Scholz hebt ab, Erdogan kassiert ab – und Putin lässt bitten
Die Watchlist EUropa vom 08. Februar 2024. Heute mit einem entrückten Kanzler, einem beglückten Sultan – und einem umstrittenen Gast im Kreml.
Olaf Scholz hebt ab – im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Am Donnerstag fliegt der Kanzler nach Washington, wo er sich mit Präsident Biden, aber auch mit Mitgliedern des US-Kongresses treffen will. Seine Vorhaben wirken reichlich abgehoben, um nicht zu sagen völlig entrückt.
Bei Biden will der Kanzler mit der deutschen und europäischen Ukraine-Hilfe punkten. Fast 30 Mrd. Euro aus Berlin fürs Militär und 50 Mrd. Euro aus Brüssel für den ukrainischen Haushalt – das ist schon was. Doch ohne die USA und ohne eine Strategie bringt es nicht viel.
Scholz hat keine Strategie, Biden hat kein Geld. Sie können sich gegenseitig loben und gemeinsam auf die Republikaner schimpfen, die die geplante US-Hilfe im Wert von 60 Mrd. Dollar blockieren: Es nützt alles nichts. Deutschland und die USA kommen ans Ende ihrer Möglichkeiten.
Von dem Washington-Trip ist daher nicht viel zu erwarten. Dasselbe gilt für Scholz’ Bemühungen in Brüssel. Der Kanzler versucht neuerdings, sich als größter Freund und Helfer der Ukraine zu präsentieren, der angeschlagene Präsident Selenskyj lobt ihn dafür in höchsten Tönen.
Doch die deutsche Hilfe ist, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nicht so groß, wie Scholz gern behauptet. Zudem blockiert der Kanzler die Reform der leeren europäischen Kriegskasse. Dass er nun auch noch versucht, den Oberlehrer zu spielen, zeugt von Abgehobenheit.
“Kranker Mann” will führen
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In Polen, Frankreich und auch in Brüssel kommt es nicht gut an, wenn ausgerechnet Deutschland die Führung in EUropa beansprucht. Das größte EU-Land ist der neue “kranke Mann” gleich nach Argentinien – Scholz sollte auf von seinem hohen Roß herunterkommen.
Vor allem sollte er endlich einen “Plan B” entwickeln. In der Ukraine tobt ein Machtkampf, die Armee ist in der Defensive, ein Sieg über Russland ferner denn je. Ohne die USA ist er undenkbar. Höchste Zeit, über ein Ende des Krieges nachzudenken – und entsprechend zu handeln!
Siehe auch Ukraine-Krieg: Darüber will die EU nicht reden
P.S. Was bei Verhandlungen herauskommen könnte, hat der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Ch. Heusgen, skizziert: Er kann sich ein neues Minsk-Abkommen vorstellen, wie er es für Ex-Kanzlerin Merkel ausgehandelt hatte. Dummerweise haben die USA nicht mitgezogen…
News & Updates
- Erdogan kassiert ab. Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei sind die Zustände immer noch katastrophal. Zum Jahrestag gab es deshalb massive Proteste in den betroffenen Regionen. Das hindert die EU nicht daran, Sultan Erdogan das Geld hinterher zu werfen. 400 Millionen Euro verspricht Brüssel aus dem Solidaritätsfonds. – Mehr im Blog
- Deutschland blockiert schon wieder. In der Bundesregierung gibt es Streit über neue CO₂-Emissionsnormen für Busse und Lkw. Nun ist eine Abstimmung in Brüssel verschoben worden, die eigentlich als Formsache galt. Die FDP hatte Bedenken angemeldet – schon wieder. Es ist nicht das erste Mal, das Berlin die EU ausbremst…
- Grünes Licht für NGT. Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Rechtsaußen-Parteien hat im Europaparlament für einen Vorschlag gestimmt, mit dem gentechnisch veränderte Sorten (NGT) schneller auf den Markt kommen sollen. Im Supermarkt sollen Gentechnik-Produkte aber weiterhin gekennzeichnet werden.
Das Letzte
Putin lässt bitten. Anfragen von CNN, BBC und anderen westlichen Medien hat der Kremlchef ausgeschlagen. Doch nun ließ Putin bitten: Tucker Carlson, der wohl bekannteste und umstrittenste US-Journalist, wurde zum Interview gebeten. Die meisten Amerikaner wüßten nicht, worum es im Krieg zwischen Russland und der Ukraine gehe, rechtfertigte sich Carlson in einem Video, das allein bei “X” 91 Millionen mal (!) aufgerufen wurde. Es sei seine Pflicht, dieses Interview zu führen. Doch in Washington und Brüssel sieht man das anders. Carlson mache sich zu Putin Sprachrohr, heißt es in der US-Hauptstadt. Die EU solle den Amerikaner mit Sanktionen belegen, fordert der (früher mal) liberale Europaabgeordnete G. Verhofstadt. Wenn es um Putin geht, endet die Pressefreiheit – bei manchen setzt offenbar auch der Verstand aus…
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KK
8. Februar 2024 @ 14:37
“Scholz hat keine Strategie, Biden hat kein Geld.”
