Reden über Belarus – Schweigen zu Bulgarien

Wann kümmert sich die EU endlich um Bulgarien (wo eine ähnliche Krise tobt wie in Belarus), warum wollen die Europaabgeordneten nicht nach Straßburg fahren (wo es keine Reisewarnung gibt) – und wie reagiert Brüssel auf den Giftanschlag auf Nawalny (den Merkel für erwiesen hält)? Die Watchlist EUropa vom 3. September 2020.

Haben Sie schon etwas vom Aufstand in Bulgarien gehört? Vermutlich nicht. Denn die Medien berichten kaum darüber – dabei erlebt das Land derzeit die größten regierungskritischen Proteste seit vielen Jahren. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der konservativen Regierung von Ministerpräsident Boris Borissow, der sie Korruption und Nähe zu Oligarchen vorwerfen. Unterstützt werden sie von Staatschef Rumen Radew.

“Wir haben bei diesem Vertrauensverlust keinen anderen Ausweg (…) als Rücktritt”, sagte Radew. Derweil kam es am Mittwoch bei neuerlichen Demonstrationen zu Gewalt. 20 Polizisten seien verletzt worden, teilten die Behörden mit.

16 Menschen, unter ihnen Polizisten und Demonstranten, kamen ins Krankenhaus, weil sie Gas eingeatmet hatten. Offenbar geht die Regierung ziemlich rücksichtslos gegen die Demonstranten vor.

Das wäre doch auch mal eine Intervention der EU wert, könnte man meinen. Schließlich gehört Bulgarien der Union an, und die Krise in diesem Balkanland ist mindestens genauso tief wie in Belarus.

Doch Brüssel schaut lieber weg. Es gibt weder einen EU-Sondergipfel noch ein klares Wort der EU-Kommission. Dabei sollte die eigentlich dafür sorgen, dass die Korruption in dem Land eingedämmt wird.

The deafening silence of the European People’s Party (EPP) is outrageous and amounts to complicity. GERB, the governing party in Bulgaria and an EPP member party, is fully responsible for the situation. The EPP must react immediately and pressure Boyko Borissov, prime minister of Bulgaria, and his government to stop authorising police violence against peaceful protesters and release all the citizens currently detained for the sole reason of asking for the end of corruption and the re-establishment of the rule of law in the country.”

Thomas Waitz and Evelyne Huytebroeck, co-chairs of the European Green Party

Woran liegt das? An mangelndem Inrteresse der Medien? Oder an der Politik? Borissow ist Mitglied der konservativen EVP, der auch Kanzlerin Merkel angehört. Den Ton in der EVP geben CDU und CSU an.

Wie wäre es, wenn Merkel und ihre Christdemokraten nicht nur Belarus beistünden, sondern auch Bulgarien hülfen? Das wäre ein echter Gewinn für die Glaubwürdigkeit.

Die ist allerdings eh schon erschüttert. Denn trotz der grassierenden Korruption soll Bulgarien demnächst dem Euro beitreten…

Siehe auch “Bulgarien: Schlechtes Timing oder Ignoranz?” sowie unseren Update hier

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Watchlist

Kehrt das Europaparlament seinem Sitz in Straßburg erneut den Rücken? Dies müssen am Donnerstag die Fraktionschefs entscheiden. Die deutschen Sozialdemokraten haben sich bereits gegen eine Plenartagung in der französischen Stadt ausgesprochen. Reisen seien wegen der Infektionslage nicht zu verantworten, heißt es – dabei sind die Ansteckungszahlen viel niedriger, als die vielen Warnungen glauben machen… – Mehr hier

Was fehlt

Die Reaktion der EU auf die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Nawalny. Kommissionspräsidentin von der Leyen sprach von einem abscheulichen und feigen Akt. “Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, schrieb die CDU-Politikerin auf Twitter. Eine ähnlich klare Reaktion würde man sich auch in anderen Fällen wünschen – etwa zum Tod der türkischen Anwältin Ebru Timtik… – Mehr hier

Das Letzte

Die USA haben Sanktionen gegen die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Fatou Bensouda, verhängt. US-Außenminister Pompeo kündigte an, möglicher Besitz der Juristin in den USA werde eingefroren. Zur Begründung müssen die Ermittlungen zu möglichen US-Kriegsverbrechen in Afghanistan herhalten. Die EU unterstützt den Gerichtshof – schweigt jedoch zu den US-Sanktionen…


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