Die EU und die neue Welt(un)ordnung: Lost in a dangerous world

Kommissionschefin von der Leyen soll die EU aus der Dauer-Krise holen. Dabei hat sie sie selbst mit verursacht. Was taugt ihr Programm für die zweite Amtszeit? – Teil fünf einer mehrteiligen Serie. Heute: Die EU und die neue Welt(un)ordnung.

Europa ist ein Garten. Der größte Teil der restlichen Welt ist ein Dschungel und der Dschungel könnte in den Garten eindringen.

Josep Borrell 2022

In einer Welt, die so gefährlich ist wie seit Generationen nicht mehr, muss Europa seine strategischen Interessen entschlossener vertreten.

Ursula von der Leyen (“Political Guidelines”)

Die Welt ist gefährlicher geworden – mit dieser Binse versucht Kommissionspräsidentin von der Leyen, ihre Abkehr von der einst hoch gelobten europäischen “Soft Power” und die Hinwendung zu “harten” Maßnahmen zu erklären.

Diese Wende zeigt sich nicht nur im Ukraine-Krieg, wo Brüssel mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln (bisher erfolglos) versucht, Zwang auf Russland auszuüben. Auch im Handel setzt die EU zunehmend auf “harte” Machtmittel.

Doch die Strafzölle auf chinesische E-Autos dürften sich ebenso als kontraproduktiv erweisen wie die Sanktionen gegen Russland. Denn die Welt folgt nicht mehr den USA oder den einstigen Kolonialmächten in EUropa, sie geht längst eigene Wege.

Mit der strategischen Annäherung zwischen Russland und China, dem Aufstieg des “globalen Südens” und dem (relativen) Abstieg der USA und der EU ist eine neue Welt(un)ordnung entstanden, auf die von der Leyen keine Antwort hat.

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Dies zeigt ihr Programm für die zweite Amtszeit in Brüssel. Schlüsselbegriffe wie “globaler Süden”, “BRICS” oder gar “multipolare Welt” kommen darin nicht vor. Warum die Welt gefährlicher geworden sein soll, kann VDL auch nicht erklären.

Der fatale “Krieg gegen den Terror”, die Spaltung der EU im Irakkrieg, der Euro-Maidan und der Bürgerkrieg in der Ukraine, die Niederlage der Nato in Afghanistan, die Vertreibung aus Mali und Niger – nichts davon wird reflektiert.

Die deutsche Kommissionschefin ist “lost in a dangerous world” – ihr fehlen die Worte, um die Niederlagen der Vergangenheit und die Herausforderungen der Zukunft zu beschreiben. Entsprechend schwach fallen ihre Antworten aus.

Die strategischen Interessen EUropas werden zwar erwähnt, aber nicht definiert. Es bleibt auch unklar, wer sie – außer Russland – bedroht. China, der größte Handelspartner? Die Türkei, die Sanktionen umgeht? Die Huthis, die die Schifffahrt gefährden?

Und wie sieht es mit den USA aus, die EUropa mit ihrem wettbewerbswidrigen “Inflation Reduction Act”, ihrer protektionistischen “Buy American”-Politik und ihrem unilateralen Handelskrieg gegen China in die Zange nehmen?

Die Angst vor dem Abstieg

Was ist mit der Ukraine, die die Welt mit militärischen Alleingängen noch gefährlicher macht? Oder mit Israel, das mit seinem endlosen Feldzug gegen Gaza, Iran, den Libanon und Syrien einen dritten Weltkrieg auslösen könnte?

Fragen über Fragen – doch keine Antworten. Die “Political Guidelines”, die von der Leyen für ihre neue Kommission herausgegeben hat, erweisen sich bei näherer Betrachtung nicht nur als populistisches Wünsch-Dir-Was-Programm.

Sie zeugen auch von der Angst vor dem Abstieg EUropas – der Furcht vor einer gefährlichen Welt, die man nicht mehr versteht und der man nur durch Kraftmeierei (“entschlossener auftreten”) beizukommen glaubt…

Teil vier der Serie (Reden ist Appeasement, Krieg ist Frieden) steht hier

P.S. Dass die EU sich so schwer tut, ist natürlich nicht nur VDL anzulasten. Es liegt auch daran, dass sie allzu lange der Ideologie der neoliberalen Globalisierung anhing – und den Schuss nicht gehört hat, als diese zu Ende ging.