Blackout zur Flüchtlingskrise
Es war nur eine Frage der Zeit: Nun macht SPD-Kanzlerkandidat Schulz die Flüchtlingskrise zum Wahlkampfthema. Allerdings könnte der Schuss nach hinten losgehen – denn Schulz hat da etwas vergessen.
Schulz macht mobil: Erst warnte er vor einer neuen Flüchtlingskrise. Nun will er sich mit Italiens Ministerpräsident Gentiloni treffen, um über die Lage der Boatpeople aus Libyen zu sprechen.
Zudem wirft Schulz Kanzlerin Merkel vor, sie habe im Herbst 2015 die Grenzen zu Österreich “ohne Absprache mit unseren Partnern in Europa” geöffnet. Jetzt verschließe sie die Augen vor der neuen Krise.
Das ist zwar richtig. Merkels Alleingang damals war ein riesiger europapolitischer Fehler, genau wie ihr Schweigen heute.
Allerdings ist auch ihr Herausforderer nicht besonders glaubwürdig. Denn bisher hat er die Kanzlerin bedingungslos unterstützt.
Im Krisenherbst 2015 konnte sich die CDU-Chefin nur auf die SPD stützen, die CSU war gegen die Politik der offenen Grenzen.
Schulz war damals EU-Parlamentspräsident und voll auf Merkel-Kurs. Zitat aus einem Interview im Tagesspiegel im Oktober 2015:
Herr Schulz, macht die Bundeskanzlerin in der Flüchtlingskrise alles richtig? – Kein Mensch macht alles richtig. Aber Frau Merkel hat ganz klar eine Position bezogen, die ich teile.
Dass er nun von Merkel abrückt, ist billig. Wer regiert seit Jahren in Berlin mit? Die SPD! Wer stellt den Außenminister? Die SPD! Wenn überhaupt, dann müsste Gabriel nach Rom reisen, nicht Schulz.
In Wahrheit ist die Flüchtlingspolitik ein EU-Thema, kein deutsches. Doch auch Kommissionschef Juncker stand 2015 hinter Merkel. Gemeinsam mit Schulz hat er jede Kritik abgeblockt.
Merkel-Juncker-Schulz – sie saßen im selben Boot. Juncker hat die “Flüchtlingskanzlerin” gedeckt, obwohl sie EU-Recht brach. Schulz hat Beifall geklatscht, statt Europa eine Stimme zu geben.
Heute haben sie alle einen Blackout. Um die neue Krise in Italien zu lösen, müssten unsere EU-Politiker erst einmal diesen Blackout überwinden. Doch dazu machen sie keine Anstalten…
Mehr zur Kungelei zwischen Schulz, Juncker & Merkel in meinem neuen E-Book “MEGA enttäuschend”, 3,49 Euro bei Amazon
GS
25. Juli 2017 @ 00:53
2015 hat die SPD die goldene Chance verpasst, sich von Merkel abzusetzen und gleichzeitig sowohl unserem Land als auch EUropa einen echten Dienst zu erweisen. Jetzt ist es einfach nur völlig unglaubwürdig. Und die Chance für die SPD kommt auch nicht so schnell wieder. Klassisch in den Sand gesetzt.
hintermbusch
25. Juli 2017 @ 13:31
Genau so sehe ich das auch und habe ich es auch schon im Herbst 2015 so gesehen.
Die Frage muss erlaubt sein: Wie kann es passieren, dass eine ganze Partei und ihre gesamte “Elite” das nicht sehen bzw. nicht aussprechen können?
Die CDU hatte immer Spahn und Haselhoff. Sogar die Grünen haben prominent immer ihren Palmer und die Linken ihre Wagenknecht gehabt. Die SPD hatte nur den OB von Magdeburg und den Ratsherrn Reil aus Essen, beide rausgeekelt. Die SPD scheint oben so geistig abgestorben zu sein wie keine andere Partei. Und jetzt kommt Schulz um die Ecke und will das alles mit kleiner Münze korrigieren: oberpeinlich!
Peter Nemschak
25. Juli 2017 @ 16:27
Sich in der Flüchtlingskrise zu profilieren fällt einer linken Partei schwer, nachdem die Mehrheit der Wähler gegen massive Migration aus dem Süden ist.
Johannes
24. Juli 2017 @ 19:09
„obwohl sie EU-Recht “
Seit wann interessiert es Herrn Bonse, wenn Recht gebrochen wird?
Für ihn können doch gar nicht genug Euro Gesetze gebrochen werden.
kaush
24. Juli 2017 @ 16:39
Immer noch aktuell:
Marc-Uwe Kling: Wer hat uns verraten?
https://www.youtube.com/watch?v=8vFL0QWxugI
Peter Nemschak
24. Juli 2017 @ 10:08
Auch ohne die einladende Politik Merkels sind bis August 2015 mehr als die Hälfte der Flüchtlinge des Jahres 2015 nach Deutschland gekommen. Sie waren 2015 schon angekommen bevor Merkel die Grenzen öffnete. Ein nicht unerheblicher Teil wurde inzwischen wieder nach Hause geschickt oder ist freiwillig gegangen. Die Festsetzung einer Obergrenze mit restriktiven Bedingungen wäre aus heutiger Sicht ehrlicher als auf eine Obergrenze zu verzichten und durch administrative Abwehrmaßnahmen das Problem einzudämmen versuchen. Welche Partei, außer vielleicht die extreme Rechte plädiert heute für eine Obergrenze? Wer der extremen Rechten nichts abgewinnen kann, muss zwangsweise Merkel wählen, da die linken Parteien das Problem noch vergrößern würden. So gesehen stellt sich die Frage ob Merkels Haltung gegenüber einer Obergrenze einer religiösen Überzeugung entspringt oder wahltaktisch bedingt ist, oder vielleicht beides.
hintermbusch
25. Juli 2017 @ 13:08
@ Peter Nemschak
“Wer der extremen Rechten nichts abgewinnen kann, muss zwangsweise Merkel wählen, da die linken Parteien das Problem noch vergrößern würden.”
