Blackout bei der Haftung
Die Debatte über ein drittes Hilfspaket für Griechenland wirft neue Fragen auf. Warum hat Schäuble so lange geschwiegen? Ist der CDU-Mann noch glaubwürdig? Und was ist von seinen Angaben zur deutschen Haftung bei der Euro-“Rettung” zu halten? – Wenig, denn offenbar hat er den Überblick verloren. Ein Gastbeitrag.
Von Dirk Elsner
Für die meisten Beobachter dürfte die bewusste Verwirrung über die Haftungssummen deutscher bzw. europäischer Steuerzahler keine besondere Überraschung sein. Regierung und Opposition scheinen aber vollkommen den Überblick über das verloren zu haben, was sie genehmigt haben. Die deutschen Haftungsrisiken für die Euro-Rettung liegen laut FAZ mit Bezug auf Regierungskreise bei insgesamt 122 Mrd. Euro und damit deutlich über den offiziellen Zahlen des Finanzministeriums. Im Bankenbrief vom 16.8. war dazu zu lesen:
“Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe in seinem Bericht an den Finanzausschuss des Bundestags von vergangener Woche zwar die Risiken aus den beiden Rettungsfonds EFSF und ESM aufgelistet, heißt es in dem Bericht. Nicht darin eingerechnet seien jedoch Beiträge aus dem 2010 eingerichteten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und bilaterale Kredite an Griechenland, zu denen die StaatsbankKfW bislang 15,2 Milliarden Euro beigesteuert habe. Rechne man diese beiden Posten hinzu, hafte Deutschland mit rund 122 Milliarden Euro, so der Zeitungsbericht. In einer Übersicht im Internet gebe das Ministerium aber nur 95,3 Milliarden Euro an. Nicht berücksichtigt seien in Schäubles Darstellung zudem die gestundeten Zinsen für Darlehen an Krisenländer. In der Koalition gebe es auch Stimmen, die fordern, dass die Fonds entsprechend den Regeln der internationalen Rechnungslegung IFRS Abschreibungen auf ausfallbedrohte Kredite vornehmen.”
Ich erschrak mich wegen der niedrigen Zahl, musste mich aber nicht lange sorgen. Im Wall Street Journal Deutschland rechneten Budgetexperten der Grünen andere Summen zusammen:
“Addiert man hierfür das maximale Haftungsrisiko Deutschlands beim ESM in Höhe von 190 Milliarden Euro mit dem deutschen Gewährleistungsrahmen bei der EFSF in Höhe von 211 Milliarden Euro, kommt man auf 401 Milliarden Euro”, rechnete Hinz vor. Auch Risiken aus dem temporären Rettungsschirm EFSM von mehr als 11 Milliarden Euro müssten berücksichtigt werden.”
In der Zwischenzeit war wohl Wolfgang Schäuble durch die Berichterstattung der FAZ irritiert und korrigierte (ebenfalls lt. FAZ) die Zahl nach oben: “Insgesamt betrage der höchstmögliche Haftungsbetrag unverändert 310 Milliarden Euro, sagte Schäubles Sprecherin in Berlin.”
Aber auch diese “korrigierte” Zahl ist viel zu niedrig. Die oben genannten Summen liegen nämlich noch deutlich unter den Haftungspegeln, die das CESIFO-Instituts laufend aktualisiert. Dieser bezieht nämlich noch die Risiken der Target-Salden und den Haftungsanteil für den IWF mit hinein. und kommt auf 637 Mrd. Euro.
Siegmar Gabriel bläst dann am Wochenende in das Wahlkampfgetöse noch die Haftungszahl von 1 Billion, an die er “glaubt” (Interview mit dem Deutschlandfunk).
