Warum alles deutsch wird
Heute treffen sich die EU-Finanzminister in Brüssel, um letzte Hand an die Bankenunion zu legen. Die neuen Regeln tragen eine deutsche Handschrift – wie zuvor schon der Euro-Plus-Pakt, der Fiskalpakt und der ESM-Vertrag. Wieso wird eigentlich alles deutsch?
Es ist immer dasselbe Lied. Erst wird – wegen der angeblich längst ausgestandenen Krise – eine Reform der Währungsunion fällig. Frankreich, Italien, Spanien und die EU-Kommission machen Vorschläge.
Doch Berlin sagt nein – um schließlich doch mitzuziehen. Allerdings nach deutschen Regeln. Am Ende kommt etwas heraus, das zwar noch den Namen des Projekts trägt, aber ganz anders funktioniert.
Wie ist das möglich? Hier eine nicht ganz ernst gemeinte Regieanweisung aus dem Hause des Doktor Schläubel. Ähnlichkeiten mit realen Ereignissen der letzten Monate sind rein zufällig 🙂
1. Man behaupte, dass es im EU-Vertrag keine Rechtsgrundlage gibt (Berlin weiß das natürlich besser als Brüssel).
2. Man lehne alle Vorschläge ab und lasse sechs Monate verstreichen (ideal sind Ferien- und Wahlkampfzeiten).
3. Man lege eine Liste von Bedingungen vor (mindestens zehn, davon mindestens eine mit Verweis auf das BVerfG).
4. Man lasse nochmal ein paar Wochen verstreichen, betone aber, dass man mit Hochdruck an einer Lösung arbeitet.
5. Man hole Finnen und Niederländer ins Boot und verabrede, dass sie im Zweifel noch härter auftreten als Deutschland.
6. Man organisiere Treffen mit den Franzosen, die begeistert sind, dass sie doch noch gefragt werden und neun von zehn Bedingungen schlucken. Zum Dank kriegen sie ein Pöstchen 😉
7. Man lade alle zum “Gebet” nach Berlin (offiziell wird dies natürlich als informelles Freundschaftstreffen deklariert).
8. Man lasse die zehnte Bedingung von den anderen abnicken und gebe das Ganze als “guten Kompromiss” aus.
9. Sobald alle zugestimmt haben, rudere man wieder zurück, um noch ein paar eigene Zugeständnisse rückgängig zu machen.
10. Man warte bis fünf vor Zwölf, z.B. kurz vor dem EU-Gipfel. Dann ist alles deutsch & gut. Merkel kann kommen und absahnen.
P.S. Bitte fragen Sie die Kanzlerin nicht, was das eigentlich beschlossen wurde und warum es so fürchterlich kompliziert ist. Sie hat nämlich keine Ahnung. Das Ganze war ja nicht ihre Idee…
Siehe zu diesem Thema auch “Nachruf auf die Bankenunion II”
Peter Nemschak
18. Dezember 2013 @ 09:03
In den 60-iger Jahren war der Wunsch nach europäischer Einigung besonders stark ausgeprägt, weil eine Generation, welche die Katastrophen des 20.Jahrhunderts hautnah erlebt hat, die Politik bestimmte. Diese Motivation ist heute weitgehend verschwunden. Sicherheit wird als Selbstverständlichkeit empfunden. Die Befriedung von ex-Jugoslawien, um ein Beispiel zu nennen, ist zum guten Teil der Strahlkraft der EU zu verdanken. Erschreckend, wie kurz das historische Gedächtnis der Menschen ist, ihr Mangel an Einfühlungsvermögen in die Geschichte und die Mechanismen, die sie treibt. Die Anziehungskraft radikaler politischer Kräfte auf die Menschen zeigt, wie erschreckend gering bei vielen Menschen die Fähigkeit zur Selbstreflexion ausgeprägt ist. Es lohnt sich daher für ein geeintes Europa zu kämpfen. Nur Mut ebo!
fufu
18. Dezember 2013 @ 13:14
1. “die Befriedung Jugoslawiens”, in welcher Welt leben Sie denn, haben Sie Ihre Informationen aus der Tagesschau, waren Sie schon nach dem Krieg in Jugoslawien oder kennen Sie Leute verschiedener Ethnien dort ?
2. ” Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht hat letztere nicht verdient”, stammt leider nicht von mir.
GS
17. Dezember 2013 @ 16:47
@ebo
Nur leider ist das alles völliges Wunschdenken. Wie soll denn in einem so heterogenen Wirtschaftsraum wie der Eurozone eine Politik gemacht werden, die ernsthaft als “europäisch” bezeichnet werden kann. Das ist, m.E., nicht möglich, weil die Länder einfach zu verschieden sind, um sinnvolle Kompromisse finden zu können.
Letztes Jahr hat ein Analyst von JP Morgan doch mal die Eurozone mit anderen, hypothetischen, Währungsunionen hinsichtlich der Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Strukturen der Mitgliedsländer verglichen und ist dann zu folgendem Ergebnis gekommen: http://www.theatlantic.com/business/archive/2012/05/the-funniest-graph-ive-ever-seen-about-why-the-euro-is-totally-doomed/256793/
Peter Nemschak
17. Dezember 2013 @ 17:37
Die Hoffnung, durch eine gemeinsame Währung gemeinsame Strukturen herzustellen, war zu optimistisch und ist einer Ernüchterung gewichen. Zumindest dauert der Strukturwandel länger als erhofft. Solange rechtsradikale Gruppierungen nicht die Oberhand bekommen, wird der europäische Weg weiterverfolgt werden, weil “alternativenlos” (ein Unwort dieses Jahres). Immerhin ist bereits viel erreicht worden: offene Grenzen, Studienmöglichkeiten für die Jungen und eine Reihe anderer Annehmlichkeiten, die zur Selbstverständlichkeit geworden sind, nicht zu vergessen, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der nationalen Gesetzgebung seinen Ursprung in Brüssel hat. Bei aller Kritik will eine Mehrheit der Bürger Europas nicht nur die Union sondern, dort wo er Währung ist, auch den Euro behalten, allen Unkenrufen zum Trotz.
fufu
17. Dezember 2013 @ 19:21
Sie muessen abwaegen. Offene Grenzen gab es schon in den 60er Jahren (ausser gegen den Ostblock, aber das ist nicht Verdienst der EU), Studienmoeglichkeiten genauso, ja Geldumtausch war noetig dafuer war die DM einigermassen stabil, von hoher Kaufkraft, und die Italiener und Franzosen konnten abwerten und weiter wursteln und sind dabei wohlhabend geworden. Das geldverschlingende lobbyverseuchte Monster in Bruessel gab es nicht. Dass eine Mehrheit der Buerger die Union und den Euro will kann ich nicht bestaetigen, in allen Laendern der EU interessieren nur nationale Belange,die Union interessiert so gut wie niemanden (stimmt nicht ganz, manchmal greift man auch gerne irgendwelche EU-Hilfen ab, das ist aber alles), lediglich den Euro wollen die meisten (noch) nicht aufgeben, aber nicht aus Liebe zu Europa sondern aus Angst um die Ersparnisse.
Vorteile fuer die Buerger Europas aus dieser ihnen aufgezwungenen Struktur sehe ich nicht, Nachteile schon, Vorteile allenfalls fuer einige multinationale Konzerne. Aber fuer diese wurde die EU ja geschaffen.
Peter Nemschak
17. Dezember 2013 @ 16:28
In der Ausgabe der Foreign Affairs May/June 2012 erschien ein lesenswerter Artikel von Andrew Moravcsik: Europe after the Crisis. How to Sustain a Common Currency, der zu ähnlicher Einschätzung kommt. A. Moravcsik ist Professor of Politics and International Affairs and Director of the European Union Program an der Princeton University.
