Was Juncker beantwortet hat – und was nicht
Nun ist sie vorbei, die große SOTEU-Rede. Kommissionschef Juncker hat viel geredet, viel angekündigt, irgendwie war für jeden etwas dabei. Aber hat er auch etwas gesagt? Der Schnell-Check.
Bei dieser Überprüfung beschränke ich mich auf die fünf Fragen, die ich gestern auf diesem Blog aufgeworfen hatte. Dabei geht’s um Ganze:
- Brexit heißt Brexit: Will die EU sich weiter von Großbritannien an der Nase herumführen lassen? Oder gibt sie endlich eine eigene Antwort auf den geplanten ersten Austritt eines Mitgliedsstaates? – “Wir wären froh, wenn der Brexit-Antrag so schnell wie möglich kommen könnte”, so Juncker. Eine maue Antwort. Auch sonst fiel ihm zum Brexit nicht viel ein.
- Demokratie und Transparenz: Wie hält es die EU-Kommission mit Volksentscheiden, die regelmäßig gegen die EU ausgehen? Wo bleibt die versprochene Transparenz – siehe Barroso? – Keine Antwort. Der Name Barroso fiel nicht, die Demokratie nur im Zusammenhang mit den “großen demokratischen Nationen”, die die EU bilden.
- Bürgernähe: Ist die Abschaffung der Roaming-Gebühren alles, was Juncker einfällt? Und wie soll sie konkret aussehen – nun, da er seinen Digitalkommissar Oettinger zurückgepfiffen hat? Die Antwort soll heute Nachmittag kommen – aus dem Mund von Oettinger. Bis 2020 soll jede Stadt eine kostenlose Wifi-Zone haben. Toll!
- Sicherheit: Was will die EU konkret für die innere und äußere Sicherheit tun? Ist es wirklich eine gute Idee, ausgerechnet einen Briten mit der Sicherheitsunion zu betreuen? – Der Brite bleibt, die Sicherheitsunion wird zur Verteidigungsunion ausgebaut. Aber nur mit den Staaten, die sich freiwillig melden. Nicht sehr überzeugend.
- Rechtstaatlichkeit: Wann geht die EU endlich gegen Staaten wie Ungarn, Polen oder die Türkei vor, die die gemeinsamen Grundwerte mit Füssen treten? Wie antwortet Juncker auf Asselborn? – Gar nicht. Kein Wort zu Ungarn, kein Wort zur Türkei. JUncker bekräftigt nur, dass er gegen die Todesstrafe ist – eine Selbstverständlichkeit.
Fazit: Die Rede hat die großen, auch übergroßen Erwartungen enttäuscht. Es fehlt die Begeisterung, es fehlt ein roter Faden. Ein Wunschkatalog, der niemanden wirklich zufrieden stellt..
Moritz
14. September 2016 @ 19:55
Einen wirklich sehr guten Kommentar aus dem Blog Querschüsse zur Rede Junkers.
http://www.querschuesse.de/rede-zur-lage-der-europaeischen-union-jean-claude-juncker-ist-nicht-der-mann-der-die-eu-aus-der-krise-fuehren-kann/
Peter Nemschak
14. September 2016 @ 21:34
Machen wir uns nichts vor: solange die überwiegende Mehrheit der Bürger mehr Vorteile als Nachteile für sich persönlich in der derzeitigen EU sieht, wird sich nichts ändern. Auch wenn viele mit der jetzigen Führung unzufrieden sind, scheint eine Revolution nicht in Sicht zu sein. Warum sollte eine solche stattfinden? Eher wird ein Gewöhnungseffekt eintreten, wenn er es nicht schon ist. Deutschland als dem bevölkerungsreichsten Mitgliedsland geht es trotz der Flüchtlingsbelastung so gut wie nie zuvor. Selbst in Spanien ist trotz der sichtbaren sozialen Probleme der Erdrutschsieg der Linken ausgeblieben. Ungarn verhält sich nicht solidarisch mit den anderen EU-Mitgliedern in der Flüchtlingsfrage, weil es davon ausgeht, dass sich Solidarität für das Land nicht lohnt und ein Alleingang vorteilhafter ist. Mit anderen Worten: es geht den Mitgliedsländern nach wie vor zu gut. Es braucht ein von allen Mitgliedern gleichermaßen empfundenes Bedrohungsszenarium, um Solidarität entstehen zu lassen. Man muss nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass Gesellschaften, so wie beschrieben, funktionieren.
Skyjumper
15. September 2016 @ 12:27
@PeterNemschak
“Deutschland als dem bevölkerungsreichsten Mitgliedsland geht es trotz der Flüchtlingsbelastung so gut wie nie zuvor.”
Ihrer Kernaussage, also dass es der Mehrheit zu gut geht, stimme ich grundsätzlich zu. Richtiger wäre es allerdings es so zu beschreiben, dass die Mehrheit immer noch zu viel zu verlieren hat wenn sie die Revolution probte.
Dem oben stehenden Zitat stimme ich allerdings überhaupt nicht zu. Zum einen gibt es kein “Deutschland” dem es gut oder schlecht gehen könnte. Es gibt Menschen in Deutschland denen es gut oder schlecht geht. Und vielen geht es schlechter als in den 60ern, 70ern, 80ern, selbst noch in den 90ern. Einigen wenigen geht es besser. Einer immer kleiner werdenden Gruppe geht es gleich gut/schlecht.
Wenn man denn überhaupt das doch sehr abstrakten “Deutschland” betrachten möchte, dann muss man feststellen, dass die soziale Ungleichheit zugenommen hat. Über die Ursachen dafür kann man streiten, über den Sachverhalt als solchen nicht. Und auch wenn sich soziale Gleichheit meiner Überzeugung nach nicht erreichen lässt (und meiner Meinung nach auch nicht erstrebenswert ist), so führt eine zu starke Ungleichheit doch zu sozialen Spannungen die alles andere als gut für “Deutschland” sind.
Ich will nicht gerade sagen dass Sie da eine Falschaussage treffen, aber richtig ist die Aussage allenfalls bezogen für einen sehr engen Betrachtungszeitraum.