Ich finde es hochgradig erschreckend, dass Politiker, die im Bundestag in den letzten Jahren über die direkte und indirekte Staatshaftung abgestimmt haben, unter einem Blackout leiden bzw. nur noch an Zahlen glauben. Die Haftungssummen müssten sich eigentlich ziemlich klar ermitteln lassen, sind aber wohl dem Volk vor der Wahl nicht so einfach zu vermitteln.
Zwingend zum Haftungspegel* gehören die durch Deutschland und die Eurostaaten übernommenen Risiken für das europäische Bankensystems. Wir haben in den letzten Jahren doch gesehen, wie schnell die Risiken der Banken von Staaten übernommen werden. Ich erinnere bei der Gelegenheit an eine Information der EU aus dem Dezember letzten Jahres über staatliche Beihilfen für das Bankensystem. In dem Bericht hießt es:
“In der Zeit vom 1. Oktober 2008 15 bis zum 1. Oktober 2012 genehmigte die Kommission Beihilfen in Höhe von 5.058,9 Mrd. EUR (40,3 % des EU – BIP) für den Finanzsektor. Der größte Teil dieser Beihilfen (3394 Mrd. EUR bzw. 27,7 % des EU – BIP) wurde 2008 hauptsächlich in Form von Garantien für Anleihen und kurzfristige Verbindlichkeiten von Banken genehmigt.”
Hier ist vollkommen unklar, welcher Betrag hier noch offen ist bzw. auch für künftige Krisen noch zur Verfügung steht. Markus Frühauf stellte am Freitag für die FAZ zusammen, dass Deutsche Banken 646 Milliarden Euro als Hilfsrahmen in der Finanzkrise benötigten. 259 Milliarden Euro nahmen sie in Anspruch. Er schätzt, dass davon 50 Mrd. beim Steuerzahler hängen geblieben sind. Wie das zusammen passt mit dem Gesamtvolumen von 480 Mrd. Euro, die die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (=FMSA) auf ihrer Homepage ohne weitere Differenzierung ausweist, ist ebenfalls unklar.
Es wäre fein notwendig, dass eine ohnehin mit Steuergeldern finanzierte Institution regelmäßig die gesamten Haftungsvolumen (für Staaten und Banken sowie direkt und indirekt wie etwa über EZB, IWF, Förderbanken etc.) öffentlich reportet und laufend aktualisiert. Im Prinzip ist die Darstellung von CESifo schon gut. Sie müsste aber dringend ergänzt werden um die direkten und indirekten Bankenhilfen auch der Bundesländer. Es kann nicht angehen, dass dies Medien und Blogs übernehmen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Wirtschaftsblog BlickLog. Ich poste ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors – danke, Dirk! Siehe zu diesem Thema auch mein Post Wem helfen unsere Milliarden?
Gast
31. Oktober 2013 @ 12:59
Hinzu kommen die unbeschränkten und unanfechtbaren Forderungen auf Nachzuschüssem, die der ESM sich ausbedungen hat.
Gast
31. Oktober 2013 @ 13:56
Muss natürlich “Nachzuschüsse” heissen!
Robert
26. August 2013 @ 00:00
@GS
Wenn Sie schon die fehlenden Wechselkurse als Ursache für die auseinanderlaufenden Leistungsbilanzen und damit der Eurokrise erkannt haben, warum können Sie dann nicht noch den kleinen gedanklichen Schritt machen, dass man sich ein gemeinsames Wechselkursziel setzt(welches es auch gibt, nämlich das vorherige deutsche Ziel), dass jedes einzelne Land einhalten muss. Wenn man sich die Entwicklung der Euroländer in dieser Hinsicht anschaut, dann sieht man, dass auf beiden Seiten Anpassungsbedarf besteht. Dabei sind Innovationen oder FuE unerheblich.
Außerdem wäre eine Anpassung in Deutschland eindeutig wohlstandserhöhend, da dies nur über steigende Löhne passieren kann. Dadurch kann dann die Lücke zwischen Exporten und Importen über steigende Importe geschlossen werden.
