„Macrons Reformen versanden“ – Merkels Macht schwindet
Vor einem Jahr hat Frankreichs Staatschef seine proeuropäische Ruckrede in der Sorbonne gehalten. Sie war vor allem an Kanzlerin Merkel adressiert. Nun stecken beide im Schlamassel – Macron und Merkel. Und was wurde aus den Reformen?
Macron habe 49 Einzelvorschläge gemacht, heißt es in Paris. Bei 22 davon, also knapp der Hälfte, sei eine Einigung erreicht oder in Sicht. 18 Vorhaben seien zwar auf den Weg gebracht, aber ein Kompromiss stehe noch aus.
Darunter finden sich allerdings „große Brocken“ wie die faire Besteuerung der Internet-Konzerne oder der Eurozonen-Haushalt. Beides stößt bei Merkel auf hinhaltenden Widerstand.
Und von Macrons ganz großen Visionen – der „Neugründung“ der EU mit einer demokratisch legitimierten Eurozone und einem eigenen Finanzminister – ist nichts übrig geblieben.
„Die EU-Reform ist versandet„, zieht „Le Monde“ eine vorläufige Bilanz. Die Schuld sucht das Blatt vor allem bei Merkel, die seit der Bundestagswahl so sehr geschwächt sei, dass sie nicht mehr mitziehen konnte.
Diese Analyse scheint mir indes zu kurz gegriffen. Denn sowohl mit den Grünen als auch mit der SPD wäre eine große EU-Reform möglich gewesen. Dafür hätte Merkel allerdings politisches Kapital investieren müssen.
Genau das hat sie nicht getan. Macrons Fehler war es, sich dennoch auf Merkel zu verlassen. Das hat er zwar inzwischen eingesehen – nun wirbt er in ganz EUropa für seine Ideen. Doch das „Window of opportunity“ hat sich geschlossen, rien ne va plus…
Siehe auch die Beiträge zum „Aufbruch für Europa“, z.B. hier
WATCHLIST:
- Wie geht es in Deutschland weiter? Nach der Abwahl von CDU/CSU-Fraktionschef Kauder hat Kanzlerin Merkel eine Niederlage eingestanden – die zweite binnen weniger Tage. Hat sie nun nur ein wenig „Beinfreiheit“ verloren, wie es die „Tagesschau“ ausdrückt, oder ist das der Anfang vom Ende ihrer Macht?
- Wie geht es in Schweden weiter? Regierungschef Löfven hat eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren. Dabei stimmten die vier Parteien des bürgerlichen Lagers zusammen mit den rechten Schwedendemokraten. Das soll aber auch die einzige Gemeinsamkeit bleiben – eine Koalition will niemand mit den Schmuddelkindern eingehen. Und nun?
WAS FEHLT?
- Transparenz im Europaparlament. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss das Parlament Dokumente zu den pauschalen Bürokosten der Abgeordneten nur dann herausgeben, wenn die damit verbundene Einschränkung der Persönlichkeitsrechte gerechtfertigt ist. Geklagt hatte eine Gruppe investiver Journalisten – sie wurden abgewiesen.
Peter Nemschak
26. September 2018 @ 12:29
Es werden neue windows of opportunities aufgehen, dazu bedarf es weder eines Macron noch einer Merkel. Wie beim Fußball gibt es auch in der Politik Überraschungen, welche das Interesse an beiden wach halten. Die kommenden Europawahlen werden ein wichtiger Meilenstein für die weitere Europäisierung sein. Die Macht des europäischen Parlaments mag beschränkter als die der nationalen Parlamente sein, seine zukünftige politische Zusammensetzung wird aber Signal- und Schubwirkung auf die politische Entwicklung des Rechtspopulismus in den nationalen Parlamenten haben. Dass Macrons innenpolitischer Glanz verblasst, ist hausgemacht und hat nichts mit Merkel zu tun.