Das ist nicht richtig: Es gibt auch noch die FDP, und die Freien Wähler des Hubert Aiwanger (eine Art von besserer und bundesweiter CSU) treten auch bei der BTW an.
Was Schulz angeht, stimme ich dem Tenor hier zu: zu spät und nicht glaubwürdig.
In seiner (verständlichen) Verzweiflung hat er aber das Potenzial, das Schweigekartell in der deutschen Politik zu zerschlagen und in den letzten beiden Monaten noch für überraschende Debatten und Bewegungen zu sorgen. Gerade deshalb auch meine Hinweis auf die FW als “die anständige Alternative”, wie sie sich selbst nennen: bürgerlich, heterogen, durchaus mit verschiedenen (rationalen) Ansichten zur Aufnahme von Flüchtlingen, dem Umfang und dem Modus. Darin sind sie der FDP ähnlich, und genau daran hat es ja auch so schmerzhaft gefehlt im aktuellen Bundestag. Die Extremismen von links (zwischenzeitlich massiv und unverantwortlich von Merkel gefördert!) und von rechts müssen unbedingt durchbrochen werden, wenn es Deutschland und Europa nicht weiter zerreißen soll.
ebo
25. Juli 2017 @ 13:42
@hintermbusch Das muss man Schulz tatsächlich zugute halten: Er hat eine Debatte über die Flüchtlingspolitik ausgelöst,den der Mainstream lieber vermieden hätte. Entsprechend hämisch fallen denn auch die Kommentare aus. Ich würde Schulz trotzdem nicht abschreiben. Auch wenn seine Bilanz in Brüssel enttäuschend ausfällt, heißt das noch lange nicht, dass er in Berlin nichts bewegen kann. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass das Ancien Régime von Merkel und ihren Hofschranzen beendet wird. Denn es ist die größte Gefahr für Europa und die überfällige Reform der EU. Wenn Schulz dazu beiträgt, umso besser.
hintermbusch
25. Juli 2017 @ 13:49
@ ebo
Eine Debatte anstoßen kann Schulz und sich damit (vielleicht) auch noch späte Verdienste erwerben. Da gebe ich Ihnen Recht. Wenn er es aber damit schafft, für seine Kandidatur und seine Partei damit auch noch ein paar Bonusprozente herauszuholen, dann ziehe ich wirklich den Hut vor seinem Können: eben weil ich es mir nicht vorstellen kann.
Peter Nemschak
25. Juli 2017 @ 16:44
Na endlich erwähnt einer die wieder kommende FDP. vor den Vorhang hintermbusch !!! Vor 2 Jahren war sie noch nicht im Blickfeld der möglichen Koalitionspartner.
ebo
25. Juli 2017 @ 16:50
Die FDP wurde auch schon hier “lobend” erwähnt: Der liberale (Alp)Traum
Odem
6. August 2017 @ 18:39
Ich glaube „die Anstalt“ hatte vor Jahren ein Wiedererstarken der FDP vorhergesagt. Fraglich ist der Grund dafür…
Also: „Im Westen nichts neues.“
In diesem Land wählen zu gehen ist eine Farce. NRW! Ein Statistiker hat berechnet das keine Wahlmanipulation unwahrscheinlicher ist als ein 6er im Lotte. 1:80.000.000 Millionen.
In diesem Sinne… „Ode an die Freude“
WerrnerG
24. Juli 2017 @ 09:09
Sehr guter Artikel!
Wenn man dann noch die aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung und die darin analysierte Rolle der Presse und Medien mit einbezieht, ergibt sich ein nicht unerwartetes Bild. Leider, werden wie ohne Einsicht der herrschenden, verantwortungslosen und machtbesessenen Politiker aus der Misere nicht mehr herausfinden.
Da hilft nur eine Abwahl.
Claus
24. Juli 2017 @ 08:34
Politiker wollen bekanntlich an die Macht kommen oder dort bleiben. Da darf die zeitliche Gültigkeit gemachter Aussagen keine Rolle spielen, erfahrungsgemäß wird die Halbwertszeit des Iod-131-Isotopen (8 Tage) nicht übertroffen. Nun hat Schulz wohl eine wo auch immer herkommenden Eingebung, dass die derzeitige „Flüchtlingspolitik“ in ihren Auswirkungen die einst traditionellen SPD-Wähler zunehmend verschreckt: Niedriglohnsektor, Verdrängung aus angestammten Quartieren, Mietpreise, Sozialleistungen, Bildung etc,,etc. Und mit Blick auf die BTW im September und die notleidenden Umfragewerte der SPD muss Schulz jetzt „was tun“ (aber es darf nichts passieren!).
Insofern ist das alles nicht überraschend und zum Thema „Politische Glaubwürdigkeit“ könnte man ja beliebig viele Anekdoten beisteuern, wie „Wat stört mich mein Jeschwätz von gestern“ oder „Mit mir wird es keine Autobahnmaut geben.“