Ein Jahr Corona: Frauen trifft es besonders hart
Die Coronakrise hat die Frauenrechte zurückgeworfen – auch in der EU. Die (fast) paritätisch geführte EU-Kommission räumt dies sogar ein – lässt es aber an einer Strategie für gleichberechtigtes Arbeiten unter Corona-Bedingungen missen. Lockdowns und Schulschließungen werden nicht infrage gestellt.
Pünktlich zum Frauentag hat die EU-Kommission einen Bericht über “Gender equality” vorgelegt. Darin heißt es selbstkritisch:
The past year has been marked by the COVID-19 pandemic, which has proven to be a major challenge for gender equality. The pandemic has exacerbated existing inequalities between women and men in almost all areas of life, both in Europe and beyond.
EU Commission
Der Bericht enthält sogar Kapitel über Gewalt gegen Frauen, Belästigung am Arbeitsplatz oder die Auswirkungen von COVID-19 auf die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt. Auch die Rolle von Frauen im politischen Entscheidungsprozeß wird beleuchtet.
All dies ist durchaus interessant und lesenswert.
Doch leider zieht die EU-Kommission keine praktischen Konsequenzen für das “Leben mit Corona”. Als wenn nichts geschehen wäre, verfolgt sie ihre vor der Coronakrise entwickelte “alte” Gleichstellungs-Agenda weiter und verspricht neue Fortschritte.
Das greift zu kurz, wie ich finde.
Wenn von der Leyens Team die Gleichberechtigung wirklich ernst nähme, dann müsste sie sich für offene Schulen und Kitas, gegen fortgesetzte Lockdowns und gegen eine Pflicht zum Homeoffice aussprechen, die in der Praxis oft zulasten der Frauen geht.
Zumindest müsste sie die Rechte der Frauen in der Pandemie neu definieren. Dringend nötig wäre z.B., sich für die Rechte von “systemrelevanten” Frauen einzusetzen – Krankenschwestern, Pflegerinnen, aber auch Kassiererinnen etc.
Doch dazu schweigt die Brüsseler Behörde. Gegen die “destruktive Corona-Politik” (so die Nachdenkseiten in einem lesenwerten Beitrag zum Thema) der meisten EU-Staaten geht sie nicht vor.
Dabei war Behördenchefin von der Leyen – immerhin die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission – doch mit einer fast schon feministischen Agenda angetreten.
Oder war das auch nur heiße Luft?
Siehe auch “Gender Pay Gap: Wenig Fortschritt zum Frauentag”
european
10. März 2021 @ 13:23
Der Datenreport ist da differenzierter.
https://bit.ly/3qHigPf
“Bei den krisenbedingten Beschäftigungstrends zeigten sich zwar erhebliche Geschlechterunterschiede, allerdings keineswegs, wie mitunter behauptet, eine generelle Benachteiligung weiblicher Arbeitskräfte. So sind Frauen nur halb so oft von Kurzarbeit getroffen.”
Dass Gesundheitsberufe, insbesondere der Dienst am Menschen, in Deutschland sehr schlecht bezahlt werden, ist keine bahnbrechende Neuigkeit. Laut DeStatis beträgt der bereinigte PayGap seit Jahren 6% wohingegen 71% des EarningsGaps dadurch behoben werden könnten, indem man diesen Dienst am Menschen besser bezahlt. Gilt übrigens auch für Männer, die in Sozialberufen arbeiten. Hört man irgendwas diesbezüglich von der Regierung oder den Gewerkschaften?
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_484_621.html
Statt dessen setzt man auf osteuropäische Pflegemigrantinnen, die noch schlechter entlohnt werden und nicht selten sogar schwarz arbeiten. Ähnliches gilt für Haushaltshilfen, von denen über 80% unterbezahlt und schwarz arbeiten. So manche “Karriere” würde sich in Luft auflösen, wenn man die Menschen, die diese Karriere erst ermögliche, adäquat bezahlen würde. Es bliebe bestenfalls ein finanzielles Nullsummenspiel. Auch über diese Verdrängung wird relativ wenig gesprochen. Sie betrifft aber in erster Linie Frauen. Die machen keine Karriere, die haben Jobs und müssen einfach nur sehen, dass sie am Ende vom Monat bestenfalls auf Null auskommen. Über die redet aber niemand.
https://mobile.katapult-magazin.de/?mpage=a&l=0&artID=989
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1030686/umfrage/anteil-der-nicht-angemeldeten-haushaltshilfen-in-deutschland/
Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn es als Drama angesehen wird, sich um die eigenen Kinder zu kümmern? Auch hier muss man m.E. genauer hinsehen, denn nicht jeder männliche Beruf lässt sich ins homeoffice verlagern. Die Klempnerin oder Elektrikerin wird auch kaum von zuhause arbeiten können. Ebenso wie die Müllfrau.
Schirrmacher hat in seinem Buch Pay Back schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass wir die Fähigkeit verlieren, Zahlen und Statistiken richtig zu lesen. Er sollte damit Recht behalten. Wir können sie nicht nur nicht richtig lesen. Wir sehen erst gar nicht richtig hin, picken uns nur einzelne Zahlen heraus und wundern uns, dass die Schlussfolgerungen falsch sind.