Machtkampf mit Coronabonds

Zwischen Berlin und Paris ist ein knallharter Machtkampf um die Zukunft der EU entbrannt. Vordergründig dreht sich der Streit um finanzielle Solidarität und “Coronabonds”. In Wahrheit geht es aber um mehr, viel mehr.

Heutzutage muß man Zeitung lesen, um den Puls der EU zu fühlen. In Zeiten der Coronakrise und der Videokonferenzen wird Europapolitik mit Interviews gemacht – wenn sie denn überhaupt noch stattfindet. EU-Ratspräsident Michel hat ein solches Interview gegeben. Er rechne nicht mehr mit der Einführung sogenannter Corona-Bonds. “Es gibt im Rat nun einmal verschiedene Befindlichkeiten”, sagte Michel der “FAZ”.

Damit offenbart der Belgier ein merkwürdiges Amtsverständnis. Als Ratspräsident soll er nicht “Befindlichkeiten” aufspüren, sondern das wichtigste Gremium der EU antreiben. Er muß den Laden am Laufen halten, nicht hinterherlaufen.

Wie man die EU anfeuern kann, weiß niemand besser als Frankreichs Staatschef Macron. “Jetzt ist der Moment der Wahrheit, in dem es darum geht, ob die Europäische Union ein politisches Projekt ist oder lediglich ein Markt”, sagte er der “FT”.

Anders als Michel sprach sich Macron erneut für Finanztransfers und gemeinsame Neuverschuldung aus. Zugleich teilte er kräftig gegen Kanzlerin Merkel und die deutsche und niederländische Europapolitik aus. Zitat:

“Sie sind für Europa, wenn es darum geht, die Waren zu exportieren, die sie herstellen. Sie sind für Europa, wenn es darum geht, billige Arbeitskräfte zu bekommen”, sagte Macron. “Aber sie sind nicht für Europa, wenn es darum geht, Schulden zu vergemeinschaften. Das kann nicht sein.”

Ähnlich hat sich Macron schon oft geäußert. Doch diesmal, inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit hundert Jahren (so Ex-Ratspräsident von Rompuy), klingen seine Worte fast schon bedrohlich.

Macron warnte auch vor einer massiven Schädigung des Binnenmarkts durch nationale Stützungsmaßnahmen – gemeint ist wiederum Deutschland. Ein einfaches “Weiter so” könne es nach dieser Krise nicht geben.

Dahinter steckt offenbar die Sorge, dass Deutschland und seine Wirtschaft gestärkt aus der Pandemie hervorgehen könnte, Frankreich hingegen geschwächt. Der Binnenmarkt wäre nur noch ein deutscher Markt, die EU endgültig ein “deutsches Europa”.

Und wie reagiert Kanzlerin Merkel? Ausweichend, wie immer. Die Kanzlerin wisse, “dass wir (…) nicht gut aus dieser Krise herauskommen werden, wenn es nicht auch in ganz Europa gelingt, gut aus dieser Krise heraus zu kommen”, sagte Regierungssprecher Seibert.

Dieses Wissen präge “unser Handeln und unsere Bereitschaft, Solidarität zu zeigen”, fügte er hinzu. Doch schon beim letzten EU-Gipfel hat sich gezeigt, dass Merkels Wille zu Solidarität begrenzt ist. Dort lehnte sie Corona-Bonds ab.

Am kommenden Donnerstag gibt es den nächsten Video-Gipfel. Dann dürfte sich zeigen, wie der Machtkampf weitergeht. Corona-Bonds sind dabei längst zu einem Symbol geworden. In Wahrheit geht es um mehr, um viel mehr…

Siehe auch Italien und Spanien gegen Merkel-Deutschland und “Macron vs. Merkel: Der Kampf um die Deutungshoheit”

P.S. Der italienische Premier Conte besteht weiter auf Coronabonds. “Wir erleben den größten Schock seit dem letzten Krieg”, sagte Conte der “SZ”. “Darum muss Europa auch eine Antwort geben, die auf der Höhe des Ereignisses ist.” Es brauche die “ganze Feuerkraft” der EU, und zwar über die Ausgabe gemeinsamer Anleihen.