EU will alles geben, Johansson will Chats überwachen – und “Scholz will Schulden”
Die Watchlist EUropa vom 11. Oktober 2022 –
Heute beschäftigen wir uns erneut mit der Eskalation in der Ukraine, der Reaktion der EU und den Krisensitzungen von G-7 und Nato. Außerdem geht es um die Chatkontrolle und die Klage gegen die umstrittene Taxonomie für “nachhaltige” Energie.
Die EU hat die jüngsten russischen Raketen- und Bomben-Angriffe in der Ukraine in ungewöhnlich scharfer Form verurteilt und mehr Hilfe für die Ukraine angekündigt. “Putins Russland hat der Welt erneut gezeigt, wofür es steht: Brutalität und Terror”, schrieb Kommissionspräsidentin von der Leyen. Die EU werde der Ukraine so lange zur Seite stehen wie nötig – „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“.
“Dieser wahllose Angriff auf Zivilisten kommt einem Kriegsverbrechen gleich”, sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Borrell. Auf Fragen zum Angriff auf die Krim-Brücke am Wochenende, mit dem Putin seine massive Militäroperation begründet, ging der Sprecher nicht ein. Die Brücke sei illegal erbaut worden, sagte er. Putin sei allein für die jüngste „Eskalation“ verantwortlich.
Borrell selbst zeigte sich „tief schockiert“, die russischen Angriffe hätten „keinen Platz im 21. Jahrhundert“. Zugleich kündigte er zusätzliche Militärhilfe an. So sollen die Mittel aus der so genannten Europäischen Friedensfazilität aufgestockt werden. Bislang wurden fünf mal je 500 Millionen Euro bewilligt, insgesamt also 2,5 Milliarden Euro.
Bei einer Botschafter-Konferenz in Brüssel räumte Borrell ein, dass die EU die Aggressivität Putins unterschätzt habe. Als Beispiele nannte er die Annexion ukrainischer Gebiete und die Drohung mit einem Atomschlag. Die EU müsse künftig schneller und entschiedener reagieren, forderte er.
Eine diplomatische Initiative kündigte der EU-Chefdiplomat allerdings nicht an. Der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, so Borrell. Die Botschafter sollen sich nicht um Entspannung bemühen, sondern schneller von den Spannungen nach Brüssel berichten!
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Unklar ist, ob und wie die EU auf eine weitere Eskalation oder gar auf den Einsatz von Atomwaffen reagieren würde. Beim EU-Gipfel am vergangenen Freitag in Prag hielten sich die 27 Staats- und Regierungschefs bedeckt.
Während US-Präsident Joe Biden öffentlich vor einem nuklearen „Armageddon“ warnte, schweigen die EU-Verantwortlichen. Sie warten offenbar auf die G-7 und die Nato, die bereits am Dienstag über die neue Lage beraten.
Bei der Nato in Brüssel treffen sich die Verteidigungsminister, die G-7 hält einen virtuellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs ab. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Militärbündnis werde das tapfere ukrainische Volk weiterhin unterstützen, sich gegen die Aggression des Kremls zu wehren.
Bisher hatte Stoltenberg immer betont, die Nato sei an dem Krieg nicht beteiligt. Doch mit dieser Zurückhaltung ist es nun offenbar vorbei. Die EU und die Nato wollen alles geben, die Eskalation geht auf allen Seiten weiter – ungebremst…
Siehe auch “Eskalation ohne Ende”
Watchlist
Kommt die umfassende Chatkontrolle auf Handys? EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat ihre umstritttenen Vorschläge im Kampf gegen Darstellungen von Kindesmissbrauch im Internet im Europaparlament vorgestellt und gegen Kritik verteidigt. Im Gegensatz zu den aktuellen Regeln werde das Aufspüren der Inhalte für Online-Unternehmen mit dem neuen Gesetzesvorschlag deutlich eingeschränkt, sagte die Schwedin. “Die Kommission schlägt ein verpflichtendes, allgemeines Überwachungssystem vor, das so extrem ist, dass es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert”, erwiderte P. Breyer von den Piraten. Nur in China gebe es Vergleichbares…
Was fehlt
Der “Scoop” von Bloomberg, wonach Kanzler Scholz doch neue EU-Schulden aufnehmen will, um die Energiekrise zu meistern. Der Bericht wurde prompt dementiert. “Vom solchen Plänen ist nichts bekannt”, sagte am Montagabend eine mit den Vorgängen vertraute Person zu Reuters. Zuvor hatte Bloomberg unter Berufung auf nicht näher genannte Personen berichtet, Scholz habe sich am Rande des EU-Gipfels vorige Woche in Prag offen für eine gemeinsame Schuldenaufnahme gezeigt. Damit habe Scholz auf Kritik von EU-Staaten am deutschen 200 Milliarden Euro schweren Schutz-Schirm gegen hohe Energiepreise reagiert, hieß es. Mal schaun, wer recht behält…
KK
11. Oktober 2022 @ 14:02
“Die EU und die Nato wollen alles geben, die Eskalation geht auf allen Seiten weiter – ungebremst…”
“Hören Sie mal, würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich jetzt einfach aufgebe und verrückt werde?”
