Scholz und die EU, Putin und der “Sieg” – und Selenskyj und der Karlspreis
Die Watchlist EUropa vom 08. Mai 2023 – Heute mit einer Rede von Kanzler Scholz im Europaparlament, der Militärparade in Moskau zum “Tag des Sieges” – und dem Karlspreis für den ukrainischen Staatschef Selenskyj.
Das wird eine bedeutungsschwangere Europa-Woche. Am Dienstag, dem Europatag, redet Kanzler Scholz im Europaparlament in Straßburg.
Ebenfalls am Dienstag nimmt Zar Putin in Moskau die Militärparade in Moskau zum “Tag des Sieges” der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ab.
Und am Sonntag will der ukrainische Präsident und EU-Anwärter Selenskyj den Karlspreis in Aachen in Empfang nehmen. Zuvor wird er in Berlin erwartet.
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Alle drei Ereignisse hängen miteinander zusammen – und könnten das weitere Schicksal EUropas prägen. So will Scholz am 9. Mai seine Sicht auf “die aktuelle Lage und die Zukunft der Europäischen Union” vorstellen, sagte Vizeregierungssprecher Büchner.
In einer Grundsatzrede im vergangenen Herbst in Prag hatte sich der SPD-Politiker für ein “Groß-EUropa” ausgesprochen – allerdings offen gelassen, wie das genau aussehen und wie es geführt werden soll.
Wird er diesmal konkreter? Und fällt ihm etwas zum desolaten deutsch-französischen Verhältnis ein? Entwickelt er gar eine Strategie für den Krieg in der Ukraine bzw. sein Ende?
Ich würde nicht zu viel erwarten; aus meiner Sicht hat Scholz keinen Plan. Wie im Panzer-Streit im Januar lässt er sich auch jetzt wieder von den Ereignissen treiben – selbst innenpolitisch wirkt er angeschlagen.
Neue Phase des Krieges
Ohnehin dürfte die Musik am Dienstag in Moskau spielen. Putin könnte eine neue Phase des Ukraine-Kriegs ankündigen – die Spekulationen reichen von einem “Sieg” in Bachmut bis hin zu Rache für die Angriffe auf den Kreml.
Die internationale Aufmerksamkeit will aber auch die Ukraine nutzen. Sie könnte versuchen, das Spektakel in Moskau zu stören. Eine Beobachter erwarten sogar den Start der US- und Nato-gestützten Frühjahrs-Offensive.
Wenn es gut läuft, will sich Präsident Selenskyj am Sonntag in Aachen feiern lassen – mit dem Karlspreis, der für Persönlichkeiten vorgesehen ist, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben.
Hat Selenskyj sich um Europa verdient gemacht? Und läuft es gut für ihn? Ich würde große Fragezeichen hinter beide Aussagen setzen. Aber warten wir ab, bis Sonntag kann noch viel passieren…
KK
8. Mai 2023 @ 15:03
@ Thomas Damrau:
Den ehemals von mir mal geschätzten SPIEGEL und SPON habe ich mir schon lange abgewöhnt – der SPIEGEL, SPON und insbesondere der Kommentarbereich ist zum reinen Hetz- und Propaganda-Medium verkommen. Einfach nur noch widerlich!
Thomas Damrau
8. Mai 2023 @ 13:54
@european
Es ist offensichtlich ein menschlicher Reflex, in Krisenzeiten eine Wagenburg zu bilden und auf eine Weltsicht „Wir oder die Anderen“ umzuschalten. Und zu den Anderen gehören dann auch alle, die die Wagenburg in Frage stellen.
Ähnliches erkenne ich auch in der aktuellen Diskussion über Flüchtlinge. Aus dem früheren verschämten „Wir können ja nicht allen helfen“ ist ein inzwischen ein „Wir müssen die Schotten dicht machen“ geworden (= Die Wagenburg vor den angreifenden Apachen verteidigen).
Die Wagenburg ist aber keine durchdachte Problemlösung, wie Sie richtig beschreiben: Wenn die Kavallerie nicht kommt, um das Böse zu vertreiben, wird man ausgehungert und/oder verdurstet.
Und alternative Lösungsansätze gar nicht erst zu suchen (bzw. die Diskussion über Alternativen zu unterdrücken), ist in Krisenzeiten fatal.
Hekla
8. Mai 2023 @ 13:38
Ein ebenso “ bedeutungsschwangeres“ Ereignis dieser Woche möchte ich hier ergänzen: von der Leyen fährt (zum 5. Mal seit Beginn des Krieges) wieder nach Kiew, um die “ uneingeschränkte Unterstützung für die Ukraine“ zu bekräftigen.
