Eine “postfaktische” Eurogruppe
Was macht eigentlich die Eurogruppe? Angeblich beugt sie Krisen in der Währungsunion vor. Tatsächlich spielt sie auf Zeit – und manipuliert die Fakten, wie jetzt wieder in Griechenland.
Es bestehe keine Eile, Athen habe ja noch Geld, sagte Eurogruppenchef Dijsselbloem beim Treffen der Finanzminister am Montag in Brüssel. “Es gibt bis zum Sommer keinen akuten Finanzierungsbedarf”.
Gleichzeitig malte Finanzminister Schäuble die Lage wieder schwarz in schwarz. Griechenland sei immer noch nicht wettbewerbsfähig, wichtige Reformen würden nicht umgesetzt.
Völlig falsch, kontert der grüne Finanzexperte S. Giegold. Er beruft sich auf Zahlen der EU-Kommission, die der Linksregierung in Athen in der Tat ein gutes Zeugnis ausstellt. Zitat Giegold:
“Die Diskussion um Griechenland wird postfaktisch geführt. Das Land hat 2016 seine Haushaltsziele übertroffen und tiefgreifende Reformen umgesetzt. Die Fakten sprechen gegen einen Grexit. Die Evaluierung des Memorandums durch die EU-Kommission wird in Deutschland regelmäßig ignoriert und in der Debatte mit alternativen Fakten ersetzt. Anders als deutsche Politiker oft Glauben machen wollen, hält Griechenland sich weitgehend an die Vorgaben der Gläubiger: Im Bereich der Haushaltskonsolidierung hat Athen die Vorgaben in den letzten beiden Jahren sogar übertroffen.
Und nicht nur das: 2017 und 2018 wird sogar wieder kräftiges Wirtschaftswachstum erwartet, auf jeden Fall mehr als in Deutschland. Doch im Wahlkampf stört das nur, nochmal Giegold:
Es ist unverantwortlich, wenn auf dem Rücken Griechenlands Wahlkampf gemacht wird. Das gilt vor allem für die Union: CDU-Politiker dürfen sich nicht vom Euro-Bashing der AfD treiben lassen, sondern müssen ihrer Verantwortung für Europa gerecht werden. Wer Griechenland über Zuspitzung des Konflikts in der Eurogruppe zum Wahlkampfthema macht, zündelt mit den Fundamenten Europas.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Bleibt nur die Frage, ob die SPD Herrn Schäuble Einhalt gebieten wird. Von ihrem Kandidaten Schulz hat man lange nichts mehr gehört, oder?
Siehe auch: “Die Schuld der Gläubiger”
S.B.
20. Februar 2017 @ 21:27
“Finanzexperte Gigold”… Experte… Nun ja… im Sinne der Experten-Inflation in den Mainstream-Medien, mag auch Herr Gigold ein Experte sein. Ich kann in seinem Lebenslauf allerdings keinen einzigen Anhaltspunkt dafür finden, dass Herr Gigold in irgendetwas ein wirklicher Experte wäre… Außer, ja außer im Reden, um es sehr freundlich auszudrücken.
Zu Griechenland: GR hat sich in den Euro betrogen und niemand der Betrogenen wollte es erkennen. Nun erfüllt GR angeblich alle Vorgaben und prosperiert laut Giegold sogar wieder. Ich würde mich schwer hüten, irgendetwas davon zu glauben. Ganz abgesehen davon, dass diese Effekte, sofern sie denn überhaupt zutreffen, komplett auf Sand, d.h. auf das billige EZB-Geld aufgebaut sind.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, WARUM GR eigentlich unbedingt so wettbewerbsfähig werden muss, wie Deutschland. Steht irgendwo geschrieben, dass die Menschen damit glücklicher sind? Dieser ganze “von oben” oktroyierte Konvergenz-Zwang in EU und Euro ist doch ein krankhaftes Mantra von Vereinheitlichungs- und Gleichheits-Besessenen, also Sozialisten. Braucht kein Mensch!
Athanasios Papapostolou
20. Februar 2017 @ 22:09
Deutschland hat sich ebenso in den Euro “betrogen”. So wie übrigens Italien und sogar Belgien. In den 90er Jahren hat die deutsche Bundesregierung die Kosten für den “Aufbau Ost” einfach aus dem Haushalt raus gerechnet um überhaupt die Vorraussetzungen für den den Euroeintritt zu schaffen. Ganz zu schweigen vom vorherigen Zwei-plus-Vier-Vertrag, wo Deutschland die halbe Welt mit einem einseitigen Schuldenschnitt betrogen hat. Und die Tirade über Sven Gigold ist einfach nur albern. Dafür reicht ein Blick in seine Vita. Ihre Wutbüger-Attitüde ersetzt keinen Sachverstand, verehrter Herr S.B.
