Explosive Stimmung in Brüssel – Aufruhr in Paris, Rom und Madrid
Der Streit um die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 wurde in letzter Minute beigelegt. Dies gelang aber nur mit massivem Druck aus Berlin – und offenbarte wachsende Spannungen in der EU. Auch sonst herrscht eine explosive Stimmung.
Um das angeblich völlig unpolitische Pipeline-Projekt durchzudrücken, musste die Bundesregierung gleich an drei neuralgischen Punkten Druck ausüben: im Elysée-Palast in Paris, bei der EU-Kommission in Brüssel und beim EU-Vorsitz in Bukarest.
Die Rumänen wurden “freundlich” gebeten, mal eben die Tagesordnung zu ändern und einen deutsch-französischen Kompromissvorschlag zu Nord Stream auf die Agenda zu setzen. Sicherheitshalber wurden noch Juristen eingeschaltet.
Die Franzosen wurden öffentlich (via “SZ” und “SPON”) gerügt, dass sie nicht sofort auf die deutsche Linie eingeschwenkt waren. Die Beamten im Quai d’Orsay seien entweder unzuverlässig oder unfähig, hieß es, ohne den Elysée gehe nichts.
Und die EU-Kommission wurde auch noch auf Linie gebracht, vermutlich über den deutschen Generalsekretär Selmayr. Die zuständigen Kommissionssprecher wußten jedenfalls nichts davon, dass Berlin noch am Donnerstag angerufen hatte 🙂
Am Ende lief alles im deutschen Sinne – doch damit ist die Sache noch nicht beendet. Denn nun sind die Polen sauer – auf die deutsch-französische Gas-Achse, die die Risiken von Nord Stream ignoriere und die Interessen Osteuropas übergehe.
Auch US-Botschafter Grenell will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. “Nord Stream 2 geht zu weit”, sagte er der “Welt am Sonntag”. Man wird sich in Berlin also auf neue Pressionen aus Washington einstellen müssen, Sanktionen stehen im Raum.
Dabei ist Nord Stream nicht der einzige Konflikt, der Berlin und Brüssel bewegt. Gerade erst hat EU-Ratspräsident Tusk die “planlosen” Brexiters zur Hölle gewünscht, die Stimmung beim Brexit schwankt zwischen depressiv und aggressiv.
Und so richtig explosiv ist die Lage zwischen Rom und Paris. Nach dem Abzug des französischen Botschafters kann eigentlich nur noch eins kommen: das Einfrieren der diplomatischen Beziehungen. Du jamais vu in der “Friedensunion” EU.
Und was macht Kanzlerin Merkel, die sich bei Nordstream so selbstverständlich auf Präsident Macron verlassen hat? Bemüht sie sich vielleicht um Entspannung? Aber nein – sie trifft sich lieber mit Ungarns Orban und der Visegrad-Gruppe…
[bctt tweet=”Und was macht Kanzlerin Merkel, die sich bei Nordstream so selbstverständlich auf Präsident Macron verlassen hat? Bemüht sie sich vielleicht um Entspannung? Aber nein.” username=”lostineu”]
WATCHLIST:
- Beim Treffen der Eurogruppe soll es mal wieder um das geplante, aber noch nicht beschlossene Eurozonen-Budget gehen. Doch niemand erwartet irgendwelche Fortschritte. Die einen wollen mehr Geld für Investitionen, die anderen (darunter Deutschland) für neoliberale Strukturreformen. Die alte Leier. Dass die Eurogruppe selbst reformiert werden müsste, wie dies “Transparency international” fordert, kommt den Finanzministern nicht in den Sinn. Es laufe doch alles gut, heißt es. Dabei ist die Party der letzten Jahre vorbei, die EU-Kommission warnt schon vor einer neuen Bankenkrise…
WAS FEHLT:
- Die großen Demonstrationen dieses Wochenendes. In Paris versuchten ein paar tausend Gelbwesten, das Parlament zu stürmen. Beim (wieder mal massiven) Polizeieinsatz verlor ein Demonstrant mehrere Finger. In Rom demonstrierten hunderttausende gegen die Wirtschaftspolitik der Links- und Rechtspopulisten, die das Land in die Rezession geführt hat. Und in Madrid gingen Rechte und Rechtsextreme gegen die Regierung und die Separatisten in Katalonien auf die Straße. Die spanische Rechte wurden übrigens bis zuletzt von Kanzlerin Merkel und Kommissionschef Juncker unterstützt…
Georg Soltau
11. Februar 2019 @ 11:19
Viele interessante Beiträge, aber ein wichtiger Aspekt fehlt m.E. : Die US Amerikaner haben es geschafft auch in Europa Zwietracht zu säen und lenken so ihren eigenen Problemen ab.
