Jetzt wird es ernst – auch für Merkel
Die EU hat die Entscheidung über ein massives Konjunkturprogramm vertagt. Das ist einerseits richtig – denn die Coronakrise ist längst nicht ausgestanden. Es ist aber auch gefährlich – denn jetzt wird es richtig ernst.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag sind wie erwartet keine neuen Entscheidungen gefallen. Die 27 Chefs segneten zwar den 540-Mrd.-Euro-Plan der Eurogruppe ab. Doch gleichzeitig räumten sie ein, dass dieser Plan bei weitem nicht ausreicht, um die Coronakrise abzufedern. Ein Billionen-schweres Konjunktur-programm, wie es Frankreich, Italien und Spanien vorgeschlagen haben, fand aber keine Mehrheit.
Man brauche mehr Zeit, sagte Frankreichs Staatschef Macron. In einigen Staaten gebe es politische Zwänge, die zu “sehr harten Positionen” führten.
Vor allem die Niederlande und Finnland, aber auch Deutschland stehen auf der Bremse. Ratspräsident Michel war nicht in der Lage, den Hauch eines Kompromisses zu formulieren. Alle Details des Programms sind heftig umstritten.
Als Ausweg aus der Sackgasse wurde vereinbart, einen Vorschlag der EU-Kommission abzuwarten. Behördenchefin von der Leyen will ihn am 6. Mai vorlegen – zusammen mit einem Entwurf für das nächste EU-Budget für 2021-2027.
Selbst dann werden noch nicht alle Daten vorliegen – denn die Coronakrise ist längst nicht ausgestanden. Anfang Mai werden nicht einmal alle Länder den Ausnahmezustand beendet haben. Die Schäden lassen sich deshalb noch nicht abschätzen.
Klar ist jedoch auch, dass es nun richtig ernst wird. Mit jedem Tag, den die Coronakrise andauert, wird der Graben in Europa größer. Während Deutschland durchstartet und immer neue Stützungsprogramme beschließt, liegt anderswo alles am Boden.
Das bedeutet, dass sich nicht nur die wirtschaftliche und soziale Kluft vergrößert – sondern auch die politische. Schon jetzt unken manche, Deutschland könne im Zuge der Coronakrise noch mehr Macht gewinnen, während fast alle andern verlieren.
Da wirkt es kaum beruhigend, dass Deutschland am 1. Juli auch noch den EU-Ratsvorsitz übernimmt – im Gegenteil.
Kanzlerin Merkel dürfte es kaum gefallen, dass sie über das Schicksal der EU entscheiden soll – denn das ist mit teuren Kompromissen verbunden. Eine Einigung wird in Brüssel fast immer mit Geld erkauft.
Und den Chefs der Krisenländer kann es kaum gefallen, dass es nun in Merkels Belieben liegt, ob und wann sie einem (dann wohl deutschen) Programm zustimmt, das sie so dringend zum Überleben brauchen…
Siehe auch “Beten für die (verlorene) Einheit” und “Beihilfen: Macht Deutschland alle platt?”
P.S. Merkel hat angekündigt, die Planungen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli deutlich zu überarbeiten. “Sie wird von der Frage der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen ganz klar geprägt sei”, sagte Merkel in ihrem am Samstag veröffentlichten Videopodcast.
Immer locker bleiben
24. April 2020 @ 19:24
Ist ja richtig was los hier. Die Systemkrise steht vor der Tür! Das wollten wir doch immer. Viele von uns haben ihren Beitrag geleistet. Ich z.B. fahre seit 6 Wochen keinen Km mit Auto, Bus, Bahn oder Flugzeug. Kein Kneipen-, Restaurant- und Schwiegermutterbesuch. Friseurtermin verschoben. Kein Osterurlaub. Keine Bücher oder Klamotten/Schuhe gekauft. Mal ehrlich, welcher Mann braucht mehr als 5 Paar Schuhe. Jedoch, im Supermarkt und beim Weinhändler kauf ich (fast) nur noch mediterran… Viele meiner Freunde sind in Kurzarbeit (50%) und kriegen mindestens 80% vom Lohn, viele mehr. (Das wäre auch ein Modell für mich.) Das soll nur einen BIP Rückgang von 8% bringen? Viel zu wenig. Unter schlimmster Krise seit der Weltwirtschaftskrise habe ich mir immer was anderes vorgestellt. Außerdem, die Luft ist – auch ohne Green Deal – schon lange nicht mehr so rein wie heute… Sogar in Brüssel! Wir müssen nur unser Verhalten beibehalten.
