Die Vision verblasst – Weber droht Orban
Diesmal ging es noch schneller als beim letzten Mal: Kaum dass die EU den Appell des Franzosen Macron zum “Neustart” begrüßt hatte, da war er auch schon wieder vergessen. Kein Wunder, denn die EU-Reform ist gescheitert, die Vision ist verblasst.
Das liegt zum einen daran, dass Macrons Ideen weder neu noch “sexy” sind. Eine Schengen-Reform oder eine “Demokratie-Agentur” sind nicht unbedingt das, was sich Bürger von der EU wünschen. Diese Ideen werden schon lange in Brüssel diskutiert, ohne greifbares Ergebnis.
Auch ein Konvent zur Vertragsreform wird immer mal wieder erwogen – und verworfen, weil eine Vertragsänderung mit riskanten Referenden verbunden wäre. Die letzte verlorene Volksabstimmung – 2016 zum Brexit – steckt der EU immer noch in den Knochen.
Und das “Europa, das schützt” gehört mittlerweile zum Standard-Repertoire aller Politiker. Bei Macron klingt es jedoch zunehmend nach Protektionismus, Abschottung und Aufrüstung – also nach Angst, nicht nach Aufbruch.
Das Hauptproblem liegt jedoch darin, dass Macron keine neuen Visionen entwirft – und von seinen alten zunehmend abrückt. Was ist denn aus der “vollständigen” Währungsunion geworden, was aus der “Politischen Union”, und wo bleibt das “soziale Europa”?
Es ist – abgesehen von Sonntagsreden – kein Thema mehr. Macron ist pragmatisch geworden, seine großen Visionen der ersten Stunde sind verblasst. Was er nun vorschlägt, kommt aus dem Mainstream der EU-Debatte, einen echten Neustart bedeutet es nicht.
Das ist keine Überraschung. Denn der (neo-) liberale Franzose, der sich in der Europapolitik so gern und so leidenschaftlich engagiert, steht innenpolitisch unter Hochdruck. Die Gelbwesten setzen ihm zu, die Umfragen auch – selbst wenn er zuletzt Frühlingsluft witterte.
Auch Kanzlerin Merkel macht ihm seinen Rang streitig, wie “Le Monde” anmerkt. Noch vor einem Jahr galt Macron als neuer Führer der freien Welt. Seit der Sicherheitskonferenz in München jubeln die Transatlantiker jedoch wieder der Kanzlerin zu.
Ob er seinen Appell auch deshalb an die Bürger richtete – und nicht an seine “chère Angela”?
Siehe auch “Macrons zweiter (und letzter?) Versuch” und mein E-Book zum Thema: Der verhinderte Neustart
WATCHLIST
- Wie geht es weiter im Streit um Ungarns Regierungschef Viktor Orban und seine Fidesz-Partei? Am Dienstag hatte EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber seine Zurückhaltung abgelegt und erstmals offen mit einem Rauswurf der Fidesz aus der EVP gedroht, wenn Orban nicht einlenken und seine Hetzkampagne gegen Kommissionschef Juncker “sofort” einstellen sollte. Doch wann ist “sofort” – heute? Oder erst am 20. März, wenn das EVP-Präsidium tagt? – Siehe auch “CDU kungelt weiter mit Orban”
WAS FEHLT
- Die neue Verschwörungstheorie des Donald Tusk. Der EU-Ratspräsident hat dunkle Mächte – also Russland – für die Niederlage der EU-Freunde beim Brexit-Referendum 2016 verantwortlich gemacht. Belege nennt er keine. Aber das scheint auch nicht nötig – denn der Verdacht ist vor allem dazu gedacht, Russland erneut den Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn es bei der Europawahl irgendwelche Probleme gibt… – Siehe auch “Der Kampf um die Desinformation”
Holly01
6. März 2019 @ 14:02
Es gab Zeiten, da gab es einen Minderheitenschutz.
Da hätte die Frage in Bezug auf den Brexit nicht gelautet “drin oder draußen”, sondern es wäre die Frage gewesen “mehr oder weniger”.
