umzug nach Straßburg ab. In der Coronakrise sei es nicht verantwortbar, mit tausenden Mitarbeitern zu verreisen, meint SPD-Gruppenchef J. Geier.
Allerdings war das “Infektionsgeschehen” in Straßburg bis vor wenigen Tagen noch harmloser als in Brüssel. Für die belgische Hauptstadt gilt eine deutsche Reisewarnung, für Straßburg nicht.
Zudem besteht Frankreich darauf, dass der Parlamentssitz in Straßburg wieder genutzt wird. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise lag die Stadt mitten in einem Krisengebiet, nun soll sie endlich wieder (auf)leben.
Parlamentspräsident David Sassoli ist hin- und hergerissen. Am liebsten würde er wohl auch in Brüssel bleiben – doch nun macht er seine Entscheidung von Sicherheitsgarantien aus Paris abhängig.
Dabei ist “Streßburg” noch das geringste Problem. Die meisten Abgeordneten pendeln ohnehin ständig zwischen ihrer Heimat bzw. ihrem Wahlkreis und Brüssel. Der viel beklagte “Wanderzirkus” ist ein Dauerzustand.
Viel mehr Sorgen müssen sich die MEP wegen ständig wechselnder nationaler Corona-Regeln und Reisewarnungen machen. Deutschland sieht fast in jedem EU-Land Probleme, Belgien auch (aber in anderen) – welche Regeln gelten denn nun?
Darf ein Abgeordeter oder sein Assistent überhaupt noch nach Deutschland fahren, wenn er aus dem “Hotspot” Brüssel kommt? Was ist mit Reisen nach Paris, die Belgien untersagt hat? Kann man noch Termine in London machen?
Zu einem echten Dilemma hat sich das seit dem Rücktritt von Handelskommissar Hogan entwickelt. Der hatte gegen (über Nacht geändert) nationale irische Coronaregeln verstoßen – und mußte gehen.
Seither leben viele EU-Abgeordnete in Angst. Denn längst nicht jeder hat sich in der Sommerpause strikt an alle Regel gehalten. Was, wenn das nun herauskommt – hagelt es dann reihenweise Rücktritte?
Kaum einer hält sich an alle Regeln
“Wir leben in ständiger Sorge”, sagt ein Parlamentsmitarbeiter. “Alle Regeln kann man ohnehin nicht einhalten, viele mogeln sich daher durch.”
Sie tun es damit EU-Ratspräsident Michel, dem Außenbeauftagten Borrell und anderen EU-Granden gleich, die ebenfalls viel reisen – und die Regeln großzügig zu ihren Gunsten auslegen.
Es ist fast wie im wirklichen Leben…
Siehe auch “Irland entzieht Hogan das Vertrauen – Rücktritt” und “Deutsche Reisewarnung für Brüssel”
P.S. Die EU-Kommission hat ein einheitliches Ampelsystem vorgeschlagen, mit dem die Reisewarnungen etwas übersichtlicher gemacht werden sollen. Das war’s aber auch schon. Auch auf Nachfrage wollte sie sich nicht zu der deutschen Reisewarnung äußern.
Holly01
5. September 2020 @ 16:15
@ Hr. Nemschak:
Demokratisch?
Auf den Nachdenkseiten, kann man unter den Videohinweisen zum Samstag (5.Sep.20) eine Posse von einem „Ex-Grünen“ sehen und lesen.
Quote:
Die Grüne Bundestagsfraktion hat ohne jedes Wissen aufgrund der Informationen von Drosten auch dem lockdown zugestimmt.
Der Ex hat nun gedacht, man könnte da diskutieren und verschiedene Aspekte betrachten. Konnte man natürlich nicht. Er wurde erst ausgegrenzt und dann rausgekantet.
Demokratie?
Keine Abwägung?
Keine zweite Meinung?
Das RKI ein Totalausfall?
Alles fällt auf die örtlichen Gesundheitsämter zurück?
Die eigenen Studien ignoriert?
