Frankreich: (Keine) Wahl im Krieg
Kurz vor Toresschluß hat nun auch Frankreichs Staatschef Macron seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im April bekanntgegeben. Er führt seine Kampagne mitten im Krieg – fair ist das nicht.
Schon bisher profitierte Emmanuel Macron von zwei unschätzbaren Vorteilen: Dem Amtsbonus als Staatschef und dem Prestigegewinn als amtierender EU-Ratspräsident. Im Namen der EU hat er viel mit Kremlchef Putin geredet und versucht, den Frieden zu retten.
Das hat zwar nicht geklappt, doch nun kann er sich auch noch als Kriegsherr in Pose setzen. Frankreich schickt Soldaten an die Ostflanke der Nato, den Flugzeugträger Charles-de-Gaulle in Reichweite Rumäniens und Waffen in die Ukraine.
Demgegenüber sind seine Herausforderer massiv gehandicapt. Marine Le Pen und Eric Zemmour auf der Rechten haben Putin bis zuletzt die Stange gehalten, nun sind sie diskreditiert. Der Linke Jean-Luc Mélenchon war zwar nicht ganz so dumm, aber auch er hat Probleme, vor allem mit den Sanktionen.
Natürlich gibt es auch noch gemäßigte Kandidaten – Valérie Pécresse bei den Konservativen und Yannick Jadot bei den Grünen. Doch sie liegen in den Umfragen weit hinten und können den Vorsprung von Macron kaum noch wettmachen. Die Wahl scheint schon jetzt gelaufen.
Fair ist das nicht, gut für die Demokratie auch nicht. Denn Macron hat viele Franzosen verprellt (die Gelbwesten, die Kritiker seiner harten Coronapolitik, die Gewerkschaften…) und viele Versprechen gebrochen. Frankreich braucht eine starke Opposition und eine glaubwürdige Alternative, doch da ist nicht viel.
Kann es überhaupt eine gute Wahl im Krieg geben? Aus EU-Sicht wäre es besser gewesen, wenigstens die französische Ratspräsidentschaft zu verschieben. Schon vor dem Krieg gab es die Sorge, dass der EU-Vorsitz für den französischen Wahlkampf zweckentfremdet werden könnte.
Nun sieht es zwar so aus, dass Macron die EU führt, zusammen mit Kanzler Scholz und Polens Premier Morawiecki. Bisher macht er das nicht schlecht; wenn es darum geht, den Draht zu Putin zu halten und EUropa zu stärken, ist er sogar die Nummer eins.
Doch was soll das für eine EU werden, die aus dem Krieg und einer ungleichen Wahl hervorgeht? Geht es am Ende nur noch um Rüstung und Verteidigung, bleiben Meinungsfreiheit und Rechtsstaat auf der Strecke? Macron wandert auf einem schmalen Pfad, auch er scheint außer (demokratischer) Kontrolle…
european
5. März 2022 @ 13:29
Natürlich hat Macron aktuell einen Vorteil und er wäre mit Blödheit geschlagen, wenn er ihn nicht nutzen würde. LePen würde es auch tun, ebenso jeder Vertreter anderer Parteien.
Die Innenpolitik Macron’s hat mir anfangs auch nicht gefallen, aber dann kam der “Moment of Truth”, wo sich eben ein lernfähiger Macron zeigte, der auch öffentlich eingestand, dass dieser Weg nicht so weitergehen kann und auch nicht weiterführt, insbesondere mit Blick auf die Eurozone.
https://www.ft.com/content/317b4f61-672e-4c4b-b816-71e0ff63cab2
In dieses Horn stößt übrigens auch ein neues, und offensichtlich sehr bemerkenswertes, Buch von Patrick Kaczmarczyk “Kampf der Nationen”, worin detailliert belegt wird, wie wir mit der deutschen Methode der Lohnsenkungspolitik nicht nur technischen Fortschritt unterbinden, sondern unsere eigene Wirtschaftsgrundlage zur Funktionsuntüchtigkeit erordieren. Stw.: Wenn alle ihre Löhne senken, wer soll dann unsere Produkte kaufen? Macron hat das recht früh begriffen und dann auch gezielt in die Binnenwirtschaft investiert. Er ist lernfähig.
Seit 2017 trommelt er für ein souveränes Europa und stößt dabei auf taube deutsche Ohren. Vielleicht klappt es jetzt in der zweiten Amtszeit. Die Zustimmung für ihn ist groß, selbst im linken Lager. Sieh an. Wenn ich ihn wählen dürfte, würde ich das tun. Im Moment erscheint er in Europa als einziger mit Durchblick und Souveränität, während Scholz immer so rüberkommt, als hätte er seinen Spickzettel verloren. Von unserem Finanzminister will ich gar nicht erst anfangen.
Thomas Fiedler
7. März 2022 @ 08:50
“Trommeln für ein souveränes Europa”: Für mich handelt Macron eher nach dem Motto “Er bläst wie ein Wal”. Nicht nach den Worten, sondern nach den Taten soll man Politiker messen. Und da sieht die Bilanz Macrons mau aus. Und bitte, fangen Sie doch mal mit dem Finanzminister an. Ich würde Ihnen auch dann gerne contra geben.
