Der Papst mahnt, die Kanzlerin kuscht
Noch vor der umstrittenen Böhmermann-Entscheidung gab Kanzlerin Merkel bekannt, dass sie in der kommenden Woche in die Türkei reisen wird. Es wird wohl der nächste Kniefall.
Der Papst fährt nach Lesbos, um gegen die Merkel’sche Wendung der Flüchtlingspolitik zu protestieren. Das konnte die Kanzlerin und CDU-Chefin natürlich nicht auf sich sitzen lassen.
So reist sie nun nach Gaziantep, wo nahe der syrischen Grenze das wohl größte Flüchtlingslager der Türkei liegt. Sehr hübsch. Die Protestantin bei den Türken, der Katholik bei den Griechen.
Natürlich hätte es einer überzeugten Europäerin besser angestanden, zuerst ebenfalls nach Griechenland zu reisen, etwa nach Idomeni, wo sich das ganze Elend ihrer neuen Politik zeigt.
Aber es geht wohl mehr um eine Gefälligkeit für ihren Schlüsselpartner, den Sultan Erdogan – genau wie im Fall Böhmermann, der nun nach dem Schah-Paragraphen abstraft werden darf.
Und das zu einer Zeit, da die Türkei offenbar syrische Flüchtlinge bedroht – und sie mit scharfer Munition vom Grenzübertritt abhält. Ist das die passende Kulisse für Merkels unpassende Reise?
Mehr zur Flüchtlingskrise hier
Peter Nemschak
16. April 2016 @ 18:10
@kaush Wie viele Menschen aus Krisenregionen kann die EU aus Ihrer Sicht aufnehmen und integrieren? Wie stellen Sie sich den Interessensausgleich zwischen der ansässigen Bevölkerung und den Zuwanderern vor, wenn es keine Obergrenze für Zuwanderer gibt?
kaush
16. April 2016 @ 18:58
“Wie viele Menschen aus Krisenregionen kann die EU aus Ihrer Sicht aufnehmen und integrieren?”
Ich weiß es nicht.
Was kann die EU tun, um Krisenregionen zu befrieden, bzw. diese nicht selbst zu erzeugen?
Ich meine eine ganze menge. Sie tut es aber nicht. Nur in Sonntagsreden wird davon gesprochen.
Und an allen anderen Tagen tut sie genau das Gegenteil:
EU-Länder waren ganz vorne dabei, den Putsch in Syrien zu initiieren.
EU-Länder waren ganz vorne dabei, Libyen zu zerstören.
EU-Länder waren ganz vorne dabei den Putsch in der Ukraine mit zu organisieren.
Der völkerrechtswidrige Krieg gegen Jugoslawien sei hier auch noch erwähnt.
Alles o.g. ist durch bewusste Entscheidungen herbeigeführt worden.
Kein Zufall, kein Naturereignis.
Peter Nemschak
17. April 2016 @ 10:09
Was die USA und die EU mittlerweile begriffen haben, dass der Sturz diktatorischer Regimes nicht notwendigerweise automatisch demokratische Verhältnisse nach sich zieht. Bisher gibt es kein Rezept, ethnisch zersplitterte Regionen staatlich unter einen Hut zu bringen. In Europa ist Bosnien ein abschreckendes Beispiel, im Nahen Osten Syrien, der Irak, aber auch andere Länder, in denen der Arabische Frühling gescheitert ist. Selbst die Kurden können sich nicht auf einen Staat einigen. Nicht die künstliche Staatenbildung durch die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg sondern die ethnische Zersplitterung dürfte der Grund für die blutigen Konflikte in der Region sein. Diese gab es schon während des Osmanischen Reichs, nur sind sie aus unserem historischen Gedächtnis verschwunden. Dass die Bevölkerungsexplosion und schlechten wirtschaftlichen Aussichten das Ihre dazu beitragen, verstärkt die zugrunde liegenden Konflikte.
kaush
16. April 2016 @ 17:36
Der Türkei-Deal ist schon übel, aber die EU kann noch übler:
“Flüchtlinge: EU plant mit ostafrikanischen Despoten”
Thomas Pany 14.04.2016
Laut dem Magazin Monitor will die EU mit ostafrikanischen Machthabern über eine Rückführung und Rückübernahme von Migranten verhandeln
Dem ARD-Magazin Monitor wurden vertrauliche Dokumente zugespielt, die, so der Teaser zur Ausstrahlung des Beitrags, “unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen dürften”. Es geht darin um angestrebte Kooperationen der EU mit “den Machthabern in Eritrea, Sudan, Äthiopien und Somalia” in der Flüchtlingspolitik.
