Die EU schießt sich selbst ins Knie
Mit den angedrohten Russland-Sanktionen würde sich die EU selbst ins Knie schießen. Die Kapitalmärkte könnten zusammenbrechen, die Gasversorgung wäre akut gefährdet. So langsam scheint dies auch der Politik zu dämmern.
So warnt der desiginierte CDU-Chef Merz vor einer “Atombombe für die Kapitalmärkte”, falls die EU Russland wie angedroht vom Finanzdienstleister Swift abklemmen sollte.
“Swift infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen sein”, sagte er zu dpa. “Wir sollten Swift unangetastet lassen.”
Swift sitzt in Belgien und damit in der EU. Deshalb sind die USA auf die EU angewiesen, um hier Strafmaßnahmen zu verhängen und Russland vom Finanzsystem auszuschließen.
Ein Desaster droht auch bei der Gasversorgung. Hier lautet die Drohung, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Dies wäre jedoch ein extrem negatives Signal an die Märkte, wie wir bereits im Dezember gesehen haben.
Nach Äußerungen von Außenministerin Baerbock zu Nord Stream war der Gaspreis in die Höhe geschnellt. Dasselbe dürfte bei Gas-Sanktionen gegen Russland passieren.
Die USA planen deshalb bereits eine Notfall-Gasversorgung für EUropa. Vertreter des US-Außenministeriums hätten mit Unternehmen über Kapazitäten für höhere Liefermengen gesprochen – für den Fall, dass russische Gaslieferungen unterbrochen werden.
Das zeigt, wie pervers die Sanktions-Drohung aus EU-Sicht ist. Sie würde die Gasversorgung gefährden und Europa von US-Hilfe abhängig machen – incl. schmutzigen Fracking-Gas made in America.
Wann wachen die EU-Politiiker endlich auf und distanzieren sich von derart kontraproduktiven Sanktions-Drohungen? In Moskau weiß man nur zu gut, dass sich die EU selbst ins Knie schießen würde.
Dementsprechend wenig dürfte man sich im Kreml von den westlichen Ankündigungen beeindrucken lassen…
Siehe auch “Nach Friedensgesprächen droht Krieg” und “Im Schlepptau von USA und Nato”
P.S. Noch sind die EU-Sanktionen nicht beschlossene Sache, mehrere Staaten leisten Widerstand. Doch vor dem nächsten Auenminister-Treffen am kommenden Morgen machen die SA mächtig Druck, damit die EU “ihre” Strafen festzurrt.
european
19. Januar 2022 @ 08:04
Was m.E. völlig unterschätzt wird, sind die wachsenden Beziehungen zwischen China und Russland. Man muss sich nur mal auf der Karte ansehen, was das für ein riesiges Gebiet ist. Es ist nicht gerade eine Liebesbeziehung, aber andererseits gibt es auch keine Hindernisse, die sich nicht zumindest überwindbar gestalten ließen. Im jüngsten Kasachstan-Konflikt war China auch sofort zur Stelle und hat mit Russland gemeinsam die Unruhen wieder eingedämmt.
Ansonsten habe ich den Eindruck, dass die jüngste Reise unserer neuen Außenministerin eine steile Lernkurve war. Deutschland ist ein kleines Land, nicht unwichtig in Europa, aber mehr oder weniger irrelevant in der Weltpolitik. Und die EU?
“Fuck the EU” sagte seinerzeit Victoria Nuland auch im Zusammenhang mit der Ukraine. Sie hat sich entschuldigt, aber ich glaube, dass in der US Administration viele so denken. Deshalb sitzen EU-Vertreter nicht mal am Katzentisch, wenn es um die große Weltpolitik geht.
ebo
19. Januar 2022 @ 08:25
Baebock hat sich gut geschlagen – viel besser als unser “alter Hase” Borrell. Das rechne ich ihr hoch an!
european
19. Januar 2022 @ 09:05
Aus deutscher Sicht stimmt das sicherlich. Aber wir fühlen uns sowieso immer im Recht. Aus russischer Sicht sieht das ganze völlig anders aus und es ist die Frage, welche Mächte am Ende am Verhandlungstisch sitzen.
Matthias Platzeck hat ein sehr schönes Interview gegeben, das viele dieser Probleme anspricht.
https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/russland-ukraine-konflikt-interview-deutsch-russisches-forum-100.html
“Kluge Politik macht aus, dass gegenseitige Interessen erstmal wahrgenommen werden. Oder um mit Egon Bahr zu sprechen: Wichtig ist immer der Perspektivwechsel. Entscheidend ist also auch, sich zu fragen, warum tickt der andere ganz anderes? Warum sieht er die Welt ganz anders? Warum strebt er andere Lösungen als wir an?”
Kleopatra
17. Januar 2022 @ 10:14
Wirtschaftssanktionen haben zum Ziel, die andere Seite zu schädigen und dadurch dazu zu drängen, auf unsere Forderungen einzugehen. Dass sie auch für denjenigen negative Folgen haben, der sie verhängt, ist normal. Es kommt darauf an, ob das verfolgte Ziel wichtig genug ist, um die vor der Hand resultierenden wirtschaftlichen Probleme in Kauf zu nehmen. Russland von einem Krieg gegen die Ukraine abzuschrecken, wäre jedenfalls kein unwichtiges Ziel.
ebo
17. Januar 2022 @ 11:20
Richtig. Aber Drohungen wirken nur dann abschreckend, wenn sie glaubwürdig sind. Die Drohung mit SWIFT ist es bisher nicht. Das wissen auch die USA – sie machen daher hinter den Kulissen mächtig Druck, damit sich die EU festlegt und ein Sanktionspaket auf den Tisch legt…
Kleopatra
18. Januar 2022 @ 10:02
Gegenwärtig ist deshalb keine Sanktionsdrohung glaubwürdig, weil bei jeder möglichen Sanktion ein deutscher Politiker öffentlich erklärt, warum gerade diese Möglichkeit ganz schlecht ist. Das ist nicht vernünftig: wenn es wirklich zu einem russischen Angriff kommt, wird Deutschland schon, um in der EU nicht als Putins fünfte Kolonne dazustehen, eine Reihe Dinge tun müssen, die heute niemand für denkbar halten will.
ebo
18. Januar 2022 @ 10:10
Die Sanktionsdrohung ist so lange unglaubwürdig, wie die USA der EU vorschreiben wollen, was zu tun und zu lassen ist – ohne selbst aktiv zu werden.
Übrigens kommt Blinken jetzt nach Berlin. Das zeigt, dass der US-Druck auf Deutschland noch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hat…