EU-Parlament schließt rechte “Patrioten” von Ausschüssen aus
In Berlin heißt es Brandmauer, in Brüssel spricht man vom “Cordon sanitaire”: Wer nicht zum Establishment gehört, bekommt keine wichtigen Posten. So auch im Europaparlament.
Die Straßburger Kammer hat mit der Verteilung der wichtigen Posten in den Parlamentsausschüssen begonnen. Die Politiker der rechtsradikalen “Patrioten”, immerhin drittstärkste Fraktion nach Konservativen und Sozialdemokraten, wurden dabei gezielt übergangen.
Der Vorsitz im Kulturausschuss sowie im Verkehrsausschuss, der nach den Parlamentsregeln eigentlich den Rechten zusteht, geht an die Grünen und an die konservative EVP.
Außerdem wollen die etablierten Parteien den Rechten vier Stellvertreterposten in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Außenpolitik, Haushaltskontrolle und bürgerliche Freiheiten vorenthalten.
Einen entsprechenden Deal hatten EVP, S&D, Renew und Grüne schon in der letzten Woche geschlossen. Danach wählten alle zusammen Kommissionschefin von der Leyen für eine zweite Amtszeit.
Ähnlich waren im Juni die Staats- und Regierungschefs vorgegangen. Sie haben bei der Vergabe von Top-Jobs die rechtskonservative EKR-Fraktion übergangen, obwohl sie stärker ist als die liberale Renew.
Immerhin bekam die EKR um Italiens postfaschistische Regierungschefin Meloni im Parlament einen “Trostpreis”: drei Ausschüsse, darunter die Landwirtschaft.
Mit den Regeln einer repräsentativen Demokratie hat das alles nicht viel zu tun. Obwohl die Europawahl die Rechten gestärkt und Grüne und Liberale abgestrafthat, haben diese nicht weniger Jobs als zuvor.
Und obwohl die EU eine neue Politik versprochen hat, wurden fast alle wichtigen Ausschussposten genauso besetzt wie vor der Wahl…
Siehe auch “Von der Leyen und die post-demokratische Wagenburg”
P.S. Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hat den Vorsitz des neuen Verteidigungsausschusses bekommen – dabei hat sie gegen VDL gestimmt und keinerlei Erfahrungen mit der Arbeit im EP. Wer hat ihr wohl geholfen? Die Hardliner und Kriegstreiber, von denen es mehr denn je gibt im neuen Parlament?
Helmut Höft
24. Juli 2024 @ 19:51
„Wer nicht zum Establishment gehört, bekommt keine wichtigen Posten.“ Hach, das ist ja wie überall! Hier im Rheinland heß‘ dat: „Mer kennt sich, mer hilft sich!“ So isset halt: Unter dem Titel „Demokratie“ geht’s zu wie unter Menschen.
Irgendwie ist das alles doch sehr redundant, wie seit tausenden Jahren. „It’s not a bug, it’s a feature (of humans)!“
SCNR
european
24. Juli 2024 @ 11:08
Heute morgen berichtet der Focus ueber hoechst interessante Handlungsweisen der EU in bezug auf Elon Musk.
https://t.co/1m3zlWPXD3
“Musk sagt, dass er gedrängt worden sei, im Austausch für den Verzicht auf drohende Strafzahlungen, stillschweigend Inhalte im Sinne der EU zu zensieren. Wie Musk schreibt, hätten die anderen Plattformen diesen Deal im Gegensatz zu X akzeptiert.”
Ich weiss nicht, wie es anderen geht, aber als ich den Artikel las dachte ich sofort “Ja, das traue ich denen sofort zu”. Es passt zu dem, wie sich Bruessel ansonsten verhaelt. Musk hingegen traue ich auch zu, dass er sich dem widersetzen wird. Man denke nur an das Interview ueber die Androhung, Anzeigen nicht mehr auf X zu schalten. Seine Antwort: “Go f*ck yourself. Don’t advertise.” Fuer Erpressung ist er nicht zu haben.
Immer wenn sie von “unserer Demokratie” reden, meinen sie nie die der Buerger. 😉
ebo
24. Juli 2024 @ 11:26
Das Thema hatten wir auch schon: Brüssel: “X” verstößt gegen EU-Recht – Musk spricht von Zensur”
european
24. Juli 2024 @ 11:35
Das hatte ich uebersehen. Da hinkt der Focus aber maechtig hinterher. 😉
Helmut Höft
24. Juli 2024 @ 20:08
@ european, @ ebo
Ja, das hatten wir schon … und es kommt immer wieder … man weiß nie, wieviel da dran ist – ein bisschen wird es schon sein – und wieviel Reklame: „Seht her: Wir machen was!“ vs. „Seht her: Ich widerstehe der Zensur – für Eure Freiheit!“ (ihr dürft mich Held nennen und mein Medium bevorzugt nutzen). Skepsis in alle Richtungen scheint bei solchen Meldungen angebracht.
Arthur Dent
23. Juli 2024 @ 23:16
Wie sagte Martin Sonneborn kürzlich: Die EVP regiert die EU jetzt schon mehr als 25 Jahre lang – also länger als Mao, Pol Pot, Stalin…
Rest kann man sich denken
exKK
24. Juli 2024 @ 01:26
In dieser Demokratur stört des Volkes Wille nur.
Skyjumper
23. Juli 2024 @ 15:33
Man ist immer wieder beeindruckt von der Unverfrorenheit der früher einmal demokratischen Parteien. Die 3. stärkste Fraktion, 40 % aller französischen Abgeordneten, 30 % aller tschechischen und österreichischen Abgeordnete, sowie 20 % aller niederländischen Abgeordneten werden damit kalt abserviert. Als Wähler dieser Abgeordneten fühlt man sich da bestimmt ernst genommen und weiß den Wert der Institution Europaparlament zu würdigen.
Es wird die Zeit kommen da sich die Machtverhältnis umgekehrt haben. Und wird es sehr zu meinen Bedauern, aber fast unvermeitlich, zum Gegenschlag kommen. Wahrscheinlich dann noch etwas brutaler und undemokratischer als jetzt. Und dann geht das Gejaule wieder los: „Wie konnte das passieren? Die sind ja so barbarisch. Wir wollten doch nur das Beste.“ Menschen wie @Kleopatra werden sich dann wieder weigern Kausalitäten und Zusammenhänge zu erkennen. Die Ursachen für das Debakel werden JETZT gerade geschaffen. Nicht von Fidez, nicht von Rassemblement National oder auf DE bezogen der AfD. Nein, die Verursacher tragen so klangvolle Namen wie SPD, CDU, FDP (jeweils in nationalen Sprachen).
Merke: Je stärker man ein Pendel aus dem Gleichgewicht bringt, um so stärker schlägt es dann zur Gegenseite aus. Stabilität, Ordnung, Verlässlichkeit und Sicherheit werden darunter vorhersehbar leiden. Und eigentlich sind es genau diese Attribute im alltäglichen Leben für deren Stärkung und Erhalt wir uns überhaupt so einen ansonsten überflüssigen Luxus wie Politiker leisten.
Stef
23. Juli 2024 @ 14:50
Wagenburgmentalität ist ebos passendes Bild. Jetzt mehr denn je.
Klar ist allerdings, dass sich dieses Machtgehabe nicht nur gegen die Rechten richtet. Sollten beizeiten (wie in Frankreich) die Linken in die nähe von Mehrheiten kommen, wird dasselbe Verfahren angewandt. Es ist eben die Wagenburg der neoliberalen Transatlantiker. Der offenen sowie der verkappten.