Sommerserie: Warum gibt es Sanktionen gegen Russland?
In Europa herrscht wieder Krieg – und die EU kämpft mit. Wie konnte es dazu kommen, und wo soll das alles enden? Unsere Sommerserie versucht, die wichtigsten Fragen zu beantworten. Heute: Wie kam es zu den Sanktionen gegen Russland, und was bringen sie?
Die Sanktionen werden meist als Antwort auf den Ukraine-Krieg präsentiert. Die EU habe auf die “russische Agression” reagieren müssen, heißt es. Sanktionen seien für eine Wirtschaftsunion eine naheliegende Lösung.
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Die Fakten sprechen allerdings eine andere Sprache. Die Sanktionen wurden nämlich bereits Monate vor Beginn des Krieges vorbereitet, wie Kanzler Scholz eingeräumt hat. Über den Stopp von Nord Stream 2 wurde sogar seit Jahren gestritten.
Die Initiative ging von den USA aus, die sich mit der EU und Deutschland abgestimmt haben – mal freundschaftlich, mal ruppig. Die Fäden liefen bei Sicherheitsberater Jake Sullivan im Weißen Haus zusammen, der einen direkten Draht zur EU-Kommission hält.
Quelle: FAZ
Schon beim EU-Gipfel im Dezember 2021 – zwei Monate vor Beginn des Kriegs – waren die “massiven Sanktionen” das alles beherrschende Thema. Sogar Details wie der Ausschluß russischer Banken von SWIFT wurden diskutiert.
Damals hieß es noch, die Strafmaßnahmen sollten zur Abschreckung dienen und einen Krieg verhindern. Da die Nato keine Sanktionen gegen Russland verhängen könne, müsse die EU einspringen und ihre Wirtschaftskraft in Stellung bringen.
Doch kaum dass die russische Invasion begonnen hatte, wurde aus der Abschreckung ein Wirtschaftskrieg – also eine zweite Front. Es gehe darum, Russland zu “ruinieren”, sagte Außenministerin Baerbock. Ähnlich äußerte sich Frankreichs Finanzminister Le Maire.
Ncht nur die Begründung – “das Narrativ” – wurde über Nacht geändert. Auch die Methode wurde angepasst. Die EU rückte von dem ursprünglich angekündigten einmaligen Sanktions-Hammer ab und erließ immer neue Sanktionspakete.
Dabei geriet auch der strategisch wichtige Energiesektor ins Visier der Europapolitiker. Die EU-Kommission verkündete im Mai das Ziel, sich von russischen Energielieferungen “unabhängig” zu machen und brachte ein Kohle- und Ölembargo auf den Weg.
Die Sanktionen wurden jedoch derart dilletantisch vorbereitet und umgesetzt, dass sie bald auf die deutsche und europäische Wirtschaft zurückschlugen. Im Winter (2022) drohe ein “perfekter Sturm”, räumt nun sogar EU-Chefdiplomat Borrell ein.
Die EU präsentiert sich als Leidtragende
Borrell weigert sich jedoch, einen Zusammenhang zwischen den EU-Sanktionen und der russischen Reaktion etwa bei der Gasversorgung herzustellen. Der Wirtschaftskrieg sei von Kremlchef Putin zu verantworten, der “Energie als Waffe” nutze, heißt es in Brüssel.
Dieses neue, von den Medien eifrig verbreitete Narrativ hat den Vorteil, dass sich die EU als Leidtragende des Kriegs präsentieren und den Bürgern immer neue Opfer abverlangen kann. Eine rationale Begründung für die Sanktionen liefert es jedoch nicht.
Fazit: Ursprünglich sollten die Sanktionen den Krieg verhindern oder verkürzen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Deshalb wurden die Strafmaßnahmen ausgeweitet, auch auf den Energiesektor. Dies hat jedoch negative Folgen für Deutschland und die EU – was zur Legitimierung neuer Strafen genutzt wird.
Alle bisherigen Beiträge zum Krieg in der Ukraine hier
Weiterführende Links
Rat der EU: EU sanctions against Russia explained
Josep Borrell: Europe’s energy balancing act
Peterson Institute: Russia’s war on Ukraine – A sanctions timeline
Burkhart Braunbehrens
6. August 2022 @ 13:00
Hallo EBO
liest Du auch andere Zeitungen, z.B. die Welt am 27.7. einen ausführlichen Artikel über Die seltsamen Verzögerungen von Kanzler Scholz.
Der letzte Satz passt auch gut in die Wirtschaftspolitik: „Je später Scholz der Ukraine mit Waffen beim Gewinnen hilft, desto härter wird unser Winter“
ebo
6. August 2022 @ 17:28
Na klar, hab sogar ein digitales WELT-Abo. Aber der Schwerpunkt ist und bleibt EUropa. Wenn ich jede Windung und Wendung von Scholz & Co. kommentieren wollte…
Diese WELT-Geschichte ist übrigens auch interessant : https://www.welt.de/kultur/plus240130237/Selenskyj-Offshore-Konten-und-Wagnergate-geheime-Geschaefte-des-Praesidenten.html
european
7. August 2022 @ 15:05
Ich bin keine Welt-Leserin, kann daher nichts zum Inhalt dieses Artikels sagen, aber über diese Offshore connections Selenskyj’s hat der Guardian schon im Oktober 2021 berichtet.
https://www.theguardian.com/news/2021/oct/03/revealed-anti-oligarch-ukrainian-president-offshore-connections-volodymyr-zelenskiy
Wie lange es wohl dauern wird, bis man sich für diese Berichte entschuldigen wird?
