Ist Portugal noch frei?
In Euroland herrscht wieder Unruhe. Die Bankenunion kommt nicht voran, Griechenland bekommt kein Geld – und in Portugal ist ein Nervenkrieg über die Regierung entbrannt. Ist das ein neuer Coup?
Griechenland, Italien, Belgien, Frankreich – und nun Portugal: Immer wieder versuchen die Regenten der Eurozone, gewählten Parlamenten und Regierungen ihren Willen aufzuzwingen.
Diesmal müssen sich Kanzlerin Merkel und Eurogruppenchef Dijsselbloem nicht selbst die Finger schmutzig machen, wie beim fatalen Euro-Gipfel zu Griechenland (“This is a coup”).
Angst vor Unruhe an den Märkten
In Portugal sorgt Staatschef Silva dafür, dass die Wahlsieger von der Linken nicht regieren dürfen. Obwohl der konservative Ex-Premier Coelhos keine Mehrheit hat, wurde er mit der Regierungsbildung beauftragt.
Bemerkenswert ist Silvas Begründung: In einer Fernsehansprache warnte er vor Unruhe in der Finanzwelt und erteilte dem Gedanken an eine Linksregierung eine harsche Absage.
In Zeiten der Demokratie seien Regierungen nie von “antieuropäischen” Kräften abhängig gewesen, sagte er – wohl wissend, dass die Sozialisten, die übergangen wurden, anerkannt EU-treu sind.
Gabriel und Schulz schweigen
Nun warten alle darauf, wie die Sozialisten regieren. Werden sie die neue Regierung stürzen? Und kommen sie dann doch noch zum Zuge – oder wagen Silva und seine Konservativen den offenen Putsch?
Ich halte das nicht für ausgeschlossen – denn viel Widerstand wäre nicht zu erwarten. Auf der sozialdemokratischen Linken wirkt nicht nur der Coup in Athen nach, sie lässt sich auch durch die GroKo in Berlin und Brüssel einlullen.
Oder hat man schon ein Wort von SPD-Chef Gabriel oder EU-Parlamentspräsident Schulz zu den dubiosen Vorgängen in Lissabon gehört? Ist Portugal überhaupt noch frei?
Siehe auch: “In der Euro-Falle” und “Ist Griechenland noch frei?”
Alexander
4. November 2015 @ 13:14
@ Peter Nemschak:
Sie schreiben, die Ankurbelungsrezepte der Linken haben den Charakter von Vulgärökonomie. Wenn sie so denken, dann muss dem analog die amerikanische Regierung seit 2007 von einer Horde Kommunisten besetzt sein (da mehrere US-“Ankurbeluings”programme seit 2007 in Höhe von >1.600 Milijarden USD, zusätzlich QE-Programme), dann muss Merkel mindestens eine entgleiste Hardlinermarxistin sein (Abwrackprämie, Ankurbelungsprogramm 1+2, Volumen > 70 Milijarden €, Finanzmarktstabilisierung 400 Milliarden Euro), dann muss EZB-Chef Mario Draghi mindestens ein verrückter Anarcholinker sein (QE-Programme). So macht man Umdeutung der Geschichte und schiebt den Linken mal einfach so die größten Ankurbelungsrprogramme der Geschichte zu! Und wenn sie schreiben, dass Portugal nicht glatt (man beachte die Wortwahl!) in ebos Richtung läuft, dann unterschlagen sie aalglatt, dass dies nicht ebos Richtung ist, sondern die Entscheidung der Wähler in Portugal war. Daraus kann man nur folgern, dass ihnen die Abschaffung der Parlamentarischen Demokratie nur recht und billig ist.
Peter Nemschak
4. November 2015 @ 21:37
Sie können einen Bundesstaat wie die USA nicht mit einem Staatenbund wie die EU vergleichen, abgesehen davon, ob Sie sich den amerikanischen Wohlfahrtsstaat heutiger Prägung wünschen. Ohne Transferunion, die von der Mehrheit der Bürger abgelehnt wird, wird die gemeinsame Währung auf Dauer nicht überleben. Ohne europäische Parteien, wird es nicht jene Demokratie geben, welche Sie sich wünschen, eine von unten statt von oben. Nur: die Bürger denken und vor allem fühlen national und nicht europäisch, was die Entstehung europäischer Parteien verhindert. Warum sollen die Bürger in Deutschland und anderen Ländern Mittel- und Nordeuropas den europäischen Süden, auf den sie keinen politischen Einfluss haben, subventionieren? Was Sie und andere sich wünschen, ist auf absehbare Zeit schlicht nicht mehrheitsfähig. Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, wie wenig solidarisch viele Länder der EU sind. Das muss man nüchtern zur Kenntnis nehmen statt Illusionen und Utopien nachzujagen. Ich verstehe nicht, was an einem deutschen Modell, ebo nennt es das deutsche Europa, so verwerflich ist. Immerhin kommt das deutsche Modell dem europäischen Föderalismus mit seinem Subsidiaritätsprinzip eher entgegen als das britische und französische Zentralstaatsmodell.
