Desinformation aus Berlin (Update)

Für deutsche Exporte soll es keine Grenzen geben, oder?

Um die neuen Spielregeln der EU für den Euroraum ist ein Streit zwischen Brüssel und Berlin entbrannt. Der grüne Europaabgeordnete und Finanzexperte S. Giegold wirft dem Bundesfinanzministerium vor, “Desinformation” zu betreiben. Es geht um die Frage, ob die EU-Kommission künftig auch den deutschen Leistungsbilanz-Überschuss rügen und bestrafen darf. Berlin leugnet dies, Giegold hält dagegen. 

Wie bereits in diesem Blog berichtet, hat das EU-Parlament einem Kompromiß zum so genannten “Sixpack” zugestimmt. Er sieht eine stärkere Überwachung der Mitgliedstaaten und härtere Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Regeln vor. Unter anderem sind Strafen von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung geplant, wenn die EU-Vorgaben etwa zum Budgetdefizit mißachtet werden. Bis zuletzt war umstritten, ob es automatische Sanktionen für “Defizitsünder” geben würde. Deutschland war dafür, Frankreich dagegen.

Bei den monatelangen Verhandlungen waren auch die Leistungsbilanzen ein Thema. Der Sprecher von Bundesfinanzministerer Schäuble sagte, dass nach dem Kompromiß keine Sanktionen vorgesehen wären, damit Eurozonenmitglieder mit Überschüssen diese abbauen. Das sei falsch, so Giegold: 

“Das Bundesfinanzministerium betreibt hier Desinformation. Der gestern zwischen Europarlament und Rat gefundene Kompromiss lässt keinerlei Zweifel: zukünftig müssen auch Mitgliedsstaaten mit Leistungsbilanzüberschüssen, wie Deutschland, diese abbauen. Eine Fortsetzung der Vogel-Strauß-Politik wird nicht weiterhelfen, denn dann drohen Sanktionen.Stellt die Kommission fest, dass die Maßnahmen eines Mitgliedsstaates nicht ausreichend waren, können die Länder eine Negativentscheidung nur verhindern, wenn im Rat eine umgekehrte qualifizierte Mehrheit dagegen stimmt (Artikel 10 Ferreira Bericht). Bei einer Zustimmung zum Negativurteil der Kommission drohen dem Mitgliedsstaat Sanktionen (siehe Haglund Bericht Artikel 3). Auch in diesen Schritt des Verfahrens fällt die Ratsentscheidung quasi-automatisch mit umgekehrter qualifizierter Mehrheit.Der Kompromiss mit seinen Sanktionsmöglichkeiten weist die
wirtschaftspolitische Einäugigkeit Deutschlands in die Schranken: Es muss nun endlich etwas unternehmen, um seine Überschüsse zu verringern, und damit einen Beitrag zur Lösung des Problems dervolkswirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone leisten. 500 Mrd. Euro Leistungsbilanzüberschüsse mit den Euro-Partnern seit Beginn der Währungsunion waren eindeutig zu viel.”

Ob Giegold richtig liegt oder das BMF, kann ich nicht entscheiden, denn mir liegt der Kompromiß noch nicht vor. Sinnvoll wäre eine Kontrolle der Überschüsse auf jeden Fall – denn sie sind die Kehrseite der Defizite, die den Euro in die Krise getrieben haben. Die deutsche Sicht, nur die Defizite abzubauen, die Überschüsse aber nicht anzutasten, könnte nur funktionieren, wenn alle Euroländer Exportweltmeister würden…und der Rest der Welt Defizite à la Griechenland macht. Der Wirtschaftsweise Bofinger sprach deshalb auf SPON vom “fatalen Irrtum der Stabilitätsfanatiker”

Aber das will man in Berlin immer noch nicht wahr haben…

Nachtrag 20.9.11

Der “Tagesspiegel” ist der Sache nachgegangen – offenbar hat Berlin tatsächlich falsch informiert. Die EU-Kommission erhält sehr wohl die Möglichkeit, gegen Deutschlands Leistungsbilanzüberschuß vorzugehen – wenn es diesen für “übermäßig” hält. Allerdings sind die Kriterien noch nicht definiert, heißt es in dem Bericht.



 

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