Nord Stream 1: Die selbst verschuldete Krise
Durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 fließt wegen Wartungsarbeiten kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Das könnte der Anfang vom Ende sein, heißt es in Berlin. Doch die Krise ist selbst verschuldet.
Was passiert nach dem Ende der Wartung am 21. Juli? “Wir wissen es einfach nicht”, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. “Alles ist möglich.”
Russisches Gas könne dann wieder im vollen Umfang durch die Pipeline fließen, die Menge könne aber auch bei null bleiben. Deutschland bereite sich auf das Schlimmste vor.
Warum eigentlich? Die Gasspeicher sind, der Jahreszeit entsprechend, gut gefüllt. Russland liefert weiter Gas über die Ukraine. Und die defekte Gasturbine darf nun doch repariert werden.
Selbst wenn die Lieferung über Nord Stream 1 Ende Juli nicht sofort wieder beginnen sollte, würde kein Notstand ausbrechen. Die Krise würde sich erst im Herbst bemerkbar machen.
Bis dahin bleibt genug Zeit, um mit Gazprom oder mit Kremlchef Wladimir Putin zu verhandeln. Dazu müsste man allerdings auch bereit sein, zu reden – und Konzessionen zu machen.
Habeck könnte ein Sanktions-Moratorium ankündigen, also vorerst auf weitere Strafmaßnahmen verzichten, wie dies Putin gefordert hat. Er könnte das Ölembargo aufschieben, das ohnehin noch nicht in Kraft ist.
Er könnte auch in Verhandlungen über Nord Stream 2 einsteigen – die neue, noch nie genutzte Pipeline ist angeblich voll mit Gas befüllt, sie könnte kurzfristig aushelfen.
Doch all das will Habeck nicht, will Deutschland nicht, will die EU nicht. Sie hat sich mit ihrer unüberlegten Sanktionspolitik selbst in diese Krise manövriert.
Dabei wurde gegen eine Grundregel verstoßen: Nie Sanktionen ankündigen, die man selbst nicht durchhalten kann. Genau dies ist jedoch geschehen.
Spätestens seit dem Ölembargo und dem “Repower EU”-Plan der EU-Kommission ist klar, dass sich Deutschland “unabhängig” von russischer Energie machen will.
Nun sind wir abhängiger denn je…
Mehr zu den Sanktionen und dem Wirtschaftskrieg hier
Burkhart Braunbehrens
12. Juli 2022 @ 13:38
Dieser Beitrag zeigt sehr klar, um was es geht, und warum die zögerliche Unterstützung viele Menschenleben kostet und unglaubliche zusätzliche Zerstörung anzurichten erlaubt.
Die Militärs haben am wenigsten Lust, Kriege herauszufordern, aber das glauben wir nicht, die wir mit einem Misstrauen gegen alles Militärische aufgewachsen sind.
Es geht darum, dass wir Europa, dass wir uns selbst verteidigen. Es geht darum, dass wir unsere Menschlichkeit, die wir das Glück haben, leben zu können, auch anderen erlauben. Wir verlieren diese Menschlichkeit, wenn wir uns nicht der Realität stellen. Das ist schwer zu begreifen auf unserer Wohlstandsinsel und fordert viel Umdenken. Aber es geht zu langsam, und diese Langsamkeit richtet unheimlich viel Unheil an.
Zielgerichtete Unterstützung der Ukraine
Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen
(BS) Die Ukraine führt einen Überlebenskampf gegen den brutalen russischen Angriffskrieg. WladimirPutin hat dem”dekadenten, aggressiven Westen” den offenen Krieg erklärt. Staaten der EU und der NATO und weitere Länder unterstützen den Kampf der Ukraine (auch für Europa) politisch, finanziell, humanitär, wirtschaftlich und mit – allerdings noch immer begrenzten – Waffensystemen und militärischer Ausrüstung. Es gilt “so lange wie nötig” (as long as it takes), aber “nicht mit allem Notwendigem” (whatever it takes).
Putin konnte die Ukraine Ende Februar (trotz der vorab “Geschenke” westlicher Staaten und der NATO: kein Artikel 5, keine eigenen Truppen nach Art 51 UN Charta) nicht überrennen, aber er besetzt, zerstört, ja vernichtet ein Fünftel des Landes und überzieht das ganze Land mit Raketenangriffen, um die Bevölkerung zu terrorisieren und zu paralysieren.
Der Sprecher Putins verlautet am 03. Juli, die Ukraine kann schnell Frieden haben, wenn sie Russlands Forderungen annimmt und die Krim, Donezk und Luhansk als russisches Land anerkennt.
Bei diesem Stand der Dinge traut der Leser seinen Augen nicht, wenn er erneut “ein(en) Appell” (ZEIT Nr. 27) liest, dass ein schneller Waffenstillstand auf dieser Grundlage der “Wiederherstellung der Stabilität” dient. Zwei Abschnitte davor heißt es, “einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben”. Welch eine Irreführung der Leser. Es ist dasselbe bewusste, subtil verkleidete Anerkennen russischer Gewinne von Tschetschenien, über 2008 Georgien, 2014 Krim und Donezk und nun bei der absoluten Steigerung im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine.
