Der heimliche Machtkampf, der EUropa zerreißen könnte
“Zwischen Orban und Macron – Europa im Richtungsstreit”. So hieß das Thema im “Internationalen Frühschoppen” bei Phoenix. Doch es geht mehr als um Personen und Richtungen. Orban und Macron, aber auch Merkel und Weber liefern sich einen Machtkampf, der EUropa zerreißen könnte.
Eröffnet wurde dieser Machtkampf von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Als sie sich hinter die Kandidatur von Manfred Weber (CSU) als Spitzenkandidat für die Europawahl stellte, meldete sie einen deutschen Anspruch auf das wichtigste Amt in Brüssel an – den Kommissionspräsidenten.
Dieser Machtanspruch wird jedoch von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron infrage gestellt. Zum einen rüttelt er am System der Spitzenkandidaten: Macron dürfte nach der Europawahl versuchen, Webers Aufstieg zum Kommissionschef zu verhindern und einen anderen Kandidaten einzusetzen.
Zum anderen versucht Macron, der nächsten EU-Kommission inhaltliche Vorgaben zu machen. Sein Brief an die Bürger enthält ein Regierungsprogramm, das auf der Politik der aktuellen Juncker-Kommission aufbaut, teilweise aber auch darüber hinausgeht (wobei die großen Visionen verblassen).
Doch Merkel und Weber müssen sich auch einem Machtkampf im eigenen Lager stellen. Sie werden von Ungarns Premierminister Viktor Orban herausgefordert. Der Fidesz-Politiker möchte die Europäische Volkspartei, für die Weber kandidiert, nach rechts rücken und die EU-Kommission entmachten.
Auf der anderen Seite versuchen mittlerweile schon ein Dutzend christdemokratische Parteien in der EVP, vor allem aus Benelux und Nordeuropa, den “zentristischen”, proeuropäischen Kurs zu halten und die autoritäre, rechtskonservative Politik Orbans auszuschließen.
Beide Konflikte haben das Zeug, die EU zu zerreißen. Beim ersten geht es um die neue Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich um die Führung in EUropa, die durch den Brexit akut wird. Dass die deutschen und französischen Ideen unvereinbar geworden sind, zeigt das Europa-Papier von AKK.
Beim zweiten Konflikt geht es um die Zukunft der alten “Europapartei” EVP. Jahrzehntelang wurde sie von CDU und CSU dominiert. Nun werden Merkel und Weber offen von Orban herausgefordert; wenn sie die Herausforderung nicht annehmen, könnten Zentristen und Liberale verlieren.
Wie werden diese beiden Machtkämpfe ausgehen? Derzeit spricht vieles dafür, dass Merkel und Weber versuchen werden, Orban um (fast) jeden Preis in der EVP zu halten – und dass Merkel und AKK alles daran setzen werden, Weber zum nächsten Kommissionspräsidenten zu machen.
Dies wäre das “Worst Case”-Szenario für Macron – denn er hätte auf ganzer Linie verloren, im Streit um Personen und Inhalte. Den Preis würden aber vor allem die EVP und die EU-Kommission zahlen. Beide wären, wenn es so käme, nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Die EU, wie wir sie bisher kannten, hätte endgültig ausgedient – statt der nach dem Brexit versprochenen EU-Reform müssten wir uns auf einen Rückbau der EU einstellen (wie ihn die AfD offen fordert). Mit noch mehr Macht für Berlin – und noch weniger für Brüssel.
Oder glaubt jemand, dass Weber ein starker Kommissionschef werden könnte?
Siehe auch “Was der Brexit für Deutschland bedeutet” (mit Bezug zu Frankreich)
Baer
12. März 2019 @ 11:11
@Nemschak,
Was meinen Sie mit engen wirtschaftlichen Verflechtungen? Die Target 2 Salden,die Exportüberschüsse Deutschlands zum Nachteil der strukturellen Entwicklung der Südländer?
Von Zusammenhalt ist nicht viel zu spüren.Die heillose Überschuldung durch die EZB Politik .
Ökonomische Grundsätze werden außer Kraft gesetzt,und die Ungleichgewichte und Zentrifugalkräfte immer stärker.
Wenn das alles nicht zu Pessimismus führen soll,muss man schon ein sehr sonniges Gemüt haben.
Eine gemeinsame Bürokratie mag in bestimmten Bereichen durchaus Sinn machen,(Terrorismusbekämpfung etc.),in anderen Bereichen wiederum überhaupt nicht,denn nationale Interessen werden immer im Vordergrund stehen, und die rosarote Gutmenschenbrille hat schon lange fertig.
