London brennt, Europa bebt

London calling – der Clash-Klassiker erhält einen neuen, dramatischen Sinn

Auf den ersten Blick haben die Nachrichten nichts miteinander zu tun: London wird von schweren Krawallen erschüttert, die europäischen Börsen stürzen ins (scheinbar) Bodenlose. Doch dass dies gleichzeitig passiert, hat hohen Symbolwert. Schließlich ist London das Zentrum der europäischen Finanzwelt. Und England war in den letzten Jahren immer wieder Labor für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die dann auch in Deutschland und in der EU umgesetzt wurde – man denke nur an New Labour und Hartz IV.

Dass es nun ausgerechnet hier, in der Möchtegern-Hauptstadt Europas, zum GAU kommt, und das noch dazu gleichzeitig in den Suburbs und in der City, gibt zu denken.Scheitert hier ein Modell, an dem sich die Europäer orientiert haben? Oder ist dies das Ende der britischen „Ausnahme“, die sich nicht zuletzt am Verzicht auf den Euro zeigte? Gibt es gar einen Zusammenhang zwischen der Panik in der City und der Randale in den Suburbs?

Zunächst zu den Krawallen: sie mögen in London besonders schlimm sein. Doch ähnliche Aufstände hat es bereits in Frankreich, Griechenland sowie – in friedlicher Form – auch in Spanien gegeben. Sogar in London gab es vor den aktuellen Unruhen massive Proteste gegen die Kahlschlagpolitik von Premier Cameron. Es ist diese rücksichtslose Sparpolitik, die den Boden für gewalttätige Proteste bereitet und einen “Aufstand der Unterklasse” provoziert..

Nun zu den Märkten: auf den ersten Blick fallen sie in Panik, weil die Staatsdefizite aus dem Ruder laufen. Doch in Wahrheit sorgen sich Analysten und Trader mindestens ebenso vor der Gefahr einer neuen Rezession. Weil die USA und Europa gleichzeitig massiv auf die Sparbremse treten, ist diese Gefahr durchaus real. Es geht eben nicht nur um Defizite, wie man in Berlin und Brüssel immer wieder behauptet. 

Es geht auch – wenn nicht sogar zuerst – um Wirtschaftswachstum. Denn ohne Wachstum werden die Defizite noch größer, und der Abbau der Schuldenberge noch schwerer.

Bisher wurde das Wachstum – und hier schließt sich der Kreis – durch Deregulierung, sinkende Unternehmenssteuern und Lohnverzicht generiert. Großbritannien war hier Vorreiter und Vorbild. Eine Zeitlang sah es so aus, als sei das britische Modell dem kontinentaleuropäischen überlegen. Ohne Euro und überbordenden Sozialstaat, so die neoliberale bzw. neokonservative These, gehe es dem Land besser.

Diese These bricht nun ebenso in sich zusammen wie die neoliberale Illusion. Durch die doppelte Krise in den Suburbs und der City wird London zum Symbol für eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Gewinne privatisiert, Unternehmen entlastet, Verluste sozialisiert und die Jugend ihrem Schicksal überlässt. London calling – der Protestsong der 80er-Jahre Punkrocker von „The Clash“ – erhält damit einen neuen, dramatischen Sinn.

Ob man die Botschaft auch in Berlin und Brüssel hört?

 

P.S. Ein hervorragender Blog zur Lage in London: http://pennyred.blogspot.com/2011/08/panic-on-streets-of-london.html

Und hier noch eine gute Analyse von le bohémien: http://le-bohemien.net/2011/08/09/gewalt-gegen-die-gewalt/

 

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