Türkei: Wer hört noch auf das Europaparlament?

Die EU-Spitzen statten Sultan Erdogan einen Höflichkeits-Besuch in Ankara ab. Sie wollen ihre “positive Agenda” vorantreiben, auch wenn Erdogan gerade die Opposition ausschaltet und die endgültige Teilung Zyperns vorbereitet. Warnungen aus dem Europaparlament verhallen ungehört.

Wer hört noch auf das Europaparlament, wenn es um die Türkei geht? Diese Frage muß man sich seit 2016 stellen, als Kanzlerin Merkel ihren Flüchtlingsdeal ausgehandelt hat. Die EU-Abgeordneten wurden nicht gefragt, ihre massive Kritik wurde übergangen.

Fünf Jahre später sieht es kaum besser aus. Das Parlament hat zwar mit einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gedroht und Sanktionen wegen der Provokationen im östlichen Mittelmeer gefordert. Doch das scheint die EU-Spitzen nicht zu kümmern.

Nicht einmal EVP-Fraktionschef Manfred Weber dringt durch. Er gehört zwar derselben Partei an wie Frau von der Leyen, die nun nach Ankara reist, und wurde von Merkel einst zum Spitzenkandidaten für die Europawahl erkoren. Doch seine Meinung zählt nicht.

Im “Tagesspiegel” forderte Weber jetzt, die (von Merkel versprochenen) Visa-Erleichterungen an die Medienfreiheit und den Schutz der Grundrechte zu knüpfen. “Die türkische Führung muss zunächst einmal liefern”, schrieb der CSU-Mann auf Twitter.

“Nachösterliche Pilgerfahrt”

Noch weiter geht die Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen. “Die EU-Spitzen setzen mit ihrer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei das ganz falsche Signal”, sagte sie. Die “nachösterliche Pilgerfahrt nach Ankara” stärke dem Autokraten Erdogan den Rücken.

Doch egal ob von EVP, Linken, Sozis oder Grünen – die EU-Spitzen ignorieren die Meinung der Abgeordneten. Ihnen wird daher nichts anderes übrig bleiben, als sich auf die Hinterbeine zu stellen und mit einem “Nein” zu neuen Milliarden für Erdogan zu drohen.

Anders als vor fünf Jahren soll die EU-Hilfe für syrische Flüchtlinge in der Türkei diesmal aus dem EU-Budget gezahlt werden. Dies ist ein starker Hebel für die Europaabgeordneten – wenn sie es ernst meinen. Aber meinen Sie es wirklich ernst, Herr Weber?

Siehe auch: “Sie reden von Menschenrechten – und fördern die Türkei

P.S. Auch hier darf man fragen, was denn eigentlich ein EU-Parlament für eine Berechtigung hat, wenn ihre Beschlüsse von höherer Ebene ignoriert werden? Dies fragt “telepolis” in einem lesenswerten Beitrag zur deutschen Syrien- und Türkei-Politik. Mehr zu Syrien hier