Amnesty “bedauert” auch, dass der gestrige Bericht über die menschenverachtenden Kriegstaktiken der Ukraine solche Probleme bereitet hat.
https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-amnesty-idCAKBN2PD09B
Nicht wirklich geklärt wurde m. E. auch, warum sich auch die Ukraine nie an die Minsker Abkommen gehalten hat.
Zurück auf den Sockel, Säulenheiliger 😉
Kleopatra
6. August 2022 @ 08:27
Russland bricht das Völkerrecht gegenüber der Ukraine nicht erst seit dem 24. Februar, sondern mindestens seit 2014 (Krim-Invasion, Donbass). Deshalb gab es schon vor diesem Februar Sanktionen, und deshalb war es ein gravierender Fehler der deutschen Politik, sich weiter von Russland abhängig zu machen. In diesen Zusammenhang gehört die Kritik an NS2. Russland hat Gas immer als politisches Druckmittel eingesetzt, in Deutschland fiel dies nur nie auf, weil das D bisher nicht betraf. Vernünftige Staaten Mittel- und Osteuropas, die Russland kennen und richtig einschätzen (wie Litauen), haben beizeiten auf die Unabhängigkeit von Russland als Lieferant hingearbeitet. Merkel tut heute so, als habe sie immer gewusst, was Putin für ein Charakter ist; aus Opportunismus und Rücksicht auf sozialdemokratische Russophilie hat sie nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen.
KK
5. August 2022 @ 16:41
„Die Initiative ging von den USA aus…“
Habe noch die Antwort Bidens auf die Frage eines Journalisten auf der gelegentlich des Scholz-Besuchs in Washington in Ohr, ob denn NS2 im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine gestoppt werden würde, dass die USA dafür sorgen würde, worauf sich der Journmalist verlassen könne.
Da habe ich mir die Frage gestellt, ob da ggf. US-Bomben auf die Pipeline bereits eingeplant waren, sollte sich die Bundesregierung nicht anders nötigen lassen… aber wie wir gesehen haben, reichen derart verklausulierte Drohungen bereits aus, damit Deutschland vor dem „grossen Bruder“ widerspruchslos kuscht! Vielleicht weiss die NSA durch ihre Abhöraktionen aber auch Details aus den Leben unserer Politiker, die diese erpressbar machen, ohne dass es irgendeiner anderen Bombe bedarf?
Wer solche Freunde hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr.
Alexander
5. August 2022 @ 15:05
Ich kann nicht sagen, wie vertrauenswürdig die Seite ist, aber vielleicht mag ja jemand recherchieren?
“India faces shortage as Germany diverts GAIL LNG shipments from Russia”
https://frontierindia.com/india-faces-shortage-as-germany-diverts-gail-lng-shipments-from-russia
Günter Agthe
5. August 2022 @ 13:35
Ziemlich falsch! Die osteuropäischen Staaten haben Deutschland schon sehr lange wegen der Ostseepipeline kritisiert. Insbesondere Polen und das Baltikum haben immer wieder auf die Gefahren hingewiesen, die Deutschland durch zu große Abhängigkeit von russischem Gas drohen! Wenn es noch eines Beweises bedurfte für die Richtigkeit der Hinweise, dann ist es die unmenschliche Aggresssion durch das verbrecherische Putin Regime!
Alexander
5. August 2022 @ 16:02
Dass osteuropäische Länder auch deshalb so verärgert wegen der Ostseepipelines sind, weil ihnen erstens Transitgebühren verloren gehen, sie zweitens politischen Einfluß verlieren, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ggf. die Verbindungen zu kappen und drittens kein Gasklau mehr möglich ist, der in der korrupten Ukraine offenbar als Gewohnheitsrecht betrachtet wird, ist in Ihren Augen dann wohl nur russische Propaganda? Außerdem vermisse ich Vorschläge, woher Sie Ihr Gas denn gerne hätten! Wahrscheinlich einfach aus dem Gashahn?
Armin Christ
6. August 2022 @ 18:19
Und nun lassen sich Polen, Litauen und Co. russisches Gas aus deutschen Speichern ranpumpen. Verlogener als ihr großer Bruder USA.
Kleopatra
7. August 2022 @ 08:19
Womit belegen Sie diese Behauptungen und wie meinen Sie sie konkret? Dass Gas zwischen EU-Mitgliedstaaten hin und her gehandelt werden kann, ergibt sich ua. aus dem Unionsrecht. Litauen hat schon vor Jahren mit dem Bau von LNG-Terminals begonnen und kann sich vollkommen unabhängig von Russland versorgen. Wenn in Polen die Gasspeicher voll sind und in Deutschland nicht, liegt das u.a. daran, dass die deutsche Politik so schafsdumm war, den Verkauf wichtiger deutscher Gasspeicher ausgerechnet dem russischen Staatsbetrieb Gazprom zu genehmigen, der sie im letzten Jahr gezielt leerlaufen ließ. Daraus, dass die Polen und Litauer die Hinterlist der russischen Seite seit langem gesehen und vorgesorgt haben, während die Deutschen aus naiver sentimentaler Russophilie sich von Russland immer stärker abhängig gemacht haben, kann ihnen niemand einen Vorwurf machen.