popper
4. November 2015 @ 12:19
@Peter Nemschak
Hören Sie doch mal endlich auf, permanent in dieser Links/Rechts Soße herumzuwaten. Die ökonomische Problematik lässt sich damit ohnehin nicht bewältigen. Zunächst darf ich Sie daran erinnern, dass der “ärgerliche” Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre die banale Erkenntnis enthält, dass das gesellschaftliche Nettogeldvermögen, über alle gesellschaftlichen Sektoren gerechnet, den recht übersichtlichen Betrag NULL ergibt.
Da mit dem Murgs der ihnen offenbar so ans Herz gewachsenen Marktfetischisten die “goldenen” Zeiten des wachstumsorientierten Kapitalismus, insbesondere in Europa in völliger Orientierungslosigkeit und der Süden in permanenter Staatspleite herum dümpeln, wäre es eher angebracht, zu fragen, wo noch ein letzter Rest an Rentabilität herkommen soll, wenn infolge des idiotischen Fiskalpakts und oktroyierter Schuldenbremsen sich kein potenzielles Verschuldungspotential mehr finden lässt, das die Bildung von Nettogeldvermögen ermöglicht.
Hinzu kommt, dass die Wachstumsraten des Sozialprodukts, die bisher diese Illusion genährt haben, inzwischen auf mikroskopische Dimensionen zusammengeschnurrt sind. Was sich noch für die Finanzbranche zu einem Desaster ausweiten wird, und in wenigen Jahren zu einer “alternativlosen Rettung” der Geldsammelstellen (Fonds, Lebensversicherer, RüRup etc.) geblasen wird. Da reiben Sie sich auf am Deficit-Spending. Begreifen dabei offenbar nicht, dass es in einer Marktwirtschaft ohne Verschuldung eines Sektors überhaupt kein Wachstum geben kann.
Da aber Nettogeldvermögen (=Ersparnis) nur dann gebildet werden kann, wenn jemand auf Kredit (heißt in der Regel eine temporäre Erzeugung von Nettogeldvermögen) kauft, wird es, wenn die Unternehmen sich seit Jahren weigern, dieses Prinzip der langfristigen Vorfinanzierung mitzutragen, zu der entscheidenden Frage, woher die notwendigen Nettoschulden kommen sollen, die für die Erzeugung von Nettogeldvermögen gebraucht werden. Das ist reine Buchhaltung, wenn Sie so wollen. Und da schwafeln Sie von linker Ideologie, wo es, wie in Griechenland und Portugal um die eklatante Missachtung demokratischer Verfassungen geht. Das Experiiment, um das Sie permanent mit Wunschdenken unterfüttern, ist gescheitert. Die Chicago-Boys, in deren Schlepptau Sie immer noch herumlümmeln, haben versagt, das ist die Realität.
Peter Nemschak
4. November 2015 @ 19:07
Sie argumentieren mit ex-post Tautologien, die das Verhalten der Akteure nicht erklären können.
popper
5. November 2015 @ 11:19
…ich antworte Ihnen gerne, wenn Sie konkretisieren, worin Sie eine ex post-Tautologie festgestellt haben…
Es geht ja nicht um die Erfahrung, dass man hinterher immer schlauer ist, sondern um grundlegende ökonomische Zusammenhänge, die schon vor Jahren deutlich machten, was am Ende dabei herauskommt, wenn die EWU diesen Austeritäts-Kurs etc. strikt weiterverfolgt. Obwohl die mageren Erfolge bei Spanien, Portugal darin liegen, dass die Kriterien – im Gegensatz zu Griechenland, wo man ohne Rücksicht den Troika-Stiefel durchzieht – bis heute immer wieder gelockert werden, um den Anschein zu erwecken, dort ginge es aufwärts bzw. die Sprachdiktate seien erfolgreich gewesen. Nichts davon beruht auf belastbaren Fakten.
Das Glasperlenspiel der Neoklassiker mit all ihren Apologeten hatte zu keiner Zeit etwas mit realen wirtschaftlichen Abläufen zu tun. Die Verschuldungspotentiale des Privatsektors brauchten nur eine gewisse Zeit (30-40 Jahre) bis sie sich soweit in die Volkswirtschaften hineingefressen hatten dass die Faktizität dieser irregeleiteten Wirtschaftspolitik offen zutage trat. Was danach kam, war nur noch Kosmetik und ist es bis dato. Es zeigt sich, dass nicht die Haushalte, sondern die Unternehmen es in der Hand haben wirtschaftliche Dynamik zu generieren. Dazu bedarf es aber einer monetären Vorleistung durch sie.