Ich glaube weiterhin, dass man weder bei Scholz noch bei von der Leyen / bei der EU nach Strategien zu suchen braucht. Es sei denn Blankoschecks für die Ukraine, blinde transatlantische Folgsamkeit und das Ignorieren, ja Negieren der existenziellen politischen und wirtschaftlichen Interessen der europäischen Bürger wären schon so etwas wie eine Strategie. Aber wenn das eine Strategie sein sollte – was mag dann wohl das Ziel sein? (rein rhetorische Frage)
Thomas Damrau
8. Mai 2023 @ 08:55
Vorsicht, Vorsicht! Nicht die Angemessenheit des Karlspreises für Selenskyj bezweifeln.
Ich habe vor einigen Tagen auf Spiegel-Online einen Kommentar mit der These abgesetzt, Selenskyj habe der europäischen Einigung geschadet, indem er zusammen mit den USA und Groß-Britannien den Graben zwischen West-EU und Ost-EU vertieft habe. Daher sei die Preisverleihung unangemessen.
Die Daumen senkten sich im Akkord und nach zwei Minuten war der Kommentar vom Netz.
(Das war das letzte Mal, dass sich versucht habe, mich auf Spiegel-Online zu artikulieren.)
european
8. Mai 2023 @ 12:44
Man darf bezgl. der Ukraine nichts anzweifeln. Diesbezgl. ist jede Faehigkeit zur sinnvollen Debatte verloren gegangen. Selbst bei Leuten, wo man es vorher nicht fuer moeglich gehalten haette, z.b. Maurice Hoefgen mit seinem MMT-Kanal. Als es um die gesamtwirtschaftliche Situation der Ukraine ging, brachte mir der Hinweis auf den hohen Stand der Korruption, der einer wirtschaftlichen Gesundung des Landes im Wege steht, egal wieviel Geld man dort hineinpumpt, eine so bloede Antwort ein, dass ich meine Subscription sofort gecancelt habe. Da ist Hopfen und Malz verloren, denn bei jedem Konzept braucht man ein Worst-Case-Szenario, Risk Assessments und auch nicht selten einen Plan B oder C.
Manchmal denkt man nur, dass Menschen abstrahieren und sachlich debattieren koennen und solche Gelegenheiten bringen es dann an den Tag, dass dem doch nicht so ist. Da geht Ideologie vor Rationalitaet und strategisches Denken ist schlicht nicht vorhanden. Man hat sie ueberschaetzt.
Sie bekommen auf solchen Seiten online niemanden ueberzeugt.
european
8. Mai 2023 @ 08:29
Ich glaube nicht, dass Realitätssinn einziehen wird. Die sehen einfach nicht über die Grenzen hinaus, was gerade so passiert.
Syrien ist wieder Teil der Arab League. Man verhandelt und rückt zusammen. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend.
https://www.aljazeera.com/news/2023/5/7/arab-league-agrees-to-bring-syria-back-into-its-fold
Bloomberg hat eine Wahrscheinlichkeitsrechnung für eine kommende Rezession veröffentlicht. Japan wird als einziges G7 Land besser dastehen als Russland. Alle anderen G7-Länder rutschen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in eine tiefe Rezession. Allen voran UK, Deutschland auf Platz 4, gleichauf mit Italien. Russland ist auf Platz 10 und Japan auf Platz 11.
https://twitter.com/SamRamani2/status/1652200115556298754
Und währenddessen ist Afrika auf dem Vormarsch als fastest growing economy. Sieh an.
https://www.afdb.org/en/news-and-events/press-releases/africas-economic-growth-outpace-global-forecast-2023-2024-african-development-bank-biannual-report-58293#:~:text=Africa's%20pre%2DCovid%2D19%20top,%2C%20and%20Tanzania%20(5.6%25).
Was soll Scholz den Europäern denn so mitteilen? Dass er jetzt die europäische Leadership für weiteres US-Vasallentum innehat, nachdem Macron im Abseits steht?
Ach ja. Gestern konnte man lesen, dass es insbesondere bei den Republikanern rumort. Die würden nämlich gern nach Mexiko einmarschieren, vorgeblich wegen der Drogen und es hat natürlich gar nichts damit zu tun, dass Mexiko die Lithiumfelder verstaatlicht hat.
https://www.thenation.com/article/politics/invade-mexico-amlo-cartels/