Peter Nemschak
17. Dezember 2013 @ 15:53
Leider haben sie recht. Aber setzt nicht Merkel nur das um, was die Mehrzahl der Deutschen im Stillen fühlt, ohne es aussprechen zu wollen. Bei den Bürgern anderer Staaten, kann ich mir vorstellen, wird es nicht anders sein. Nicht nur ich sondern andere Beobachter meinen, dass, was die europäische Einigung (Bundesstaat) betrifft, das Maximum in dieser Generation erreicht ist. Mehr wollen die Menschen derzeit nicht.
torsten
17. Dezember 2013 @ 08:55
So,so, alles wird deutsch? Die Vorschläge der nichtdeutschen Eurozonenmitglieder liefen darauf hinaus, die Einlagensicherung der deutschen Banken und Sparkassen den Mittelmeerländern zugäglich zu machen. Wäre das in Ihrem Sinne? In meinem nicht! Alle EU-Länder vertreten mittlerweile nationale Interessen, verplanen also gerne das Geld (besser: die dafür aufgenommenen Kredite) der Nordländer. Nur Deutschland soll weiterhin europäische gegen die eigenen Interessen vertreten. Ihre Kritik müsste sich gegen die Bankenrettung an sich aussprechen und nicht gegen deutsche Konzepte: bilang werden Banken mit Steuergeldern gerettet, man ließe sie besser pleite gehen. Geashäfts-Banken, die zocken, dem Mittelstand keine Kredite geben und den Sparer mickrige Zinsen, sind samt und sonders überflüssig. Sparkassen und Volksbanken reichen für die nötige Versorgung vollkommen aus. Diese verfügen übrigens über eine eigene Einlagensicherung. Würden Sie diese auch gern den Südländern zugänglich machen ? Ich nicht.
norbert.assler
17. Dezember 2013 @ 09:54
Was nützt eine Einlagensicherung im Ernstfall ?
Wenn eine große Bank kippt und die Einlagensicherung greift, rennen vielleicht andere auch los und holen sich ihr Bargeld !
Die Einlagensicherung ist ein Tropfen auf dem Heissen Strein !
Wenn das Vertrauen zerstört ist, und Bürger merken, daß Papiergeld völlig ungedeckt ist, geht es ganz rasch !
Peter Nemschak
17. Dezember 2013 @ 11:43
Warum alles deutsch wird? Damit es nicht französisch oder gar italienisch wird. Auch Frankreich ist nur so lange bereit, nationale Kompetenzen an Europa abzugeben als es ein Europa nach französischem Muster wird. Italienische Verhältnisse wollen die wenigsten Bürger nicht nur in Deutschland. Für den Schweizer Bürger wäre das Staatsverständnis der Italiener nur schwer nachvollziehbar. Banken gehören nach wie vor zu den (ungeliebten) Heiligtümern der Nationen, die man sich etwas kosten lässt. Solange historisch gewachsene unterschiedliche Auffassungen bezüglich der anzustrebenden Wirtschaftsverfassung in Europa bestehen, wird sich daran wenig ändern. Der französische Etatismus ist den liberalen Engländern ein Dorn im Auge, der deutsche Mittelstand den Franzosen fremd. Frankreich und Italien sind jedenfalls für Deutschland, Österreich, Holland und die Schweiz keine wirtschaftlichen Vorbilder, eben sowenig England mit seinen anglo-sächsischen Traditionen. Die europäische Einigung ist in Friedenszeiten ein mühseliger und aufreibend langsamer Prozess. Schneller geht es nur unter dem Eindruck einer säkularen Katastrophe, die sich allerdings niemand wünscht.
ebo
17. Dezember 2013 @ 13:22
Es sollte aber weder deutsch noch französisch oder italienisch werden, sondern EUROPÄISCH, d.h. mit gemeinsamen Regeln, gemeinsamen Finanzmitteln, und nach der GEMEINSCHAFTSmethode. Merkel hingegen macht alles zwischenstaatlich, mit Verträgen neben der EU. Damit baut sie ein neues, demokratisch NICHT kontrolliertes Spinnennetz, mit Berlin als Zentrum.