Allerdings: Den Satz meiner Mutter am Ende der Sommerferien: ” Was bin ich froh, wenn am Montag die Schule wieder anfängt.” habe ich noch nie so gut verstanden wie heute.
Holly01
24. April 2020 @ 19:42
Wenn Sie das System kippen wollen, dann machen Sie es richtig.
Alles auflösen, was mit Geld zu tun hat, egal ob sparen oder versichern.
Dann alles abheben.
Verschenken Sie es, leihen Sie es Freunden, um die schuldenfrei zu machen oder machen Sie Freitags öffentliche Treffen und verbrennen Sie ein paar Scheine.
Sie dürfen aber kein Geld ausgeben. Nur Grundversorgung ist erlaubt.
Wenn das genug machen (selbst die nicht so reichen) klappt alles zusammen ….
😉 fröhliches sägen am eigene Ast ^^
Immer locker bleiben
24. April 2020 @ 20:41
Nur wer auf dem hohem Ast sitzt, fällt tief. Bei mir ist die Fallhöhe gering.
Holly01
24. April 2020 @ 18:15
“Wiederaufbau” ist wohl das Wort der Wahl, weil wir die Folgen der neoliberalen Sozialkriege beheben müssen.
Es wurden ja nicht nur die gesellschaftlichen Funktionen beschädigt.
Es wurden auch ganze Wertschöpfungsketten so lange zerteilt, bis sie ihre Funktionen so anfällig für Störungen sind, das das Wirtschaften als solches seinen Sinn verliert.
Am wichtigsten aber ist, das wir Vertrauen zurück gewinnen müssen.
Wir müssen uns neue Freunde kaufen. Damit da draußen wieder jemand ist, den wir nicht mit einem Panzer besuchen müssen, damit er/sie/es unsere waren nimmt oder uns seine/ihre Rohstoffe verkauft.
Doch, das ist ein Wiederaufbau nach einer apokalyptischen Zerstörungsorgie am Planeten, seiner Gesellschaft, dem Rechtswesen und unserer aller Zukunftsfähigkeit.
Wir müssen diese neoliberale Scheisse wegräumen und zu Inhalten wie Moral, Gerechtigkeit und Sinn zurück finden. Damit wir eine Chance haben, in 100 Jahren noch als Menschheit in einem Rahmen zu existieren, der erstrebenswert ist.
Denn wissen Sie, Gier ist ein ganz schlechter Lebensinhalt.
vlg
ebo
24. April 2020 @ 18:36
Mist, jetzt habe ich “Wiederaufbau” gerade durch “Konjunktur” ersetzt. “Recovery” ist ja keine “Reconstruction”…
Holly01
24. April 2020 @ 19:00
Kein Ding 😉 1^x ist auch nur eins xD, passiert
Georg Soltau
24. April 2020 @ 20:13
Hallo ebo „Wiederaufbau“ durch „Konjunktur“ zu ersetzen ist leider nicht EU konform denn laut „Europe Direct Kontaktzentrum“ heißt es jetzt „… „Erholungsfonds“ und nicht (mehr) „Wideraufbaufonds“ (Info erhielt ich aus Portugal)
vlg
ebo
24. April 2020 @ 20:21
Ja, Erholung brauche ich jetzt auch mal. Wäre super, wenn die EU das bezahlt 🙂
RAJA RAJAMANI
24. April 2020 @ 16:09
Should read ‚A TRILLION-dollar reconstruction program, as proposed by France, Italy and Spain, did not find a majority.‘ Infact now it is 1.5 to 3 trillions.
ebo
24. April 2020 @ 17:34
In German, a trillion is a billion
Holly01
24. April 2020 @ 18:34
German Billion 1.000.000.000.000 = 1^12 = US Trillion
US Billion 1.000.000.000 = 1^9 = German Milliarde
Georg Soltau
24. April 2020 @ 14:00
Hallo, interessante Debatte ja, viele Informationen und auch Wahrheiten, aber sind wir von der Propaganda um Corona schon so eingefangen, dass wir gar nicht merken was uns untergejubelt wird ? Was soll eigentlich “Wiederaufbau-Programm ” bedeuten ? “Wiederaufbau” ein Wort aus der Nachkriegszeit mit zerbombten Städten und Industrien. Zum Glück gibt es diese nicht! Was also soll und wird mit dieser Wortwahl bezweckt ?