(Arthur Dent in “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams)
european
11. Oktober 2022 @ 07:45
Der vorausschauende Blick aus wirtschaftlicher bzw. finanzieller Sicht. Taiwan next und der grosse Plan dahinter. Völlig nüchtern, zahlenbasiert, analytisch.
Herr Hellmeyer heute morgen auf Wallstreet online.
“Die Wirtschaftsdaten werden immer dramatischer!”
https://youtu.be/iO2sxlxY2fs
Zur EU fällt mir nichts mehr ein, das nicht schon mehrfach gesagt worden wäre.
Holly01
11. Oktober 2022 @ 09:02
Gerade der Bezug zur WTO ist gut ausgedrückt. Danke für den link.
Kleine Einordnung mit ein paar basics:
” https://braveneweurope.com/yanis-varoufakis-how-the-west-poisoned-its-money ”
Die pro Rezession Maßnahmen wiederholen sich eins um andere Mal und blähen die Geldvermögen der extrem wenigen auf, während die Zahl der Armen beständig zunimmt.
Sonderbar.
Der Wirtschaft geht es damit überhaupt nicht besser.
Hätte uns doch nur jemand gewarnt. Ökonomen vielleicht, was machen die eigentlich beruflich?
Warum fragen Journalisten eigentlich 40 Jahre die immer gleichen Ökonomen, die in 40 Jahren nicht einmal richtig lagen? Liebe Journalisten, so ein Ziegenbart ist kein Qualitätsmerkmal, das ist nur ein Markenzeichen.
european
11. Oktober 2022 @ 13:27
Ich habe mich schon oft gefragt, warum Clemens Fuest, der nun schon seit einigen Jahren dem IFO Institut vorsteht, sich nicht dagegen wehrt, dass immer noch sein Vorgaenger in den Medien bevorzugt wird. Nicht, dass Fuest eine oekonomische Richtung vertritt, die ich bevorzugen wuerde, aber verwundern tut es trotzdem.
Es gibt einige Oekonomen, die sehr treffsicher und seit Jahren die Dinge m.E. richtig und praezise zu analysieren und es auch schaffen, Oekonomie und Finanzsystem als Gesamtbild zu betrachten. Varoufakis gehoert ebenso dazu wie Flassbeck oder der junge Oekonom Patrick Kaczmarczyk. Jeder einzelne hat darueber hinaus noch eigene, sehr schaetzenswerte, Staerken. Mark Blyth mit seiner schottischen Direktheit ist ebenfalls immer hoerenswert und dazu noch amuesant. Straightforward, ohne Umschweife, mit Augenzwinkern.
Es gibt sie also, aber daraus wuerden sich notwendige und konsequente Handlungen ergeben, die niemand hoeren, haben oder vertreten will, weil es das egozentrierte Weltbild der deutschen medialen, politischen und wirtschaftlichen Eliten vernichten wuerde.
Ist leider so. Mich erschuettert und entsetzt regelmaessig, wenn ich lese, was so an Selbstgerechtigkeit, Ueberheblichkeit und Ignoranz ueber die deutschen Grenzen nach draussen schwappt. Leider kann ich auch nicht feststellen, dass das nach Corona oder jetzt durch den Krieg besser geworden ist.
Ich moechte einfach nicht glauben, dass der Grossteil der Deutschen so ist. Der Fisch stinkt auch hier vom Kopf. Hoffentlich.