Wenn man Volksbefragungen grundsätzlich als Spaltpilze anlegt, dann hat man eben auch gespaltene Gesellschaften.
Bei einem Ergebnis “weniger” hätte man ja eine aktive Debatte führen können, mit konstruktiven Ergebnissen.
Das “Problem” hat die dänische Politik mit der “kein Euro” Abstimmung ja ebenfalls.
So kann man jede Diskussion über Sinn und Unsinn auch abwürgen oder man muss zugespitzte Abstimmungen eben so lange wiederholen, bis man bekommt was man will.
Politik muss eben zu Grundsatzentscheidungen fähig und willens sein.
Aber da müssten die ja “Meinungen” haben oder nicht schlimmer “für Inhalte stehen”.
Da wären Bestechungen ja sehr eingeschränkt, geht also nicht.
Da haben die Strippenzieher und die politischen Gummibäumchen natürlich wenig Interesse und ziehen solche Totschlagabstimmungen vor …
vlg
Peter Nemschak
6. März 2019 @ 15:29
Stimmenmaximierung heißt “halbschwanger” mit Themen umgehen. In einer milieuzersplitterten Gesellschaft ist die Verlockung dazu groß. Man muss nur Themen vermeiden, mit denen man niemandem hinter dem Ofen hervorlockt, vor allem solche, welche in unserer Erlebnisgesellschaft schlecht ankommen.
Kleopatra
6. März 2019 @ 15:34
Ob man Mitglied der EU sein will, kann man nur mit Ja oder Nein beantworten. Zumal neu beitretenden Mitgliedern noch nicht einmal die Optionen eröffnet werden, die Großbritannien und Dänemark sich bei diversen Vertragsänderungen ausbedingen konnten.
Ob man an der Währungsunion teilnehmen will, kann man ebenfalls nur mit Ja oder Nein beantworten.
Kleopatra
6. März 2019 @ 12:06
„Verlorene“ Volksabstimmungen gibt es m.E. nicht; es gibt nur Volksabstimmungen, die für eine bestimmte Richtung nachteilig ausgehen. Ich erinnere im Kontext gewagter Reformideen eines französischen Präsidenten daran, dass vor nicht ganz zwanzig Jahren ein Europäischer Verfassungskonvent unter dem Vorsitz eines ehemaligen französischen Präsidenten den Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa erarbeitet hat, der dann ausgerechnet (unter anderem) von den französischen Wählern abgelehnt wurde. Man mag einwenden, dass der damalige Präsident Chirac, der sich mit seiner persönlichen Autorität für die Annahme des Vertrags einsetzte, unbeliebt war; aber wie beliebt ist Macron? Und wie peinlich wäre es, wenn Macron seine Änderungsvorschläge zwar ratifizieren lassen könnte, aber um den Preis, dass er sich nicht trauen würde, in Frankreich eine Volksabstimmung anzusetzen? So eine Lösung würde zwar im Geist der Zeit und des Merkeltums liegen, aber demonstrieren, dass Macron sich für seine Ideen nicht einmal der Unterstützung seiner eigenen Wähler sicher sein könnte. Mit welchem Recht aber könnte er dann anderen Leuten Vorschläge machen, bzw. als wessen Repräsententanten könnte man ihn ernstnehmen?
Baer
6. März 2019 @ 08:39
Wenn Herr Weber und seine Mitideologen einen Andersdenkenden nicht ertragen können,aber ständig das Wort Demokratie in den Mund nehmen,dann tun sie sich wahrlich keinen Gefallen.
Miteinander diskutieren anstatt übereinander herzufallen wäre das Gebot der Stunde.
Demokratie ist eben nur dann von Vorteil, wenn es meine Demokratie ist.
Welch eine Heuchelei.Aber so sind sie halt ,die unterdurchschnittlich intelligenten , mit null Rückgrat versehenen Politikdarsteller .
Wer diese Erkenntnis erst einmal gewonnen hat,wird viele Statements von sogenannten Experten in einem völlig anderen Licht sehen.
Ich kann nur hoffen,dass vielen Europäern noch rechtzeitig ein Licht aufgeht.