Was der Brexit für Deutschland bedeutet

In Deutschland interessiert man sich kaum für den Brexit. Der Austritt der Briten sei “nur noch eine Sideshow”, meint die “Financial Times”, der Handelsstreit mit den USA sei viel wichtiger. Doch so einfach ist das nicht.

Denn ohne den Brexit würde Kanzlerin Merkel heute nicht mit Frankreichs Staatschef Macron über eine EU-Reform verhandeln – sondern vielleicht noch immer mit Ex-Premier Cameron das EU-Budget kürzen, wie früher!

Doch wenn Britannien geht, rückt Frankreich zwangsläufig wieder zum wichtigsten Partner – oder Rivalen? – Deutschlands auf. Berlin kann es sich nicht mehr leisten, Paris zu ignorieren, wie noch unter Ex-Präsident Hollande.

Au contraire: Macron macht Merkel nun die Führung in der EU streitig! Der Franzose gibt in der Außen- und Sicherheitspolitik den Ton an, er hat die Kanzlerin in der Wirtschafts- und Finanzpolitik monatelang vor sich her getrieben.

Das bedeutet zwar nicht, dass Macron sich auch durchsetzt – gerade bei der Euro-Reform fällt die Bilanz mager aus. Macron hat zu sehr auf Merkel gesetzt; gegen die roten Linien aus Berlin hilft wohl nur noch ein “Non” aus Paris.

Merkel muss sich neu positionieren

Doch wenn es um den Handelsstreit mit den USA geht, dann geht nichts mehr ohne Frankreich. Und in der Flüchtlingspolitik braucht Merkel sogar schon Macrons Hilfe, wie SPON schreibt (“Mission Kanzlerinnen-Rettung”)

Doch Merkel möchte sich das nicht eingestehen. Sie möchte sich auch nicht von Macron abhängig machen. Der Brexit und das französische Powerplay haben sie vielmehr zu einer europapolitischen Neupositionierung gezwungen.

Statt als Führungsmacht präsentiert sich Deutschland neuerdings als “ehrlicher Makler” und als “Hüterin der europäischen Einheit”, die auch auf die kleinen Länder Rücksicht nimmt. Ohne den Brexit wäre das kaum passiert.

Mögliche Nachahmer disziplinieren

Einen Einschnitt bedeutet der Brexit auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Schließlich ist UK – nach Frankreich – immer noch der wichtigste Handelspartner in Europa. Ein ungeordneter Austritt wäre für die Exportbranche eine Katastrophe.

Und dann ist da noch ein Aspekt, der oft übersehen wird: Deutschland nutzt den Brexit, um andere EU-Länder zu disziplinieren. Berlin fährt eine kompromisslos harte Linie, die mögliche Nachahmer abschrecken soll.

In EU-müden Ländern wie Polen, Italien oder den Niederlanden zeigt diese harte Linie schon Wirkung – einen Austritt erwägt dort (fast) niemand mehr. Allerdings konnte das die “innere Kündigung” nicht verhindern.

Die neoliberale Doktrin zieht nicht mehr

Macron zog aus dem EU-Frust die Konsequenz, dass Europa nur noch mit einer “Neugründung” und einem “harten Kern” (in der Eurozone) gerettet werden kann. Er liefert auch eine Vision: “Ein EUropa, das schützt.”

Damit drängt er die alte, neoliberale EU-Doktrin von Wettbewerb und Austerität in den Hintergrund. Merkel hat dem (bisher) nicht viel entgegenzusetzen. Auch das wäre ohne den Brexit wohl nicht passiert.

Denn auch für Merkels Lieblings-Partner Cameron waren Austerität und Wettbewerb Trumpf – mit den bekannten Folgen…

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den ich am 14.05.18 in der Maison Heinrich Heine in Paris gehalten habe – Thema: “Countdown pour le Brexit”