Beten für die (verlorene) Einheit
Schon wieder ein Krisengipfel, immer noch kein Rettungsplan. Diesmal gibt es nicht einmal mehr eine Beschluss-Vorlage, so zerstritten sind die EU-Chefs. Immerhin betet Papst Franziskus für die Einheit – und Spanien hat eine Idee.
Scheitert Europa an der Coronakrise? Kurz vor dem vierten virtuellen Krisengipfel am Donnerstag macht sich sogar Papst Franziskus große Sorgen. “Lasst uns heute für Europa beten, damit es jene brüderliche Einheit erreicht, von der die Gründerväter der Europäischen Union geträumt haben”, sagte Franziskus am Mittwoch in seiner Frühmesse.
Optimistisch gibt sich dagegen EU–Ratspräsident Charles Michel in Brüssel. Der Belgier hat eine „Roadmap for Recovery“ vorgelegt, die den Weg aus der Krise weisen soll.
Darin enthalten ist nicht nur ein gigantischer neuer Hilfsfonds, sondern auch die Forderung, Europa müsse “strategische Autonomie” in wichtigen Branchen erlangen.
Kritische Infrastruktur, vor allem im Gesundheitswesen, müsse gestärkt werden, fordert Michel. Doch wie das gelingen kann, ist ebenso unklar wie die Finanzierung des Wiederaufbaus nach dem Ende der Coronakrise.
Bisher versucht jedes EU-Land in Eigenregie, die medizinische Versorgung zu sichern und die Wirtschaft zu retten. Deutschland ist dabei wesentlich besser aufgestellt als Italien, Spanien oder Frankreich.
Die drei Krisenländer haben sich denn auch im Vorfeld des Videogipfels bemüht, solidarische Hilfe zu organisieren. Paris fordert einen Wiederaufbaufonds, Rom will Coronabonds, und Madrid hat beide Vorschläge in einem Plan zusammengefaßt.
Der spanische Entwurf sieht ein 1,5 Billionen Euro schweres Notbudget vor, das sich auf den EU-Haushalt stützt. Die Finanzierung soll durch Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit gesichert werden – sogenannte „Recovery Bonds“. Die Schulden würden also nicht abgetragen, nur die Zinsen müssten bezahlt werden.
Aus Sicht vieler Ökonomen ist dies der beste Plan – denn er würde die Schuldenlast etwa in Italien nicht erhöhen und reiche Länder wie Deutschland nicht in Haftung nehmen. Außerdem sieht er dauerhafte Transfers an die Krisenländer vor – und nicht nur Kredite, wie im umstrittenen Hilfsprogramm der Eurogruppe.
Doch beim Krisengipfel am Donnerstag hat der spanische Plan (noch) keine Chance. Denn die EU konnte sich bisher nicht einmal auf ein “normales” EU-Budget für 2021-27 einigen – geschweige denn auf ein Notbudget, das noch oben drauf kommen soll. Ein erster Budgetgipfel im Februar ist krachend gescheitert.
Durch die Coronakrise wird alles nun noch komplizierter. Dabei könnte man es auch leichter haben – und zunächst einmal einen Nachtraghaushalt für 2021 beschließen, wie es z.B. die Grünen fordern. Danach könnte man pragmatisch auf Sicht fahren – und mit Jahresbudgets weitermachen.
So ließe sich auch das absurde Geschacher vermeiden, das mit dem “mittelfristigen Finanzrahmen” für sieben (!) Jahre und seinen überkommenen Beitragsrabatten verbunden ist. Doch das würde einen Bruch mit “Business as usual” bedeuten – und wer will das denn?
Siehe auch “Weg mit dem Sieben-Jahres-Plan” und “Machtkampf mit Coronabonds”
P.S. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Polen fordert, sich nicht auf das EU-Budget zu verlassen, sondern “komplett neue Ressourcen” für den Kampf gegen die Krisenfolgen bereit zu stellen. Die Austerität und das Gürtel-Enger-Schnallen des Finanzrahmens 2007-2013 sei ein Fehler gewesen, so Premier Moarwiecki. Durchgesetzt wurde diese verfehlte Politik übrigens von Kanzlerin Merkel und dem britischen Ex-Premier Cameron, der sein Land in den Brexit geführt hat…
Prime Minister @MorawieckiM in his op-ed for @FAZnet 📰:
— Poland in the EU (@PLPermRepEU) April 22, 2020
The #EU should allocate completely new financial resources to tackle the economic turmoil caused by the #COVID19.