GS
24. August 2013 @ 18:37
@kanzlerwurst
Wie schon mehrfach dargelegt, der hohe deutsche Außenhandelsüberschuss entsteht nicht im Handel mit der Eurozone, sondern mit dem Rest der Welt. Bitte noch einmal die Details bei destatis über den deutschen Außenhandel konsultieren.
ebo
24. August 2013 @ 18:56
@GS
Das macht die Sache aber nicht besser, eher noch schlimmer. Denn es bedeutet ja, dass sich die deutsche Wirtschaft zunehmend von Euroland abkoppelt, gleichzeitig aber von einer – für deutsche Verhältnisse – unterbewerteten Gemeinschaftswährung profitiert…
GS
25. August 2013 @ 11:45
ebo, aber das ist doch genau der Grund, warum der Euro keine gute Idee war und ist. Deutschland war ein Hartwährungsland, die Südländer waren alle Weichwährungsländer. Jetzt zwängst Du sie alle in eine Währungsunion und wunderst Dich hinterher, dass die Leistungsbilanzen wie eine Schere auseinander gehen. Nur komischerweise siehst Du die Anpassungslast primär bei Deutschland. Das ist falsch und massiv wohlstandsgefährdend. Denn dafür musst Du es von einem Hartwährungs- in ein Weichwährungsland transformieren. Aber die ökonomische Performance der Weichwährungsländer Südeuropas vor und nach Einführung des Euro kann doch nicht allen Ernstes ein Vorbild sein. Südeuropa ist die Region der permanenten Abwertung, des nicht sonderlich leistungsfähigen Wohlfahrtsstaates, der Innovationsnachzügler (die Innovations- und FuE-Statistiken für Südeuropa sind katastrophal – bitte mal reinschauen). Südeuropa hat nichts, was ökonomisch in irgendeiner Form positiv herausragt. Und daran soll sich die Währungsunion orientieren?
Der Euro hat der deutschen Bevölkerung einen ihrer zentralen Wohlstandspfeiler genommen: nämlich den preiswerten Konsum durch Import infolge der permanenten Aufwertung der DM.
kanzlerwurst
24. August 2013 @ 02:11
Und was ist jetzt der Schluss daraus? Dass Politiker äußerst selektiv mit Zahlen umgehen? Gähn.. Und dann immer diese Targetpanik. Hätte DE mal nicht eben ganz Europa niederkonkurrenziert (mit unterstützender Zinspolitik der EZB), in der Hoffnung, dass die Exporte irgendwann nach Jahrzehnten als Rente zurückgezahlt werden, sondern seine selbst gebackenen Brötchen auch zum Gutteil selber verfrühstückt, dann sähe das ganze Spektakel anders aus. Ein Außenbeitrag von €188Mrd(!) ist doch nicht normal so was. Exportüberschüsse ziehen eben auch Kapitalabfluss nach sich. Das Auslandsvermögen muss dann schon auch mal arbeiten dürfen; aber wenn man die Länder, in denen sich jetzt unter anderem deutsches Kapital befindet, lieber kaputt spart, meinetwegen. Im übrigen wollte ja scheinbar in Deutschland auch niemand was investieren, wie die mickrige Investitionsrate seit den 2000ern zeigt.
GS
23. August 2013 @ 11:19
Die Zahlen werden auch nach der Wahl nicht zu vermitteln sein. Oder glaubt einer ernsthaft, dass sich irgendein Politiker am 23.09. hinstellt und sagt: “Liebe Wähler, danke für Euer Vertrauen. Jetzt wird wieder Politik gemacht. Und übrigens, wir haben in den kommenden vier Jahren eine Billion weniger zum Ausgeben zur Verfügung. Sorry, wird leider nichts mit der neuen Autobahn/dem Kitaausbau/der Hochschulförderung/höherem Hartz IV.”
Johannes
23. August 2013 @ 10:32
Interessanter Text. Mehr davon!