Warum die EU-Debatte so unproduktiv ist
Bist Du für die EU – oder dagegen? Auf diese simple Frage wird die Debatte oft verkürzt. Beim Schuldendrama um Griechenland war das so, beim Brexit läuft es ganz ähnlich – und bei der Europawahl könnte es noch platter werden.
Dabei müsste es doch möglich sein, differenzierter zu argumentieren. Mit Reformvorschlägen à la Macron, Szenarien à la Juncker, oder auch mit Ideen für eine andere, runderneuerte EU. All das wurde versucht – doch es lief ins Leere.
Woran liegt das? Gibt es Auswege aus diesem Dilemma? Eine französisch-deutsche Expertengruppe ist diesen Fragen nachgegangen – und zu interessanten Ergebnisse gekommen. Hier ein Auszug aus der “FAZ”:
Mangels eines europäischen öffentlichen Raumes kann das politische Europa derzeit nur auf nationaler Ebene debattiert werden. Da dies aber nicht die Ebene ist, auf der diese Politiken definiert werden, kann man hier nur debattieren, ob man sie (mit Hängen oder Würgen) „unterstützen“ oder aber ob man die EU verlassen soll. Albert Hirschmann hat gezeigt, dass sich Mitgliedern einer in der Krise oder im Abstieg befindlichen Institution drei Wege anbieten: Entweder sie erheben die Stimme, um sie zu reformieren (voice); oder sie weichen aus und verlassen die Institution (exit); oder sie bleiben selbst bei Unzufriedenheit loyal, ohne die Institution zu kritisieren oder zu verlassen (loyalty). Da die wirklichen Machthaber der EU (Kommission, Gerichtshof, Rat, Zentralbank) sich außer Reichweite der Wähler befinden, fühlen sich die Bürger ihrer „voice“ beraubt und damit nur noch vor die Wahl zwischen Loyalität und Exit gestellt. Nationale „Debatten“ über die EU finden sich so – karikaturenhaft – auf eine Auseinandersetzung zwischen Pro- und Contra-Europäern verengt. Wer am Funktionieren der EU Kritik übt, findet sich als „Contra“ eingeordnet. Die Zahl der Contras steigt unaufhörlich, mit ihr die Zahl der Parteien und Regierungen, die zur EU einen rein nationalen Blickwinkel einnehmen.
Gehorsam oder Exit – nach dieser Logik laufen tatsächlich immer mehr Debatten ab. Sie sind jedoch unproduktiv und heizen die Krise der EU an, so die Autoren:
Wir halten diese binäre Logik für falsch und selbstmörderisch. Es gibt nicht nur die blinde Unterstützung der europäischen Institutionen oder deren totale Zurückweisung. Schließt man die Möglichkeit, die EU in demokratischer Weise zu reformieren, ganz aus, so gerät man in das Scheindilemma zwischen Euro-Gläubigkeit und Euro-Nihilismus, das zum Zerfall der EU führt.
Dem ist nichts hinzuzufügen…
Ute Plass
26. September 2018 @ 17:55
“Ein anderes Europa ist möglich!”
Attac lädt gemeinsam mit dem Fachgebiet Globalisierung & Politik am FB Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel alle Interessierten zu diesem Europakongress ein!
https://www.ein-anderes-europa.de/start/
Peter Nemschak
26. September 2018 @ 21:58
Attac stellt den Kapitalismus fundamental in Frage, bietet aber keine Alternativen außer Utopien. Attac scheitert wie ihre anderen ideologischen Konkurrenten, Konservative und Rechte, an der Komplexität unserer Gesellschaften. Die Visionen der Rechten und Linken bauen letztlich auf eine “neuen” Menschen auf. Derlei Versuche sind im 20.Jhdt. gescheitert und haben bloß Millionen von Opfern hervorgebracht.
ebo
27. September 2018 @ 09:12
Attac stellt den Finanzkapitalismus infrage und bietet Alternativen, z.B. die Tobin Tax. Dass diese zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise immer noch nicht umgesetzt wurde, ist eine Beleidigung für Tobin und ein Armutszeugnis für die EU. Neuerdings ist sogar der deutsche Finanzminister Scholz (SPD?) davon abgerückt.
Baer
26. September 2018 @ 10:16
Wenn eine Institution,gleich welcher Couleur nicht für Vergehen belangt werden kann,dann läuft etwas gehörig schief.
Was das ganze EU Konstrukt mit Demokratie zu tun hat,kann ich nicht nachvollziehen.
Deshalb kann ich gut verstehen dass der nationale Gedanke mehr und mehr ins Bewusstsein der Menschen rückt.
Entweder es ändern sich die gesetzlichen Grundlagen für eine funktionierende EU, oder die EU wird sich grundsätzlich ,und irreparabel verändern.
Peter Nemschak
26. September 2018 @ 13:34
Welche institutionellen Grundlagen der EU müssten wie geändert werden, dass Ihr Bedürfnis nach mehr Demokratie gestillt wird? Welchen Einfluss hat der Einzelne in einer nationalen Demokratie?
Peter Nemschak
25. September 2018 @ 17:10
Gilt nicht das, was die Autoren für die Ebene der EU treffend dargestellt haben auch auf nationaler Ebene und darunter? Um in einem Diskurs, egal in welchem, sinnvoll partizipieren zu können, ist Wissen dessen Aneignung mühsam und zeitintensiv ist, notwendig. Wer über etwas nachdenkt, dem entgehen Eindrücke, und er glaubt irgend etwas zu versäumen. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei Bürgerbewegungen, wo der Anteil des harten Kerns der Aktivisten relativ gering ist und außerhalb des harten Kerns ein Kommen und Gehen statt findet. Wie viele Menschen wollen wirklich partizipieren oder begnügen sich vielmehr damit berieselt werden, außer sie sind in ihrer persönlichen Lebenswelt von einem Thema unmittelbar betroffen? Aufreger gibt es genug, ihre Halbwertszeit scheint jedoch immer kürzer zu werden. Die Überflutung mit Informationen provoziert eine Sucht nach immer mehr. Kein Wunder, dass sich Burn-Out ausbreitet.