Peter Nemschak
11. Februar 2019 @ 18:44
Die Amerikaner haben seit Jahrzehnten bestehende politische Differenzen in Europa immer wieder für sich ausgenützt: ein durchaus normales Verhalten.
Georg Soltau
12. Februar 2019 @ 10:50
Nee, andersherum wird daraus ein Schuh: die Amerikaner haben die Differenzen nicht ausgenützt, sondern haben diese größtenteils erst verursacht, ein für das
amerikanische Handeln durchaus normales Verhalten.
Peter Nemschak
11. Februar 2019 @ 10:39
Wann wird die Stimmung gegenüber den Gelbwesten kippen? Der Schaden, den sie den Kaufleuten aber auch Privaten angerichtet haben ist bereits enorm. Die bürgerliche Gegenreaktion wird nicht ausbleiben, die staatliche Ordnung wird sich wie immer letztlich durchsetzen.
Anton Vogel
11. Februar 2019 @ 08:50
Deutschlands Linie ist selbst für Freunde und Partner nicht durchschaubar und schon gar nicht berechenbar . Gibt sich Deutschland doch sonst so US treu und russphob.
Für deutsche Bürger vielleicht schon besser durchschaubar.
Er weiß, deutsche Firmen und vor allem externe Berater und Politiker wollen in erster Linie verdienen.
Das Resultat ist dabei zweitrangig .
Ich denke man wird NordStream 2 bauen, komme was da wolle.
Aber es wird wohl nie ein m2 Gas durch die Leitungen strömen.
Die Kasse der am Bau beteiligten und der ,, Durchsetzer“ werden gut gefüllt sein. Die USA werden zufrieden sein und Russland not amused uns die EU Partner bergnatzt. Den Dummen wird wieder der deutsche Steuermichel geben.
Wir haben ja hier so manches Beispiel erlebt. : Vom Eurofighter über BER und S21 bis zur Elbphilharmonie…..
Peter Nemschak
11. Februar 2019 @ 11:28
Warum sollte kein Gas durch Northstream 2 fließen? Es gibt keinen plausiblen Grund dafür.
Peter Nemschak
10. Februar 2019 @ 20:11
An Osteuropa kommt die EU nicht herum. Der Westen wird den Osten nicht zu seinen Werten bekehren können. Es geht darum einen modus vivendi zu finden. Werteextremismus bringt die EU nicht weiter. Gemeinsame Interessen lassen sich im Unterschied zu absoluten Werten pragmatisch verhandeln.
Holly01
10. Februar 2019 @ 22:38
Das Problem sind völlig inkompatible moralische und ethische Gesellschaften.
Es gibt die Basis des Doppeladlers. Das ist der ehemalige römische Bereich und der ehemalige byzantinische Bereich. Das was wir iberische Halbinsel nennen hat eine recht eigene Geschichte. Die Völker die zwischen dem Rhein und grob Großraum heutiges Moskau liegen, verbindet eine ziemlich eigenwillige Geschichte von Abhängigkeiten und Ausbeutung.
Europa insgesamt ist gezeichnet von einer Blase (oder von mir aus auch Imperium oder Großmacht) der die andere Blase gefolgt ist.
Mal mit weltweiter Wirkung, mal ohne.
Es gibt wohl hunderte Völker mit individueller Geschichte.
… und jeder Trottel träumt von irgend einer Periode, wo er mal groß und mächtig war oder schien.
Da ist es sehr einfach von Außen einen Streichholz rein zu werfen. Irgend einer fängt immer Feuer, mal jemand der sich bedroht fühlt, mal jemand der “Pläne” hat.
Riecht verdammt nach Krieg.
Kurzer Blick auf die nationalen Politiker und nach Brüssel.
Jau das sind alles charakterstarke und stabile Charaktere, die bekommen das bestimmt hin, schon weil die so super in der harmonischen Bevölkerung verankert sind.
Da kann ja nichts schief gehen.
vlg
Peter Nemschak
11. Februar 2019 @ 10:35
So gesehen ist die EU ein Segen, ein Forum auf dem friedlich gestritten werden kann. Die Vielfalt macht Europa lebenswert.
Holly01
10. Februar 2019 @ 20:06
Die Welt macht auf ihrem Weg zum post amerikanischen Zeitalter einen recht verwirrten Eindruck.
Es sieht so aus, als dächte jedes zweite Land es wäre jetzt der neue Imperator.
Die deutsche Elite setzt beim “durchdrehen” wie immer ganz neue Maßstäbe.
vlg