Roaming-Farce: Was steckt dahinter?
Die EU-Kommission hat ihren umstrittenen Vorschlag zur “Abschaffung” der Roaming-Gebühren zurückgezogen. Die Gebühren für die Handynutzung im Ausland sollten nur 90 Tage im Jahr wegfallen, nun schritt Behördenchef Juncker ein.
Er verspricht einen neuen Entwurf – offenbar war der Widerstand zu stark. Vor allem Verbraucherverbände hatten protestiert. Auch Junckers Parteifreunde aus der EVP-Fraktion waren unzufrieden.
Allerdings haben sie ihren Protest bisher nicht öffentlich gemacht. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Fraktionschef Weber (CSU) kalte Füsse bekommen hat, die Umfragen sind derzeit nicht günstig.
Kurz vor dem ersten Brexit-Sondergipfel der EU-Chefs und der Grundsatzrede Junckers nächste Woche konnten die Eurokraten schlecht mit dem Vorwurf leben, sie hätten ihre eigenen Versprechen verraten.
Bisher war nämlich eindeutig von einer Abschaffung der Roaming-Gebühren die Rede. Bleibt die Frage, wer oder was hinter dem 90-Tage-Entwurf steckt? War es nur ein Luftballon, um die Stimmung zu testen?
Und wurde die willkürliche Begrenzung auf Druck der Telekom-Lobby eingeführt? Vor allem “unser” deutscher Kommissar Oettinger wird da noch einiges zu erklären haben...
Claus
10. September 2016 @ 18:30
Wer schert sich eigentlich ernsthaft um Roaming-Gebühren und glaubt, dass sie einen signifikanten, nicht zu vermeidenden Einfluss auf die Lebenshaltungs- oder Betriebskosten haben und die EU-Bürokratie das unbedingt regeln muss? Sind sie mir zu hoch, fasse ich mich kurz. So what?
ebo
10. September 2016 @ 18:51
@Claus Doch, ich schere mich durchaus darum. Wer viel reist muss viele Gebühren zahlen. Im übrigen war die Senkung der Roaming-Gebühren eine der wenigen EU-Versprechen, die nach der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich 2005 wieder für den Eindruck sorgten, Brüssel kümmere sich um die Bürger…
Claus
10. September 2016 @ 21:40
@ebo: Ja, zugegeben, Sie gehören einer Berufsgruppe an, in der ausgedehnte Telefonate zum Geschäft gehören und die Kosten eine Rolle spielen.
Peter Nemschak
11. September 2016 @ 09:28
Die eingesparten Kosten werden Sie an anderer Stelle zahlen. Zum Teil werden die Telekomanbieter versuchen, ihre eigenen Kosten, vor allem Personalkosten, zu senken oder die Qualität des Angebots verschlechtern. Interessanter für den Konsumenten wäre eine Verpflichtung der Anbieter, nach einer bestimmten Zeit dem Konsumenten seine Telefongewohnheiten in standardisierter Form kostenlos bekanntzugeben und ihm das für ihn günstigste Tarifmodell vorzuschlagen. Damit hätte der Konsument die Möglichkeit unter den verschiedenen Anbietern den für ihn persönlich günstigsten auszuwählen. Wettbewerb ist nun einmal der effizienteste Kostensenker. Die EU sollte sich auf jene Gebiete beschränken, wo die Privatwirtschaft strukturell keine effizienten Lösungen anbieten kann. Genau so unsinnig ist das Verlangen der österreichischen Sozialisten Bankomatgebühren zu verbieten.
ebo
11. September 2016 @ 10:35
Zunächst ist das roaming eine gigantische Abzocke. In den USA oder in Russland können Sie gigantische Entfernungen zurücklegen, ohne Aufschläge zahlen zu müssen. Anders in der EU: Wenn Sie in Luxemburg oder Belgien leben, zahlen sie nicht nur erhöhte Grundgebühren, sondern nach einer Stunde Autofahrt auch noch Roaming fürs den “Übertritt” ins Nachbarland. Damit wird der Binnenmarkt ad absurdum geführt. Wenn die Abschaffung des Roaming zu teuer ist, könnten unsere Telekom-Anbieter ja wenigstens eine EU-Flat anbieten. Niemand hindert sie daran!
Skyjumper
10. September 2016 @ 20:12
@ebo
Die versprochene SENKUNG der Roaminggebühren hat doch seit 2005 bereits in 2 Stufen stattgefunden, oder täusche ich mich da jetzt?
Und was die unlimitierte Abschaffung anbelangt sollte man schon mal die Relationen im Auge behalten. Es gibt gewiss auch Bürger in Europa die sich, meist in irgendeiner Weise berufsbedingt, mehr als 90 Tage im europäischen Ausland befinden und die deshalb nachvollziehbar eine unlimitierte Abschaffung befürworten.
Die ganz überwältigende Mehrheit der Bürger wird dieses 90 Tage Limit jedoch sicherlich nicht annährend ausschöpfen. Für die Urlaubsreisen und den ein oder anderen Wochenendstädtetrip oder Freundesbesuch reichen die 90 Tage nämlich allemal. Hier nun den Schluß zu ziehen “Brüssel kümmere sich um die Bürger” nicht mehr, nur weil es statt unlimitiert nunmehr 90 Tage sein sollen, ist schon ein wenig vermessen.
Und etwas provozierend gefragt: Warum soll die große Mehrheit Mehrkosten an anderer Stelle akzeptieren (denn irgendwo werden die Kosten wieder eingefahren werden) damit eine kleine Minderheit nicht nur eine Verbesserung (90 Tage), sondern die ganz große Verbesserung (unlimitiert) bekommt?
Skyjumper
9. September 2016 @ 15:47
Der 90-Tage-Vorschlag war aus Verbrauchersicht (siehe Hinweise @Peter Nemschak) vernünftig, aber auch aus Sicht der großen EU-Staaten. Es wird nun wohl in den großen Staaten vorbei sein mit den umfangreichen Einnahmen aus den Versteigerungen der Mobil-Funk-Lizensen.
Den warum soll man als Telekomunternehmen noch Milliarden bezahlen, wenn die Kunden dann auf einer preiswerten Malta-Lizenz telefonieren und surfen?
Das war nicht der Sinn beim Entfall der Roaminggebühren, wird aber bei einem unbeschränkten Entfall das Ergebnis sein.
Peter Nemschak
9. September 2016 @ 12:20
Interessanter ist wohl die Frage, in welcher Form der Konsument die (vielleicht) vollmundig abgeschafften Roaming-Gebühren andernorts bezahlen muss. Wahrscheinlich ist es für den Konsumenten günstiger, während seines zweiwöchigen Urlaubs im Ausland etwas weniger zu telefonieren und die entstehenden Roaming-Gebühren zu bezahlen als für den Rest des Jahres erhöhte Grund- und Gesprächsentgelte in Kauf nehmen zu müssen. Der Wettbewerb unter den Telekomanbietern ist und bleibt der beste Schutzherr der Brieftasche des Konsumenten.