Peter Nemschak
12. März 2019 @ 13:55
Fahren Sie nicht gelegentlich nach Italien auf Urlaub, genießen die italienische Kühe und schicke Mode? Ein Alfa Romeo oder ein VW? Dass Italien eine starke Kapitalflucht wie eh und je hat, ist nicht neu. Offenbar ist der Standort Italien für Investoren weniger attraktiv als andere Standorte. Man muss sich fragen, warum dem so ist. Das Problem muss Italien selber lösen und darf nicht erwarten, dass andere Mitgliedsländer auf Dauer ein Land unterstützen werden, das ständig mehr ausgibt als es einnimmt (siehe den niederländischen Regierungschef Mark Rutte).
Peter Nemschak
11. März 2019 @ 19:25
Das Ergebnis dieser Spannungen wird heißen: weiterwursteln. Das hat sich bis jetzt immer bewährt. Mehr Supranationalität ist jedenfalls nicht zu erwarten. Warum sollen sich die Staaten nur wegen Macron oder KK in ihrem Verhalten ändern? Bei aller Kritik ist die europäische Bevölkerung pro-EU.
ebo
11. März 2019 @ 20:03
Weiterwursteln wird nicht gehen. Der Laden hält nur noch zusammen, weil der Brexit die EU 27 zusammen schweisst. Wenn der Brexit durch ist und Trump gezielt hineinsticht, platzt die Blase.
Peter Nemschak
11. März 2019 @ 20:19
Woher nehmen Sie Ihren Pessimismus? Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen halten den Bund von Staaten zusammen. Man darf nicht übersehen, dass nicht nur auf Politiker- sondern auch auf Beamtenebene ein permanenter Austausch von Meinungen und Herangehensweisen seit Jahren eingeübt worden ist. Eine gemeinsame Bürokratie hat etwas Verbindendes. Bei aller Kritik an der EU sind konkrete Austrittsabsichten anderer EU-Staaten als des UK nicht feststellbar. Mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen, Praktiken und Wertvorstellungen als Ergebnis dieser Praktiken wird die EU zurecht kommen müssen. Daher wird eine selektive Vertiefung das vermutlich Wahrscheinlichste sein. Das Intergouvernmentale wird das Supranationale dominieren. Deshalb wird die europäische Welt nicht untergehen.
Holly01
11. März 2019 @ 17:59
Merkel droht immer mit einem deutschen Kandidaten. Das ist Verhandlungsmasse. Merkel hat noch nie gezögert den eigenen Kandidaten gegen inhaltliche Festlegungen zu tauschen.
Das Andere ist eine deutsche Schaukelpolitik. Ohne Schland geht es nicht. So bietet Merkel jedem das deutsche “OK” an und fragt “was bekomme ich dafür?”
Funktion hat nur die Visegrád-Gruppe. Also positioniert sich Merkel grundsätzlich gegen Russland und biedert sich (wie das UK und F auch) als “großer Freund” an.
Die EU ist Geschichte. Deutschland sichert seine Gewinne aus der geschichtlich einmaligen Situation seit der Wiedervereinigung. Mehr ist nicht zu holen und verlieren will man auf keinen Fall.
Also unterstützt man die Fragmentierung. So entsteht gibt es den nordischen Rat/Ministerrat, die Visegrád-Gruppe, die Mittelmeer Anreiner, die one belt one road Länder mit Öffnung nach China und natürlich die Atlantiker, die Euro Gruppe sowieso, die WEU, die europäische Armee (oder zumindest eine Plaung), die Entwicklung gemeinsamer Waffensysteme, die IT Initiativen (wie viele sind das eigentlich inzwischen? 20?), gemeinsame Logistikprojekte für mehr militärische Beweglichkeit, Galileo, ATLAS, Europol, geheimdienstliche Allianzen (auch so 2 bis 3 Dutzend verschiedene?) usw usf.
Die EU ist durch. Die Deutschen haben es verkackt, weil sie den Hals nicht voll bekommen.
Der Rest hat es verkackt, weil die selbst auch zu egoistisch waren und vor lauter Futterneid keine Ziele mehr hatten.
Fehlt nur noch der große Streit mit ESM Auflösung und die rhythmische Finanzkrise die dann den Euro zersplittern lässt.
Kurzer Blick zum Brexit. Das wird lustig ….
vlg
Baer
12. März 2019 @ 11:25
Die EU ist durch,weil der Euro ein politisches Projekt ist und kein ökonomisches.
Es wird versucht etwas zusammenzubinden,was ökonomisch nicht zusammen passt.
Die gesamte Politikerkaste hängt natürlich an ihren Euro Pfründen bis zum bitteren Ende,
aber auch M. Draghi wird für seine Politik keine Lorbeeren ernten,ganz im Gegenteil.
Der Versuch durch verstärkte Migration und Einfluss durch die Medien auf die Gedankenwelt der Menschen zu nehmen wird immer deutlicher( Genderspeach,Veränderung des Wortsinns etc),und das kann und wird nicht gutgehen.
Auch Fakenews werden nicht mehr ziehen,und das haben m.E. die Briten erkannt und handeln hoffentlich richtig bis zum Schluss.