S.B.
21. Februar 2017 @ 08:58
@Papapostolou:
Zu Giegold: Den Blick in seine Vita habe ich selbstverständlich zuvor getan (Wikipedia). Die gibt her Giegold als politischen Aktivisten einzustufen, aber ganz bestimmt nicht als FinanzEXPERTEN. Das hat nichts mit Wutbürger, sondern schlicht mit der Realität zu tun. Hinsichtlich des Experten-Status gehen Ihre und meine Ansprüche offenbar sehr weit auseinander.
Zu D und dem Euro: D hat sich nicht in den Euro betrogen, sondern wurde als Bedingung für die deutsche Wiedervereinigung in diese rein politische Währung hineingepresst. http://www.spiegel.de/politik/ausland/historischer-deal-mitterrand-forderte-euro-als-gegenleistung-fuer-die-einheit-a-719608.html
Mit dem Euro wurde in Europa währungstechnisch und damit auch ökonomisch zusammengefügt, was nicht zusammengehört. Und nun zahlt D für den Euro-Unfug und zwar nicht nur mit wahnsinnig viel Geld (Taget 2; massive Sparerenteignung durch Niedrigzinsen; insbesondere auf D abzielende Inflationspolitik der EZB), sondern verarmt auch noch im großen Maßstab durch den immer größer werdenden Niedriglohnsektor. Zu alldem hier: http://www.tichyseinblick.de/video/interview/hans-werner-sinn-machen-sie-der-enteignung-ein-ende/
Ohne D als “Lender of last ressort” gäbe es den Euro schon längst nicht mehr. Ohne D hätte es ihn im Übrigen auch nie gegeben, da er für “den Rest” der Beteiligten keinen Sinn gemacht hätte.
Athanasios Papapostolou
20. Februar 2017 @ 18:37
Es ist ein bizarrer Zustand. Jeder vernunftbegabte Mensch sieht, dass die Troika mit ihrer (w)irren Sparpolitik gescheitert ist. Der Begriff “Reformen” ist zu einem euphemistischen Codewort für „Sparziele“ verkommen. Und anstatt endlich umzuschwenken, wird noch mehr gespart und nochmals mehr. Das ist reiner Wahnsinn. Und tatsächlich definiert sich Wahnsinn genau so. Immer das gleiche tun und jedesmal ein anders Ergebnis erwarten.
Peter Nemschak
20. Februar 2017 @ 20:23
Ich gebe Ihnen in so ferne recht,dass mit Sparen allein nichts zu gewinnen ist. Es bedarf einer fundamentalen Änderung der griechischen Mentalität und gesellschaftlichen Kultur des Klientelismus und Paternalismus und eines Schritts in die Moderne, wie wir sie mit allen Vor- und Nachteilen im Norden Europas kennen. Stellen Sie sich einmal die Frage, warum ein kleines Land wie Schweden reicher als Griechenland ist. Die mentale Modernisierung Griechenlands wird frühestens durch die Generation 2000 erfolgen. Daher wäre ein Austritt aus dem Euro samt zwingenden Schuldennachlass der richtige Weg.
Athanasios Papapostolou
20. Februar 2017 @ 21:22
Schweden ist reicher als fast alle Staaten dieser Welt. Übrigens reicher als Deutschland. Wer jetzt noch allen ernstes behauptet, dass Griechen sich Aufgrund ihrer “Mentalität” nicht ändern können oder wollen, der blendet die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 7 Jahre komplett aus. Die Krise hat in Bezug von Nepotismus nämlich gutes bewirkt. Und was genau soll denn der Euroaustritt bewirken? Endlos abwerten, und dann? Damit tun Sie dem Land sicher keinen Gefallen. Griechenland kann sich nur innerhalb einer stabilen Währung weiterentwickeln. Ganz zu schweigen, was das politisch und strategisch, gerade in dieser Zeit, bedeuten würde. Trump, Erdogan und Putin würden sich sicher mit Ihnen freuen. Das wars aber auch.
Peter Nemschak
20. Februar 2017 @ 17:24
Fragen wir nach den Fakten: Hat Griechenland sämtliche Auflagen der Gläubiger erfüllt? Ja oder nein?
ebo
20. Februar 2017 @ 17:26
Nein, denn die Gläubiger (sprich: Schäuble) satteln ständig nach. Jetzt machen sie schon Pläne für 2019-2028…
Peter Nemschak
20. Februar 2017 @ 18:49
Bevor es dazu kommt, wird es einen Schuldenschnitt samt Euroaustritt geben.