We know from the past that the #austerity and belt-tightening in the 2007-2013 crisis did not work. pic.twitter.com/jnfkDRt7YS
Freiberufler
23. April 2020 @ 13:02
“Solidarität” ist ein anderes Wort für “monetäre Staatsfianzierung”. Die mögen manche Ökonomen für sinnvoll halten, Tatsache ist indes, dass Deutschand in den vergangenen 70 Jahren nie Staatsschulden monetisiert und dies auch jetzt nicht vorhat, wie die Debatte über Lastenausgleich und Vermögensabgabe zeigt. Der Elefant im Raum ist, dass die “frugalen vier” glauben, dass man man Schulden bezahlen muss, während Club Med sie weg inflationieren will. Man kann keine Währungsunion haben, in der die einen Geld drucken, weil sie ihre Bürger nicht enteignen wollen, und die anderen ihre Bürger enteignen, weil sie kein Geld drucken wollen.
Michael Josef Rittel
23. April 2020 @ 07:38
Warum weigern wir uns, endlich einmal Solidarität zu zeigen, die zu den Grundprinzipien Europas gehört?
Holly01
23. April 2020 @ 10:43
Ich gehe davon aus, das sich ein ganz erheblicher Teil der Wirtschaftselite damit angefreundet hat, das es in der EU einen “Bürgerkrieg 2.0” à laUSA geben wird.
Darauf läuft es nämlich hinaus.
Der in der Entstehung erfolgreiche Teil der Union unterwirft den erfolgloseren Teil endgültig.
Das war der Selbstfindungsprozess der USA.
Die Nordstaaten haben gewonnen, der Rest hat sich alternativlos unterworfen.
Darauf treiben wir im Moment zu.
Wenn das UK etwas gezeigt hat, dann das es keinen Ausgang mehr gibt.
Dafür ist die Verflechtung zu groß und das gilt auch dann, wenn man wie das UK eine eigene Währung hat.
Nicht umsonst ist die deutsche Elite bereit 2% BIP nun tatsächlich umzusetzen.
Wir bereiten uns auf Krieg vor, ein Krieg der dem nächsten “blüht” der austreten will.
Die Alternative, das es Schulden gibt, an denen die Geldelite nichts verdient, erscheint uns als das schlimmere Los …. “die Märkte” wollen ihren “Zehnt” (ist ja auch eine Sekte) …
vlg
Holly01
23. April 2020 @ 07:34
” Der spanische Entwurf sieht ein 1,5 Billionen Euro schweres Notbudget vor, das sich auf den EU-Haushalt stützt. Die Finanzierung soll durch Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit gesichert werden – sogenannte „Recovery Bonds“. Die Schulden würden also nicht abgetragen, nur die Zinsen müssten bezahlt werden. ”
Die Briten haben so eine Anleihe 2015 zurückbezahlt (habe ich zumindest gelesen…). Die stammte aus dem Jahr 1815 und Grundlage war der Kapitalbedarf der napoleonischen Kriege.
Es hat also “jemand” 200 Jahre Zinsen kassiert.
Das ist völlig inakzeptabel.
Den Kram negativ zu verzinsen und einen Sonderhaushalt mir 2,5-3,5 Billionen aufzulegen macht viel mehr Sinn.
Ja. Das bedeutet die (gierigen) Märkten bekommen nicht ihren Zins.
Aber es bedeutet auch, das man alle anderen Entwicklungen von Corona abkoppelt.
Coronna ist ein absolutes Ereignis und sollte auch als solches behandelt werden.
Dieses (*gacker*, das ist das deutsche Wort für so etwas) Sondervermögen darf auch nicht verzinsen.
Es MUSS da gelagert sein, wo es nicht “abhanden” kommen kann.
Wichtig wäre ein Gremium, das die Verwendung überwacht !!!!!
Damit das nicht wie bei den Amis ist, Geld weg, keine Rechnungen, keine Prüfung, nur Glückritter die Beute machen.
Dieser Fond hat eine Laufzeit von 5 vielleicht 10 Jahren und wird die EU massiv verändern.
Da braucht man eine Verwaltung.
Ich würde auf die EIB setzen und die entsprechend verstärken.
In der EZB würde ich eine neue Abteilung einsetzen, zur Überwachung.
Sonst haben wir nachher ast reine Rüstungsbetriebe und Kriegsvorbereitungen, aber immer noch ein mieses Gesundheitswesen.
Der Begriff “Volksgesundheit” ist ja im deutschen extrem belastet. Aber bei Gesundheitsvorsorge geht es da auch um Bildung, Ernährung und Lebensumstände.
Wer sieht wie Coronna in den neoliberalen USA wütet, der weiß, das die Vorsorge mehr umfasst ein 3 oder 4 Fabriken die Atemmasken herstellen.
Kurz: Trennt Coronna von der ganzen restlichen EU und macht Sonderreglungen. Ja das ist ein Präzedenzfall. Aber eine Einrichtung wie die EU MUSS solche Möglichkeiten haben.
vlg
Holly01
23. April 2020 @ 07:40
@ Kleopatra:
Es ist eine politische Entscheidung, aber eine monetäre Maßnahme.
Die eigentliche Geldschöpfung erfolgt im Bankwesen der EU.
Die Institutionen und die technischen Möglichkeiten haben wir bereits.
vlg