Scholz hat doch eigentlich auch kein Geld! Überall wird hierzulande an dem Nötigsten gespart, nur für die Ukraine wirft er es mit beiden (Biden! – hatte er wieder Anweisungen aus DC bekommen?) Händen zum Fenster raus!
ebo
8. Februar 2024 @ 14:40
Haha, und Biden hat doch eigentlich auch keine Stratgie – außer, Russland dauerhaft zu schwächen und die Kosten den EUropäern aufzubürden…!?
Helmut Höft
9. Februar 2024 @ 09:49
An alle Ächzperten die Putins Pläne genauer kennen als Putin selbst: Sicher war es Putins Plan, der NATO und der EU ein Stoppsignal zu setzen und die Ukraine “aus dem Spiel zu nehmen”. Hat nicht so geklappt – und dann zog Putin seinen Plan B aus der Tasche! Haha!
Aus dem US-Plan “Overextending and Unbalancing Russia” (https://www.rand.org/pubs/research_briefs/RB10014.html) ist nun ein RUS-Plan geworden “Overextending an Unbalancing Wertewesten®”. Das könnte sogar klappen!
Ich habe keine Hoffnung, nur einen Traum: Man lernt tatsächlich betreffend der US-Interessen hinzu … und wenn dann die USA *tätärätä* gegen China ziehen sagen die EU und D einfach: NÖ! Wozu habt ihr denn 8.000.000.000.000 $ Millitärhaushalt und ~ 750 Militärstützpunkte mit ~ 165.000 Soladaten außerhalb eurer Landesgrenzen? Macht mal schön selber.
ebo
9. Februar 2024 @ 09:53
Macron hat das ja mal angedeutet – dass er mit der US-Politik in und um China nichts zu tun haben will. Allerdings lässt sich auch Frankreich in den Konflikt ziehen – über die EU und die Nato. Das zeigt, dass diese internationalen Organisationen ein gedärliches Eigenleben entwickelt haben…
Helmut Höft
9. Februar 2024 @ 09:52
Sry, eine 0 zuviel. Tzja, so ist das mit den Nullen all überall!
MarMo
8. Februar 2024 @ 12:09
Muss hier eigentlich auch der despektierliche Ausdruck “Kremlchef” für den russischen Präsidenten verwendet werden?
Es heißt ja auch nicht Ampel-Chef oder Weißes-Haus-Chef.
“Wenn es um Putin geht, endet die Pressefreiheit – bei manchen setzt offenbar auch der Verstand aus…” Stimmt auffallend, und das bereits seit vielen Jahren in der öffentlichen (deutschen) Berichterstattung, aber seit Februar 2022 kennt dieser Verfall von Verstand – bzw. dieser grassierende Wahnsinn (in Politik und Medien) – keine Grenzen mehr.
ebo
8. Februar 2024 @ 12:45
Putin ist ein Fall für sich. In vielen Presseberichten geht es gar nicht um den Präsidenten, sondern um das “System Putin”, Putin wird zur Chiffre bzw. zum Symbol für das Böse schlechthin.
Ich schreibe meist Kremlchef, weil ihn dies von vielen anderen Präsidenten unterscheidet und einigermaßen neutral ist.
Mit Blick auf seinen Regierungsstil und die russische Tradition nennen ich ihn auch gern “Zar”.
In einem Blog muß das erlaubt sein, oder?
MarMo
8. Februar 2024 @ 19:53
Ich finde die Verwendung „Kremlchef“ nicht neutral. Neutral wäre der russische Präsident.
Putin ist eine Projektionsfläche für das verdrängte „Böse“ der anderen geworden. Die USA haben seit dem 2. Weltkrieg weitaus mehr Angriffskriege, Folter, Tote auf dem Gewissen als Russland. Sie haben einen bedrückenden Exceptionalismus und betrachten die Welt als ihre Schatzkammer. Sie sind eine fortwährende Gefahr für den Weltfrieden.
Nur scheint das völkerrechtswidrige Verhalten der USA und ihrer Verbündeten mit einem anderen – keinem – Maß gemessen zu werden.
Kremlchef wird gerne von deutschen Mainstreammedien verwendet.
Ist eben despektierlich und unsachlich – wenn man das so möchte … Ich war eigentlich ganz erfreut darüber, dass in diesem Blog die meisten Beiträge eine andere Flughöhe haben.
MarMo
8. Februar 2024 @ 12:01
Zur Ukraine-Politik der Bundesregierung gab es gestern einen Artikel in Frankfurter Rundschau von Wolfgang Streeck, in dem er sehr treffend die Politik der gegenwärtigen Regierung in ihren Auswirkungen auf Deutschland beschreibt.
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/wolfgang-streeck-zu-ukraine-krieg-nibelungentreue-und-ihre-gefahren-92811171.html