Russland-Politik: Wo Merkel recht hat
Altkanzlerin Merkel hat ihre Russland-Politik verteidigt. „Ich werde mich nicht entschuldigen“, sagte sie bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit Beginn des Ukraine-Krieges. Kann man ihr daraus einen Strick drehen?
Einige versuchen es bereits. „Sie hat keinen Hauch von Reue gezeigt“, heißt es beim „Spiegel“, der Merkel früher treu die Stange hielt – um heute umso härter mit ihr abzurechnen.
Das Nein zum Nato-Beitritt der Ukraine, das Ja zur Nord Stream 2, die Minsker Abkommen – all das soll falsch gewesen sein, heißt es neuerdings in Berlin. Dabei hat Merkel gute Argumente.
Ausführlich begründete sie, weshalb sie sich 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest gemeinsam mit Frankreich gegen eine Nato-Perspektive der Ukraine (und Georgiens) ausgesprochen hat: „Ich sehe nicht, dass ich sagen müsste, das war falsch.“
Die Ukraine sei damals eine andere gewesen, „ein von Oligarchen beherrschtes Land“, ein gespaltenes Land, „kein innerlich demokratisch gefestigtes Land“. Ihr sei klar gewesen: Putin würde die Vorbereitung einer Nato-Mitgliedschaft via Membership Action Plan „nicht ohne Weiteres geschehen lassen“. Das freilich rechtfertige Putins Tun heute nicht.
Nach der Annexion der Krim und dem von Russland unterstützten Krieg in der Ostukraine 2014 habe die Nato die militärische Abschreckung an der Ostflanke verstärkt. Das Ziel von zwei Prozent des Inlandsprodukts für Verteidigung sei ausgegeben worden. Und Russland sei aus der Gruppe führender Industrienationen G8 ausgeschlossen worden.
Die Minsker Abkommen seien der Versuch gewesen, den bewaffneten Konflikt zu beenden. Das habe der Ukraine Zeit gegeben. „Minsk“ sei auf europäische Initiative entstanden und per UN-Resolution bestätigt worden. Putin hätte ohne diese Vereinbarungen „einen Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“.
Karenina
Ist all das durch den Krieg falsch geworden? Natürlich nicht. Es gibt keinen historischen Determinismus, auch wenn dies heute viele behaupten. 2008 war noch nicht klar, dass der Nato-Beschluß in einen Krieg münden würde.
Kremlchef Putin wußte damals wohl selbst noch nicht, wie er reagieren sollte. Auch 2014 war der weitere Weg nicht vorgezeichnet. „Minsk“ hätte durchaus funktionieren können – wenn wenigstens die Ukraine mitgezogen hätte.
Das hat sie aber nicht. Merkels Fehler war es vielleicht, dies nicht offen auszusprechen. Nach dem „Nein“ zum Nato-Beitritt hätte sie sich auch mit den USA anlegen müssen, die die Ukraine trotzdem in die Allianz eingebunden haben.
Aber all das wissen wir erst heute, da das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wer nun so tut, als habe sich der Weg in den Krieg schon 2008 abgezeichnet, und als sei Merkel daran mitschuld, verdreht die historische Wahrheit.
Auch viele Journalisten machen es sich zu leicht. 16 Jahre lang haben sie Merkel hochgeschrieben und zur „Führerin der freien Welt“ erklärt. Ihre Politik war „alternativlos“. Nun soll sie plötzlich „Reue“ zeigen?
Das müssten die betreffenden Journalisten dann aber bitteschön auch tun. Wir haben Merkel schon kritisiert, als sie noch in Amt und Würden war – und wundern uns über all jene, die damals nur gejubelt haben…
Siehe auch unsere Serie zu „Merkels sieben Sünden“ sowie „Die Zerstörung der SPD“
Eine weitaus größere Verantwortung für den Krieg als bei Merkel sehe ich bei US-Präsident Biden. Doch seine gefährlichen Fehler werden bisher gar nicht diskutiert…
Armin Christ
12. Juni 2022 @ 09:09
Die „Grünen“: schon in der Gründungsphase mit dem überlaufen der verschiedensten Maoisten (Fücks, Kretschmann, Bütikhofer ……) verbreiteten sich dort Russenhass, Antisowjetismus, Antikommunismus, samt dem kleinen Brüdern Antisozialdemokratie und Antigewerkschaftspolitik. Mit Unterstützung der Konzernmedien gelingt es diesn Grünlingen immer noch sich als links zu verkaufen. Den Lebensinteressen die Mehrheit der Lohn-, Gehalts- und Sozialleistungsabhängigen Bevölkerung stehen und standen sie aber immer fern.
Art Vanderley
9. Juni 2022 @ 20:26
Artikel mit klaren Worten, die woanders meist fehlen.
Entweder oder, binäres Denken, Merkel ist entweder die Heldin oder die Idiotin.
Bei Biden hab ich oft den Eindruck, daß ihn viele als netten alten Mann sehen, der nicht mehr so ganz anwesend ist, einer, dem man über die Straße hilft und nichts Böses von ihm erwartet.