Die Unterzeichner wollen Frieden, aber der Leser spürt, dass sie wohl lieber in Frieden gelassen werden wollen. Denn die territoriale Integrität, ja die Existenz einer demokratischen Ukraine in Frieden und Freiheit wird mit diesem Apell zugunsten eines weiteren russischen Vormarsches faktisch aufgegeben, verkleidet mit dem Aufruf, das Töten und Zerstören zu beenden und der von Putin bewusst und geschickt bespielten Sorge vor der Eskalationsgefahr.
Solche Einschätzungen sind (noch) nicht Grundlage der Politik der EU, der NATO und der jeweiligen Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse des Europäischen Rates mit der Zusage als Beitrittskandidat der Ukraine, der G7 Gipfel mit der Zusage umfangreicher Unterstützung “as long as it takes”, der NATO mit der klaren Forderung an Russland, den Krieg zu stoppen und sich aus der Ukraine zurückzu- ziehen, lassen in Verbindung mit noch weiter zu verschärfenden Sanktionen gegen Russland das politische Ziel: “Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen”, erreichbar erscheinen.
Allerdings zeigt die Formulierung “as long as it takes”, dass zwar weitere, aber nicht sehr kurzfristig und nicht alle angeforderten Waffen und militärischen Fähigkeiten in einem Umfang geliefert werden, die das Stoppen des russischen Angriffs in überschaubarer Zeit ermöglichen.
Diese selbst gesetzten Begrenzungen lasssen erkennen, dass noch nicht überall im “Westen” (an)erkannt wird, dass Putin einen Krieg gegen den Westen führt mit der Ukraine als brutalem Beginn. Die von Putin immer wieder genannten Eroberungs- und massiven Einflussziele müssen und können mit dem militärischen Zurückwerfen aus der Ukraine konterkariert werden. Bleibt Putin im Besitz eroberter Gebiete der Ukraine, wird er seine Eroberungszüge fortsetzen, wenn er es für geeignet und machbar hält.
Wenn alle Staaten von EU, NATO und G7 wollen, dass die Ukraine ihre Selbstverteidigung für ein unabhängiges, souveränes, territorial wiederhergestelltes Land fortsetzt, dann gilt es, Russlands erneute “fait accomplis” zu verwehren.
Das verlangt, die militärische Abwehrkraft der Ukraine in der Luft und am Boden, ja die Gesamtverteidigung des Landes, schnell und umfangreicher zu erhöhen. Das kann die Ukraine befähigen, Putin klarzumachen, dass sein militärischer und politischer Erfolg unwahrscheinlich ist und sein Preis dafür zu hoch wird.
Unter diesen Gegebenheiten können dann Verhandlungen eines Waffenstillstandes stattfinden, der politisch verbindliche Festlegungen für den international kontrollierten stufenweisen Rückzug Russlands vom Gebiet der Ukraine enthält. Da solche Zugeständnisse von Putin derzeit nicht zu erwarten sind, wird es mehr und mehr darum gehen, die Ukraine nicht nur zu unterstützen “as long as it takes”, sondern endlich auch mit “whatever it takes”. Und die Staaten von EU, NATO und G7 und weitere Partnerstaaten müssen mit konkreten militärischen Maßnahmen und weiteren Sanktionen Putin unmissverständlich signalisieren: “believe us it will be enough”!, damit Putin nichts aus seiner brutalen Aggression gewinnt.
Je früher dieses Ziel erreicht wird, um so eher können auch die ökonomischen und sozialen Kosten für alle unterstützenden Staaten und ihre Bürger begrenzt und verringert werden.
ebo
12. Juli 2022 @ 15:18
Naja. Der gute Mann argumentiert politisch, nicht militärisch. Dabei hat er hat das politische Anliegen des ZEIT-Appells nicht einmal verstanden. Da geht es ja nicht um Kapitulation, sondern um einen Waffenstillstand, der einen Verhandlungs-Frieden herbeiführen soll – incl. der Rückgabe russisch besetzter Gebiete.
Militärisch überzeugt mich dieser Beitrag mehr – Experte befürchtet: “Russen haben mehr Ressourcen”
Ach ja, bitte keine kompletten Artikel als Kommentar veröffentlichen. Ein Link und die zentralen Zitate genügen!
Burkhart Braunbehrens
13. Juli 2022 @ 12:41
“…….nicht einmal verstanden..” Der Artikel schreibt sehr deutlich, dass eine Waffenstillstandsverhandlung nur mit politischer und militärischer Stärke erfolgreich sein kann. Ansonsten bedeutet sie klein beigeben. Und warum wir uns das nicht leisten sollten, schreibt er überdeutlich. Ein langer unentschlossner Krieg fordert unheimlich viel Opfer an Menschen. Und wird teuer. Vielleicht haben die USA ein Interesse, so Europa zu schaden. Wird ja auch schon öfters so interpretiert. Aber die Konsequenz daraus darf nicht ein europäisches Einknicken sein.