Mit Putin im Gespräch bleiben – vorerst

Brüssel plant im Fall Nawalny vorerst keine neuen Sanktionen gegen Russland, die EU will sich wichtige Rohstoffe sichern – und in der Slowakei sorgt ein Freispruch für Empörung: Die Watchlist EUropa vom 4. September 2020.

Die EU hat zurückhaltend auf den Fall des vergifteten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny reagiert. Nachdem Kommissionschefin Ursula von der Leyen von einem feigen Verbrechen gesprochen hatte, klang es einen Tag später wesentlich entspannter. Ein Sprecher der Brüsseler Behörde erklärte, Nawalny sei russischer Staatsbürger, der Fall habe sich in Russland ereignet, also müsse auch dort ermittelt werden.

Die EU werde das Ergebnis der Untersuchung abwarten und erst danach über mögliche Konsequenzen sprechen. “Wenn wir das Verfahren sehen, werden wir eine Beurteilung vornehmen”, betonte der EU-Sprecher.

Von Sanktionen war keine Rede. Auch die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream II kam nicht zur Sprache. Die EU könne erst dann Strafmaßnahmen verhängen, wenn bei einer Untersuchung herauskomme, wer für die Vergiftung verantwortlich sei.

Hinter den Kulissen prüfen die Europäer jedoch bereits mögliche Maßnahmen. Die Führung liege in diesem Fall aber beim deutschen Ratsvorsitz und damit bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, hieß es in Brüsseler EU-Kreisen. Merkel hatte angekündigt, sich mit der EU und der Nato über die nächsten Schritte abzustimmen.

Einen möglichen Hebel hatte bereits am Mittwoch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erwähnt: das Völkerrecht. “Der Einsatz chemischer Waffen ist völlig inakzeptabel und ein Bruch internationalen Rechts”, erklärte der Spanier.

Doch auch Borrell will die nächsten Schritte der Bundesregierung abwarten. Entscheidungen könnten dann auf einem ohnehin geplanten EU-Sondergipfel Ende September in Brüssel fallen.

Sanktionen beim EU-Gipfel?

Die EU bereitet für diesen Gipfel neue Sanktionen gegen Belarus und die Türkei vor. Bereits im Zusammenhang mit der Wahl in Belarus und der folgenden Gewaltwelle gegen die Opposition hatten einige EU-Staaten mehr Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und ein Ende von Nord Stream II gefordert.

Bisher versucht Brüssel jedoch, mit Putin im Gespräch zu bleiben, um dem belorussischen Machthaber Alexander Lukaschenko einen geordneten Rückzug zu ermöglichen. Mit Rücksicht auf einen möglichen Dialog mit der Opposition in Minsk soll es zunächst auch keine Sanktionen gegen Lukaschenko geben.

Das Attentat auf Nawalny zwingt die EU nun jedoch, nicht nur ihre Beziehungen zu Lukaschenko, sondern auch zu Putin neu zu bewerten. Man darf gespannt sein, ob sich nun die Falken durchsetzen…

Siehe auch “Noch mehr Ungereimtheiten im Fall Nawalny”

P.S. In einer am Abend veröffentlichten Erklärung hält sich der EU-Außenbeauftragte die Möglichkeit zu Sanktionen offen. Brüssel behalte “sich das Recht vor, geeignete Maßnahmen, einschließlich restriktiver Maßnahmen, zu ergreifen”.

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Watchlist

Wie geht es weiter in Bulgarien? Bei schweren Zusammenstößen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei wurden fast 200 Menschen verletzt, wie die Behörden mitteilten. Die EU-Kommission forderte, Kundgebungen gegen die Regierung Borissow müssten weiter möglich sein, kündigte (anders als in Belarus) aber keine Sanktionen oder andere Maßnahmen an. – Mehr hier

Was fehlt

Im Rennen um Lithium und andere wichtige Rohstoffe will sich nun auch die EU einen Platz an der Sonne sichern. Die EU-Kommission plädiert für eine Rohstoff-Allianz mit der Industrie, Bündnisse mit Erzeugerländern und ein gezielteres Recycling der kostbaren Materialien. Allein für die Batterien für elektrisch fahrende Autos werde Europa 2030 rund 18 Mal mehr Lithium brauchen, so Kommissions-Vize Maros Sefcovic.

Das Letzte

Der Mord an dem slowakischen Journalisten Kuciak bleibt bis auf Weiteres ungesühnt. Der als Drahtzieher angeklagte Millionär Marian Kocner ist aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova zeigte sich “schockiert” angesichts des Freispruchs. Auch die “Reporter ohne Grenzen” protestierten. Die Sache geht nun wohl vor das höchste Gericht.


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