Nicht die mikroökonomische Kostenreduktion führt zum Ziel, sondern die generierte Nachfrage. Insoweit hat das Sayche Theorem: “Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage” dann seine Berechtigung, wenn es nicht im neoklassischen Sinne einer allgemeinen Gleichgewichtstheorie, sondern dahingehend auswirkt, dass sich Unternehmer mehr verschulden – und das tun sie bei jeder Lohnzahlung – weil ohne das kein Einkommen bei den Haushalten entstehen kann . Anders ausgedrückt: wenn die Unternehmer nicht mehr Ausgaben tätigen wollen, als sie Kredite tilgen, können die Haushalte machen was sie wollen: sie müssen entsparen, und zwar so, dass die Summe der monetären Ersparnis sich gezwungenermaßen der Investitionsentscheidung der Unternehmer anpassen muss.
Da man Unternehmern aber seit Jahren von Seiten der Unternehmensberater einredet, sie müssten an allen Ecken und Enden ihre Kosten reduzieren, natürlich insbesondere bei den Löhnen, und der Staat diese reduzierte Nachfrage nicht mehr mit Verschuldung kompensieren soll/will, bewegt sich das weltweite Wirtschaftsmodell im permanenten Krisenmodus. Wobei die EWU in Gestalt der Komission und seiner Troika ein besonders negatives Beispiel an ideologischer Verblendung liefert.
Wenn Sie willens sind, über Inhalte zu diskutieren und nicht bloß den Mainstream hier abbilden wollen, können wir gerne weiter diskutieren.
Peter Nemschak
4. November 2015 @ 09:49
Dass bei dem vorliegenden portugiesischen Wahlergebnis eine Regierungsbildung nicht leicht wird, war abzusehen, auch wenn manche daraus die große Wende nach links zu sehen glaubten. Was heißt frei? Bei dem heutigen Grad der wirtschaftlichen Vernetzung ist niemand wirklich frei sondern in diverse Abhängigkeiten eingebunden. Relativ frei sind Staaten mit gesunden Finanzen, wozu der Süden Europas nicht zählt.
ebo
4. November 2015 @ 09:57
Frei heißt, freie Wahl zu haben. In diesem Fall also, den Premier zu stürzen, der keine parlamentarische Mehrheit hat. Dürfen die portugiesischen Sozis das? Oder sagt ihnen Genosse Schulz, dass das nicht erwünscht ist?
Peter Nemschak
4. November 2015 @ 10:31
Sie sehen hinter allem und jedem Gespenster, nur weil es in Portugal nicht glatt in die Richtung läuft, die Sie gerne hätten. Ich habe übrigens hinsichtlich der Rechten nicht Portugal gemeint. Nur, die Ankurbelungsrezepte der Linken haben den Charakter von Vulgärökonomie. Wir haben ein Vertrauensproblem in Europa, dass sich kurzfristig nicht durch Deficit-Spending beheben lässt.
DerDicke
4. November 2015 @ 09:11
Niemand ist mehr frei. Marktkonforme Demokratie eben. Beschiss wo es nur geht. Die Regierungen und Parlamente haben eh nichts mehr zu melden, die Fäden werden schon lange wo anders gezogen.
Passend hierzu: nebenbei werden wir schon auf Enteignung zugunsten von Flüchtlingen vorbereitet. Ich wüsste nicht, dass eine Mehrheit der Deutschen hier zustimmen würde (man lese nur mal die Kommentare). Auch hier wird vollständig gegen das eigene Volk regiert, unter Missachtung von Grundgesetz und Amtseid.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article148359900/Einwanderungsrecht-steht-vor-Eigentumsrecht.html
Scheinbar schreitet die NWO mit eiligen Schritten voran, nächster Halt: Abschaffung der Nationen und der nationalen Souveränität.
Peter Nemschak
4. November 2015 @ 09:54
Was die Abschaffung der formalen nationalen Souveränität betrifft, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, im Gegenteil. Die Rechten sind auf dem Vormarsch, weil sich die verunsicherten Menschen an die Nation kuscheln wollen. In der globalen Realität ist die nationale Souveränität längst relativ geworden, obwohl manche nach wie vor gedanklich in der Vergangenheit leben und die Illusion der Souveränität pflegen.
ebo
4. November 2015 @ 10:17
Sie täuschen sich: In Portugal ist die Rechte NICHT auf dem Vormarsch. Doch wenn die Linke dort genauso von der Eurogruppe erpresst wird wie in Griechenland, könnten sich die Menschen tatsächlich gegen Europa wenden und den rechten Rattenfängern nachlaufen, wie in Österreich.