Die Konstellation, die aus einem Sitzungsprotokoll der Botschafter der EU-Staaten vom 23. März und diversen, nicht näher bezeichneten vertraulichen Länderpapieren hervorgeht, dürfte der Öffentlichkeit bereits vertraut sein:
Der EU ist daran gelegen, so wenig Asylsuchende aus afrikanischen Ländern aufzunehmen wie möglich. Daher sucht man die Herrschenden mit lukrativen Angeboten von einer Kooperation zu überzeugen. Menschenrechte, sonst großes Aushängeschild der EU, sind nachrangig…”
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47953/1.html
Somalia:
Die Sicherheitslage in Somalia ist aufgrund des anhaltenden Bürgerkrieges und der Piratenüberfälle vor der Küste schlecht. Die Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, die Kriminalität nachhaltig zu bekämpfen. Das deutsche Auswärtige Amt (AA) hat für Somalia eine Reisewarnung ausgegeben und seine Botschaft geschlossen (Stand: Oktober 2015). Ausländer werden immer wieder Opfer von Mordanschlägen und Entführungen, in medizinischen oder kriminalitätsbedingten Notfällen ist keine ausreichende Infrastruktur zur Versorgung vorhanden.
Äthiopien:
Die letzten Parlamentswahlen fanden im Jahr 2010 statt. Das Regierungsbündnis EPRDF erhielt zusammen mit den regionalen Regierungsparteien insgesamt 99,6 % und somit 545 der 547 Parlamentssitze im Volksrepräsentantenhaus. Die Opposition unter der Parteienkoalition Forum für Demokratischen Dialog (Medrek) erhielt lediglich einen Sitz, während unabhängige Kandidaten ebenfalls nur einen Sitz erhalten konnten. Anlässlich des von der Opposition vorgeworfenen Wahlbetrugs wurde der EPRDF vorgeworfen, dass sie autoritär regiere und die Opposition unterdrücke.
Sudan:
Am 14. Juli 2008 kündigte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, gegen al-Baschir Haftbefehl wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im anhaltenden Darfur-Konflikt an. Dies war der erste Fall, bei dem der Chefankläger des IStGH einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef beantragte. Die Vorverfahrenskammer des IStGH erließ das beantragte Rechtsmittel am 4. März 2009. Die Anklage wegen Völkermordes wurde durch Mehrheitsentscheid (bei einem Sondervotum der lettischen Richterin Anita Ušacka) nicht eingeschlossen, da für diesen keine hinreichenden Beweise vorgelegt worden seien; eine spätere Erweiterung des Haftbefehls um diesen Vorwurf behielt sich das Gericht jedoch ausdrücklich vor. Bereits ein Jahr später, am 12. Juli 2010, stellte die Vorverfahrenskammer des IStGH einen zusätzlichen Haftbefehl wegen Völkermords aus. Al-Baschir wird angelastet, er habe die Absicht gehabt, insbesondere die Ethnien der Fur, Masalit und Zaghawa zu vernichten, indem er sie getötet, verwundet oder lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt habe.
Eritrea:
Allgemein wird seine Menschenrechtspolitik im Land kritisiert. Gemäß Amnesty International werden Regierungskritiker, Angehörige verbotener Religionsgemeinschaften (vor allem evangelikaler Kirchen), Deserteure und Eritreer, die im Ausland um Asyl ersucht haben, inhaftiert und gefoltert. Laut Angaben der evangelikalen Missionsgesellschaft Open Doors sollen derzeit über 2.900 Christen, die verbotenen Religionsgemeinschaften angehören, aufgrund ihres Glaubens in Polizeistationen, Militärlagern oder Schiffscontainern unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt sein.
Quelle jeweils Wikipedia.
Was sich da anbahnt ist ein Skandal, eine riesen Sauerei!