Entschuldigung, aber das DIE keine Aufarbeitung möchten, kann ich gut nachvollziehen.
Demokratisch?
Ich überleg mal was Sie da meinen. Vielleicht diese alt griechische Abgeordneten/Eliten Demokratie.
ABER. Das war in Deutschland bis weit ins HrRdN klar.
Ein Abgeordneter muss ein Mandat haben und Absprachen außerhalb des Mandats, hatte keine bindende Wirkung.
Der Schutz des Einzelnen war in der Selbstbestimmung klar fest gelegt.
Also überlegen wir noch einmal was wir mit demokratisch so meinen könnten ……..
vlg
Peter Nemschak
5. September 2020 @ 10:16
Wenn man alles und jedes versucht demokratisch zu entscheiden, wird man beschlussunfähig.
ebo
5. September 2020 @ 11:04
Darum geht es hier nicht. Es geht um ein Wirrwarr von nationalen Regeln, in die sich selbst die EU-Politiker verheddern. Dabei wäre es ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regeln EU-weit vereinheitlicht oder wenigstens harmonisiert werden!
Peter Nemschak
5. September 2020 @ 20:04
Die EU-Parlamentarier sollten mit einer Stimme, vorzugsweise des Parlamentspräsidenten nach Abstimmung mit dem Präsidium entscheiden, wie sie es logistisch haben wollen. Dem würden sich die Regierungen schwer entziehen können. Derzeit scheint auch das Parlament in verschiedene Richtungen zu ziehen.
Kleopatra
6. September 2020 @ 07:32
Bekanntlich hat das Parlament nicht das Recht, zu entscheiden, wo es tagen will, weil das zwischen den Mitgliedstaaten verbindlich vereinbart ist. M.E. ist das eigentliche Problem aber, dass die Mitgliedstaaten nicht bereit sind, selbstverständlich anzuerkennen, dass die Tätigkeit des Parlaments so wichtig ist, dass sie von Reisewarnungen, Quarantänen etc. ausgenommen werden muss. Einschließlich der Mitarbeiter der Angeordneten und einschließlich des journalistischen Trosses. Gleiches gilt für Reisen zwischen den Parlamentssitzen und jedem anderen Ort innerhalb der EU (in der Praxis fährt man zwar meist nur zum eigenen Heimatort/Wahlkreis, aber sie müssen auch woanders Kontakte knüpfen und sich informieren). Gleiches gilt für Kommissionsmitglieder. Kommissar Hogan wurde unter anderem deshalb aus dem Amt gemobbt, weil er aus seiner Wohnung Unterlagen geholt hat, um sie in Brüssel zu bearbeiten. An solchem Schwachsinn wird sichtbar, dass es schon lange nicht mehr um einen rationalen Umgang mit einem Problem geht (dann würde man zwischen COVID-19 und anderen Gesichtspunkten abwägen), sondern dass aus einer Art Aberglauben möglichst strikte Regeln erlassen und ihre Beachtung möglichst blind und rücksichtlos durchgesetzt wird (als ob es darum ginge, eine zornige Gottheit durch demonstrativen Gehorsam zu besänftigen).
Kleopatra
4. September 2020 @ 15:38
Grozügige Ausnahmeregelungen für Abgeordnete und ihr Hilfspersonal bei Reisen würden ja genügen. Aber man spielt lieber den Moralischen und mobbt den Kommissar für handel aus dem Amt; offenbar ist es Irland egal, ob ein Vertragsverhältnis mit Grobritannien zustandekommt oder nicht.
Holly01
4. September 2020 @ 14:49
Wenn man zu dämlich ist eine Meldepflicht für Maßnahmen einzuführen, um ein aktuelles Register zu erstellen dann ist das so.
Nur eine Regel wäre nötig:
Alle Maßnahmen sind dem EU Register zu melden und wenn sie dort veröffentlicht sind, dann gelten die auch.
Da könnte jeder Landrat hinmelden und jeder Amtsarzt …
aber die leben ja im 17. Jahrhundert und Internet ist Neuland.
vlg