vlg und bleibt “negativ”
Peter Nemschak
24. April 2020 @ 13:04
Wiederaufbau ist ein falscher Begriff, da keine materiellen Zerstörungen wie nach dem Zweiten Weltkrieg vorliegen. An begrenzten finanziellen Unterstützungen für schwache Länder werden die starken nicht herumkommen, allerdings ist eine bedingungslose Solidarität unrealistisch. Die Fiskalpolitik, die auch Staatsschulden umfasst, ist in nationaler Kompetenz der Mitgliedsländer. Die EU ist kein Bundesstaat sondern ein Bund souveräner Staaten mit begrenzten supranationalen Kompetenzen. Warum soll der deutsche Steuerzahler seine Steuern zur Verwendung nach Italien schicken, wenn er keinen Einfluss auf die Verwendung seiner Steuern hat: “no taxation without representation”. Dass eine Solidarhaftung aus “technischen Gründen”, weil zu zeitaufwendig, nicht in Frage kommt, ist eine diplomatische Floskel für den italienischen Ministerpräsidenten, gedacht für den Inlandskonsum in Italien. Nachdem eine Transferunion politisch nicht durchsetzbar ist, wird man sich überlegen müssen, die Eurozone zu verkleinern, auch wenn das mit hohen Kosten verbunden ist. Es gibt Staaten innerhalb der EU mit eigener Währung, die nicht schlecht damit fahren. Eine relative politische Stärkung Deutschlands innerhalb der EU wäre nicht ungewöhnlich. Sie wäre Ergebnis struktureller institutioneller und wirtschaftlicher Stärke innerhalb eines Bundes souveräner Staaten. Solange kein Mitgliedsstaat größere Vorteile für sich außerhalb der EU sieht, wird die EU nicht zerfallen.
Immer locker bleiben
24. April 2020 @ 12:11
Ist ja echt eine lebhafte Debatte hier. Was man machen kann und wer schuld ist! Ich persönlich glaube nicht, dass sich das Problem durch gegenseitiges Bashing lösen lässt: Die Deutschen sind schuld (und Merkel zuallererst)! Europa (wer ist das überhaupt?) ist schuld! Die Südländer sind sowieso schuld! Die Niederländer sind geizig (Das stimmt allerdings ;-)! Jeder argumentiert aus einer nationalen und ohne europäische Perspektive. Finde ich jedenfalls.
Holly01
24. April 2020 @ 07:54
Das deutsche Problem in 3 Charts:
Deutschlands Bip Pro Kopf von 1970 bis 2019:
” https://www.ceicdata.com/de/indicator/germany/gdp-per-capita ”
Sehen Sie sich Deutschlands Private Konsumausgaben von 1960-03 bis 2019-12 :
” https://www.ceicdata.com/de/indicator/germany/private-consumption-expenditure ”
Sehen Sie sich Deutschlands Privatverbrauch:% des BIP von 1991-03 bis 2019-12:
” https://www.ceicdata.com/de/indicator/germany/private-consumption–of-nominal-gdp ”
Was die deutschen “Ökonomen” da als Geschäftsmodell so sehr verteidigen, ist reine Umverteilung und hat Deutschland in eine 20 jährige Stagnation getrieben.
Wer gerade nicht reich ist: Da sind die Täter. Deutsche Politiker, die deutsche Bevölkerung enteignet.
So einfach ist das manchmal.
Komisch. Die Gesellschaften in anderen europäischen Ländern wollen das nicht mit sich machen lassen.
Auch sonderbar, Das dreckige Dutzend der Gewinner, würde dieses System gerne EU weit einführen.
Ja, das ist Merkels Problem. Für wen wird sich die alte Frau entscheiden?
Politik für die Menschen oder Politik für die Finanzelite?
Möchte jemand eine Prognose wagen?
vlg
European
24. April 2020 @ 11:26
@Holly1
“Wer gerade nicht reich ist: Da sind die Täter. Deutsche Politiker, die deutsche Bevölkerung enteignet.”
So ist es. Es ist dramatisch für eine Bevölkerung, wenn die untere Hälfte kein Vermögen bilden kann. Sie haben Millionen von Sozialfällen geschaffen. Das wird sich bis ins Rentenalter ziehen.
Holly01
24. April 2020 @ 07:30
“Man könnte eigentlich auch noch länger warten – denn die Coronakrise ist längst nicht ausgestanden. ”
Das ist für den Mittelstand so, als wenn Sie schreiben:
Die ertrinken zwar gerade, aber wir brauchen Zeit und das ist auch ok, denn das Wasser wird in 2 Wochen auch noch da sein … aber der Mittelstand und das Kleingewerbe nicht ….
vlg
ebo
24. April 2020 @ 08:54
Das stimmt nur auf den ersten Blick. Die EU-Staaten dürfen aber schon jetzt einen Rettungsring auswerfen – über nationale Stützungsmaßnahmen. Das Problem ist nur, dass sich Italien oder Rumänien da wesentlich wenig leisten können als Deutschland…
Holly01
24. April 2020 @ 09:04
Ich könnte nun schreiben, das Rumänien und Italien 1/3 weniger BIP haben und darum weniger bräuchten. Aber das wäre neoliberal und falsch.