Man sollte nicht vergessen, daß der Mann kommt aus einer Art von Demokraten, die verantwortlich sind für die „Zerschlagung des Sozialstaats“ (Süddeutsche Zeitung), für Idenditätspolitik und für Hillary Clintons aggressive Rhetorik schon im Syrienkonflikt.
Biden ist außerdem sowas wie der Anti-Trump, es hätte ihn nie gegeben als Präsident ohne seinen fragwürdigen Gegenkandidaten, also genau derselbe Effekt in die umgekehrte Richtung, mit einem Trump als Präsidenten, den es ohne die Gegenkandidatin nie gegeben hätte.
european
8. Juni 2022 @ 14:43
Ich war selten mit Merkel auf einer Linie, insbesondere wegen ihrer Tina Politik.
Was ich jedoch wesentlich schlimmer finde, ist dieser Rechtfertigungszwang, der sich in Politik und Medien breitmacht. Jüngstes Beispiel Ulrike Guerot bei Lanz. Jede Sendung eine öffentliche Hinrichtung. Es geht schon lange nicht mehr um Argumente. Eine roemische Arena ist nichts dagegen.
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer nicht bedingungslos unserer linken Agenda folgt, ist rechts. Nieder mit „Putinverstehern“, was immer das auch heissen soll. Wir führen Gewissenspruefungen bei Künstlern durch, s. Anna Netrebko. Wir stornieren Verträge. Wir nehmen russische Studenten in Mithaft, setzen sie unter Generalverdacht und werfen sie aus Austauschprogrammen.
Jeder wird durchleuchtet und bei auch nur ansatzweise „falscher“ Ansicht öffentlich niedergebruellt, gedemütigt, verleumdet. Shitstorms, die Lebenswerke vernichten können.
Allein diese Technik. Das wäre der feuchte Traum von Nazis und Stasi gewesen.
Ich bin entsetzt, was sich in Deutschland so abspielt. Und das unter einer vermeintlich progressiven Regierung.
Armin Christ
8. Juni 2022 @ 22:45
Wo ist denn da eine LINKE Agenda ?
Ich sehe nur Militarismus, Meinungsunterdrückung, Geschichtsklitterung und Verherrlichung eines unsäglichen Oligarchenregimes mit Nazitraditionen als Hort von Freiheit und Demokratie.
european
9. Juni 2022 @ 08:52
@ Armin Christ
Diese Bemerkung mit der linken Agenda war eher allgemeiner Natur. Ich beobachte schon seit längerem in linken Parteien einen wachsenden Hang zur Ausschliesseritis Andersdenkender. Siehe zb Sahra Wagenknecht.
Kann man auch hier in UK und in USA beobachten.
Ansonsten stimme ich Ihnen zu. Ich haette mich klarer ausdrücken müssen.
Ich hab die Grünen nicht gewählt, weil ich Frau Baerbock für völlig ungeeignet hielt, die Position der Bundeskanzlerin zu besetzen. Ich bin heute sehr froh darüber. Der Schaden, den sie als Außenministerin anrichtet, ist schon groß genug. Ein Nachfolger wird viel zu tun haben, das wieder in Ordnung zu bringen.
Ist es nicht seltsam? Sobald die Grünen an der Macht sind, sind wir im Krieg.
european
9. Juni 2022 @ 08:43
Nachtrag:
„Die Ukraine sei damals eine andere gewesen, „ein von Oligarchen beherrschtes Land“, ein gespaltenes Land, „kein innerlich demokratisch gefestigtes Land“.“
Das ist heute immer noch so. Es wird nur durch den Krieg überdeckt. Unser Wunschdenken bezüglich Selenskyj tut noch sein übriges.
umbhaki
10. Juni 2022 @ 22:19
european schreibt:
„Ist es nicht seltsam? Sobald die Grünen an der Macht sind, sind wir im Krieg.“
Ja, so ist es. Das geht mir auch schon seit einiger Zeit durch den Kopf. Man könnte glatt eine Verschwörungstheorie erstellen mit dieser Tatsache, wobei sich die eine oder andere Verschwörungs„theorie“ ja auch schon als Praxis herausgestellt hat.
Jedenfalls gibt es in den Reihen der Grünen schon lange den einen oder die andere mit ausgeprägtem Russenhass, die sich auch jetzt wieder prominent in Szene setzen (und gesetzt werden von den Medien. Hier denke ich insbesondere an Marieluise Beck und Ralf Fücks mit ihrem dubiosen „Zentrum Liberale Moderne“.
Aber nicht nur die. So hat sich ja auch ein Robert Habeck schon frühzeitig positioniert, als er im Mai 2021 öffentlich über Waffenlieferungen an die Ukraine sprach. Das war vor der Bundestagswahl und sieht im Nachhinein wie eine Bewerbung in Richtung einflussreicher Kreise aus.
Aber, wie geschrieben: Das ist bloß eine völlig unbeweisbare Verschwörungstheorie.