Thomas Fiedler
7. März 2022 @ 10:18
Lassen Sie mich noch etwas anfügen: Macron, das ist doch der Präsident, der 2017 zwei Wochen nach seinem Amtsantritt mit pomp and circumstance Putin eingeladen und Sprüche losgelassen wie “Ein Russland, das uns den Rücken zukehrt, ist nicht in unserem Interesse”. Als er dann auf die Verhaftungen von Dissidenten in Russland zu sprechen kam, nahm ihn Putin auch noch auf den Arm, als er ironisch betonte, in Russland wolle man halt Erfahrungen wie die französischen mit den Gelbwesten vermeiden. Macron, das ist doch auch der Präsident, der wenig später die NATO als “hirntot” bezeichnete und Frankreich erneut als “wackelndes” Mitglied in der Wahrnehmung der Mitgliedsstaaten dastehen ließ. Es kommt noch die unrühmliche Bilanz des französischen Mali-Einsatzes hinzu. Bretonische Fischer würden Macron auch nicht gerade als den geeigneten Chefdiplomaten in Sachen Fischereipolitik (s. Brexit) ansehen. Und wo ich schon dabei bin, noch eins: Macron hat seine Amtszeit angetreten mit dem Versprechen, dass bei der Wahl 2022 niemand mehr Grund haben werde, für radikale Kandidaten zu stimmen. Schauen Sie sich die tagesaktuelle Diskussion in Frankreich an: Im Ranking der Kandidaten steht nach Macron, Le Pen, Zemmour und Mélenchon auf Nummer 5 (!) Pécresse, und der laufen die Unterstützer weg zu Zemmour. Und der neue “heiße Sch…ß” in Frankreich ist die Frage, ob das Land in der NATO verbleiben solle oder nicht. Wie kann man also Macron bilanzieren? Gut gemeint, viel versprochen, wenig erreicht, wäre mein Urteil. Wobei, er hat dafür gesorgt, dass die Schulklassen kleiner geworden sind. Immerhin, ein Punkt für ihn. Ja, ich weiß, er hatte auch eine schwere Zeit mit COVID. Erinnern Sie sich aber noch daran, dass man in Frankreich monatelang Impfmöglichkeiten nur über eine private Vermittlungs-App ermitteln konnte, sehr effizient, aber blamabel für den Staat. Also, wie sagt man im Ruhgebiet? “Geh mich weg mit Macron”. Aber sie werden ihn wiederwählen und schlucken wie eine Kröte, weil sonst Le Pen oder Zemmour drohen.
european
7. März 2022 @ 11:32
@Thomas Fiedler.
Sie haben nur die Wahl zwischen Kandidaten, die da sind.
Und bei der Auswahl ist Macron der beste Kandidat. Dass er bezüglich Europa nicht weit gekommen ist, liegt m. E. eher am deutschen Achsbruch der deutsch-französischen Achse
Ich bin auch nicht glücklich mit der deutschen Ampel, insbesondere mit einem Finanzminister der nichts von Finanzen versteht. Aber ich kann mir keinen backen und muss in einer Demokratie hinnehmen, dass nicht jeder meiner Meinung ist.
Ein souveränes Europa ist das richtige Ziel und mit der hirntoten Nato liegt er auch richtig, wie sich jetzt in der Krise wieder herausstellt.
Wenn man diesen Krieg beenden will muss man ehrlich analysieren, wie wir hier hingekommen sind. Und da spielt die Nato eine ähnlich unruehmliche Rolle wie im Kosovokrieg.
Thomas Fiedler
5. März 2022 @ 12:57
Entscheidend wird die Stichwahl im zweiten Wahlgang sein. Wenn Le Pen als zweite Kandidatin in diesen Wahlgang geht, wird Macron mit einiger Sicherheit gewinnen. Geht hingegen Pécresse als Zweite in den Wahlgang, müssten sich die Franzosen daran erinnern, dass sie eine konservative politische Kaste vertritt, die bei der letzten Präsidentenwahl wegen Korruption und elitärer Entfernung von den Interessen der breiten Bevölkerung deutlich verloren hat. Sollte hingegen Zémmour wider Erwarten als Zweiter in den zweiten Wahlgang gehen, haben die Franzosen wie vor fünf Jahren die Möglichkeit, einen Newcomer zu wählen, der es gegen einen innenpolitisch erfolglosen Präsidenten schaffen könnte, wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen und mit einem windigen Programm. Der zweite Wahlgang kann also spannend werden.
Burkhart Braunbehrens
5. März 2022 @ 10:24
Ich finde die, vor allem Innenpolitik von Macron auch besch….
Aber eine Alternative hat sich nicht gut aufgebaut. Und nicht vergessen, wurde Macron von Angela Merkel bei jeder Europainitiative ausgebremst, anstatt sie positiv zu verändern und aufzugreifen .
Um ihn auf einen besseren Weg zu bringen, braucht man selbst eine taugliche Agenda für eine Europapolitik, die vor allem den fortbestehenden Kolonialismus beenden müsste. Also Macron ist leider noch das geringere Übel. Man könnte ja auch die Unterstützung der Ukraine durchaus berechtigt in ein antikolonialistisches Narrativ einbetten. Ach Zukunftsträume !