ebo
16. April 2016 @ 20:42
Das stand hier auch schon: ” target=”_blank”>”Der nächste schmutzige Deal”
Peter Nemschak
16. April 2016 @ 08:51
@ebo Auf der Ebene der Justiz steht der Bürger Böhmermann nunmehr dem Bürger Erdogan gegenüber, nicht mehr der Staatspräsident der Türkei dem Bürger Böhmermann. Beleidigung ist ein Offizialdelikt, das, sobald es angezeigt wurde, von der Behörde aufgegriffen werden muss. Erdogan hat zweimal geklagt, weil er, so scheint es, befürchtet hat, dass die Bundesregierung das Verfahren, in dem ein ausländischer Staatspräsidenten involviert ist, nicht zulassen würde. Von jetzt an wird das Verfahren als Offizialdelikt seinen Lauf nehmen und kann politisch nicht mehr unterdrückt werden, was im Sinne des Rechtsstaates zu begrüßen ist. Es kann so oder so ausgehen. Erdogan und Böhmermann müssen sich im Rahmen des deutschen Rechtsstaates auseinandersetzen so wie zwei einfache Bürger, die wegen eines Nachbarschaftsstreits zu Beleidigungen gegriffen haben. Merkel ihrerseits hätte von Anfang an auf jede inhaltliche Bemerkung zum Schmähgedicht verzichten sollen. Es ist nicht Aufgabe der Regierung zu Geschmacksfragen Stellung zu nehmen oder Beleidigungen zwischen zwei Personen zu qualifizieren. Letztere zu beurteilen ist ausschließlich Sache der Justiz. Die Meinungen zum Fall Böhmermann vs. Erdogan sind übrigens nicht nur in Deutschland geteilt. Wenn man die moralischen Maßstäbe, welche manche Intellektuelle bei Erdogan anlegen, generalisiert, dürfte Deutschland und der Westen mit vielen Ländern der Welt keine Handels- und Dienstleistungsbeziehungen unterhalten. Das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei ist ein Dienstleistungsvertrag zwischen einer supranationalen Organisation und einem souveränen Staat.
Peter Nemschak
15. April 2016 @ 17:45
Die aus meiner Sicht richtige Entscheidung der Bundesregierung in Sachen Böhmermann war keine Gefälligkeitsentscheidung für Erdogan. Der Staat ist keine moralische Erziehungs- und Belehrungsanstalt für seine Bürger. Böhmermann kann sich unmoralisch und geschmacklos nach seinem Belieben verhalten solange er nicht bestehende Gesetze bricht. Das gehört zu seinen bürgerlichen Freiheiten. Ob er im gegenständlichen Fall ein gültiges Gesetz verletzt hat, ist Sache der Justiz zu beurteilen. Sache der Politik ist es antiquierte Gesetze aufzuheben. Noch gilt der umstrittene “Majestätsbeleidigungsparagraf”.
ebo
15. April 2016 @ 18:07
Der für die Türkei zuständige Außenminister und der für die Justiz zuständige Justizminister (beide SPD) waren dagegen. Merkel hat es geschafft, ihre eigene Koalition zu spalten und die türkische Zensurpraxis nach Deutschland zu importieren. Bravo!
Peter Nemschak
15. April 2016 @ 18:49
Die Linken können das Moralisieren nicht lassen. Es geht um den Schutz der bürgerlichen Freiheiten auch der Böhmermanns. Es war zu erwarten, dass die SPD und die Linke gegen die Entscheidung sein würden. Die moralische Bevormundung der Bürger durch die Politik widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip. Die sozialen Normen sind in den jeweils geltenden Gesetzen repräsentiert, die, solange sie gelten, einzuhalten sind, aber für die Zukunft von der Mehrheit geändert werden können. Die Entscheidung, ob ein Gesetz eingehalten wurde oder nicht ist eine rechtliche und keine politische, das Gesetz zu ändern, eine politische. Dass in einer Koalition unterschiedliche Meinungen existieren, kommt vor. Merkel hat sich durchgesetzt.
ebo
15. April 2016 @ 21:22
Reden Sie doch keinen Unsinn. Erdogan bekommt so oder so sein Verfahren, er hat ja gleich zweimal geklagt. Lesen Sie erstmal, was die betroffenen Fachminister sagen (zufällig beide SPD), bevor Sie sich ein Urteil bilden, hier der Link: https://www.spd.de/aktuelles/detail/news/gemeinsame-erklaerung-von-maas-und-steinmeier/15/4/2016/
Reinard
16. April 2016 @ 14:49
Herr Nemschak, Ihre Gelassenheit bei der Kommentierungen in Ehren. Aber Merkel hatte die Möglichkeit, auf seine Privatklage zu verweisen, diese zu loben und ansonsten darauf hinzuweisen, dass die Regierung sich in der Frage einer möglichen Majestätsbeleidigung nicht zuständig fühlt, _weshalb_ dieser schusselige Paragraf abgeschafft wird. Das wäre der m.E. richtige Weg gewesen, der staatsmännische, meinetwegen auch staatsfrauische. Die Frau versaut jede Chance.
Peter Nemschak
16. April 2016 @ 17:31
Keine Frage, der Paragraf gehört abgeschafft, allerdings nicht in Form einer Anlassgesetzgebung. So etwas macht nie einen schlanken Fuß. Ich bin mir nicht sicher, wie eine rückwirkende Abschaffung auf den angezeigten Tatbestand der Beleidigung wirken würde.