Das Problem ist, die Konkurrenzsituation zwischen Ländern.
Firmen konkurieren, das muss auch (in einem vernünftigen Rahmen) so sein.
Wenn Firmen aber erwarten das Konkurrenz aus Deutschland massiv mehr ungeprüftes und nicht verzinstes Geld bekommt und dann auch noch alle einschränkenden Rahmen aufgehoben werden, dann ist es egal, was Italien oder Rumänien aufbieten.
Es geht nicht um die Summen als Solche.
Es geht immer um den spread.
Wir sitzen alle am Start zum Marathon nach Covid-19.
Aber Deutschland nimmt an der Marke 21km Platz und läuft bergab, währen der Rest bei 42km steht und bergauf guckt.
Dann stellt sich Merkel hin und sagt: seit froh, das ich fair bin, wir haben auch noch e-scooter im Gepäck, falls China als Konkurrent kommt.
In den letzten 30 Jahren wurde die Situation in einer Weise verzerrt, die die Covid-19 Situation für unsere Partnerländer, im Bezug aus explizit Deutschland, zur Existenzfrage macht.
Deutschland schwächen wäre dumm. Deutschland verbessern ist überfällig.
Aber wir müssen unsere Partner aufbauen und das dringend.
JETZT ist der Zeitpunkt dafür.
vlg
European
24. April 2020 @ 11:03
@Holly1
“Deutschland schwächen wäre dumm. Deutschland verbessern ist überfällig.”
Es geht nicht darum, Deutschland zu schwächen. Deutschland muss aufhören, die anderen zu schwächen. Deutschland hat sich einen Lohnabstand von ca. 30% zu Frankreich erschlichen und fordert nun die anderen zum Unterbietungswettbewerb auf. Was passiert denn mit Frankreich, wenn es die Löhne um 35% senkt. Italien muss dann 40% bieten?
Peter Bofinger hat das 2017 ganz deutlich gesagt:
https://www.fr.de/wirtschaft/deutschland-kein-vorbild-11030436.html
“Deutschland ist kein Vorbild. Die deutsche Strategie der relativen Lohnsenkung hat nur funktioniert, weil die anderen Staaten sie nicht mitgemacht haben. Nur weil sie keine Sparsamkeit und Lohnzurückhaltung geübt haben, konnte Deutschland seine relative Wettbewerbsposition verbessern und von der ausländischen Nachfrage profitieren.”
und weiter
“Und wenn das jetzt alle machen würden?
Wenn alle Euro-Staaten die Löhne senken um wettbewerbsfähiger zu werden, dann ist das ein Nullsummen-Spiel, bei dem keiner gewinnt. Die pauschale Forderung deutscher Politiker nach „Reformen“ in den anderen Euro-Staaten führt in die Irre. Sollte Macron erfolgreich die Löhne in Frankreich drücken, dann verspreche ich Ihnen, dass bald Stimmen in Deutschland laut werden, die den Verlust unserer Wettbewerbsfähigkeit beklagen und Lohnzurückhaltung fordern.”
Kurz gesagt: Wir haben die anderen ausgebootet. Der Lohnabstand ist mittlerweile uneinholbar. Jetzt noch die Bazooka für Deutschland während die anderen sich mit Pfeil und Bogen begnügen müssen.
Holly01
24. April 2020 @ 13:17
@ European:
Ihre Begründung ist der Grund, warum Deutschland einen “Vorteil” hat.
Am unternehmerischen Können liegt es jedenfalls nicht.
An der Produktivität auch nicht.
An den Innovationen schon gar nicht.
vlg
Michael Josef Rittel
24. April 2020 @ 05:52
Wäre ich noch in der Schule, und einer meiner Mitschüler hieße #Deutschland -Pause- ich würde ihn nicht mögen! Sportschuhe von Puma – ich von Lidl. Taschenrechner von Texas Instruments – ich von Aldi. Mama & Papa zahlen den Schulausflug in die Alpen aus der Portokasse – ich muss Zeitungen austragen! Ich mag #Deutschland auch nicht, weil #Deutschland die besseren Noten schreibt. Dafür spare ich das Geld für den Nachhilfelehrer!