EU-Beitritt: Wie sich Selenskyj über die Regeln erhebt
Offiziell entscheidet die EU erst Ende Juni, ob die Ukraine zum Beitrittskandidaten wird. Doch Präsident Selenskyj ist das egal: De facto sei sein Land schon jetzt EU-Mitglied, sagte er dem Parlament in Luxemburg. Das offenbart ein merkwürdiges Rechts- und Politikverständnis.
“Die Ukraine ist bereits de facto Mitglied der EU geworden”, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. “Ich glaube, dass die Ukraine bereits durch ihr Handeln zeigt, dass sie die europäischen Kriterien erfüllt.”
Selenskyj zeigte sich überzeugt, dass sich Luxemburg dafür einsetzen werde, im Juni den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten zu erhalten und “in einem beschleunigten Verfahren EU-Mitglied zu werden”.
Wenn er sich da mal nicht täuscht. Deutschland und Frankreich haben sich bereits gegen einen Blitz-Beitritt ausgesprochen. Selbst wenn Luxemburg dafür wäre – ohne Berlin und Paris geht gar nichts.
Allerdings gibt es neuerdings eine Hintertür. Die EU-Kommission behandelt die Ukraine in der Tat so, als sei sie ein Beitrittskandidat. Behördenchefin von der Leyen plant sogar schon den Wiederaufbau des Landes – mit EU-Geld.
Damit unterläuft von der Leyen das EU-Recht, das sie eigentlich schützen sollte. Und sie ermuntert Selenskyj, sich über eben dieses Recht hinwegzusetzen. Russischsprachige Medien werden verboten, die Opposition wird geknebelt, Deserteure werden mißhandelt.
Vom “Acquis communautaire”, also dem gemeinsamen Rechtsbestand, hat sich die Ukraine im Krieg meilenweit entfernt, von vielen westlichen Werten auch. Es wäre daher nur recht und billig, die Entscheidung über einen Beitritt auszusetzen, bis der Krieg beendet ist.
Damit hätte die EU auch ein Druckmittel, um die Ukraine zurück an den Verhandlungstisch mit Russland zu bringen. Doch das ist politisch nicht gewollt. Man hat den Krieg zu einem Konflikt um “westliche Werte” hochgespielt – und sitzt nun selbst in der Falle.
Das führt zu absurden Ergebnissen. So maßt sich Selenskyj an, über Deutschland und die EU zu richten und mehr Waffen und Sanktionen zu fordern. Er führt sich immer wieder so auf, als sei er de facto schon ein EU-Chef, wichtiger noch als Kanzler Scholz…
Mehr zur Ukraine hier
Thomas Damrau
3. Juni 2022 @ 09:07
“Nice theory – how will you proof it?” – “By saying it twice.”
Es gibt inzwischen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eine ganz Menge Glaubenssätze, die uns Endlosschleife immer wieder vorgebetet werden:
– “Die Freiheit Europas wird am Dnepr verteidigt” (zusätzlich zum Hindukusch, an dem bekanntlich die deutsche Freiheit verteidigt wird) – statt “Die USA haben ein strategisches Interesse an der Ukraine”.
– “Die Ukraine muss selbst entscheiden, unter welchen Bedingungen sie Frieden schließt.” – statt “Die Ukraine kann ohne Rücksprache mit Washington wenig entscheiden.”
– “Die Ukraine muss siegen.” – statt “Die EU hat keinen Plan, wie sie diesen Krieg beenden könnte. Die USA sind an einem Kompromissfrieden nicht interessiert.”
– “Die Ukrainer sehnen sich nach Demokratie” – statt “Die Ukrainer versprechen sich von einer Anlehnung an die EU mehr Wohlstand als von einer Zusammenarbeit mit Russland.” (Gegen den Wunsch der Ukrainer nach Wohlstand ist natürlich nichts einzuwenden – aber wir sollten das nicht romantisieren.)
– “Die Ukraine war vor dem russischen Angriff ein Land, das fast schon nach EU-Standards regiert wurde.” – statt “Die Ukraine war eine Kleptokratie, in der es mit der Pressefreiheit nicht weit her war.”
– “Selenskyi ist zupackender und intelligenter Anführer.” (“So einen bräuchten wir auch in Deutschland.”) – “Selenskyi ist bei der Umsetzung seiner Wahlversprechen von 2019 nicht weit gekommen und war vor Überfall Putins eher auf dem absteigenden Ast.”
– “Deutschland wird von Feiglingen regiert.” – statt “Es gibt gute Gründe, warum Frankreich, Deutschland und andere EU-Staaten sich nicht auf die Alles-Oder-Nichts-Strategie der USA einlassen wollen.”
– “Die Kooperation mit Russland war von Anfang an ein großer Fehler. Alle, die sich daran beteiligt haben gehören an den Pranger.” – statt “Russland – so autokratisch es heute ist – existiert nun mal. Wir können uns Russland nicht einfach weg wünschen. In den letzten Jahrzehnten gab es wenig Kooperation: Die EU war in erster Linie an billigen Rohstoffen interessiert. Die USA haben Russland vor allem als strategischen Rivalen gesehen.”
– “Die Bundeswehr wurde kaputt-gespart.” – statt “Der Wehr-Etat war schon immer ein Selbstbedienungsladen für Rüstungsfirmen.”
Die Kognitionspsychologie gibt den Predigern recht: Beim ersten Mal mag das Publikum noch die Stirn runzeln – nach einem Dutzend Wiederholung kommt ein Gefühl von “da muss wohl was dran sein” auf.
Advocatus diaboli
2. Juni 2022 @ 17:10
Die EU ignoriert leider schon immer die Minderheitenrechte. Siehe Katalonien. Doch die sind der Lakmustest der Demokratie. In diesem Sinn passt die Ukraine gut zu EU. Die EU strebt nach einem Reich, möglichst schnell, bei Inkaufnahme von inneren Spannungen. Das wäre keine Wertegemeinschaft, mit den
Holly01
2. Juni 2022 @ 16:44
Auf Voltairenet ein Bericht über das “de facto” EU und NATO Mitglied Ukraine:
” https://www.voltairenet.org/article217111.html ”
Ich fand die Lesezeit als gut investiert.
Genau so stelle ich mir diese Leute in den USA und den Helferstaaten vor.
european
2. Juni 2022 @ 15:59
Nach der bisherigen Erfahrung mit osteuropäischen Ländern, die es gewohnt sind, autokratisch statt demokratisch regiert zu werden, glaube ich nicht, dass die EU sich damit einen Gefallen tut. Die EUCO-Präsidentin scheitert an Orban und feiert sich für die Aufnahme der Ukraine, einen durch und durch korrupten Pleitestaat. Realistisch gesprochen.
Muss man auch erst einmal hinbekommen.
Holly01
2. Juni 2022 @ 12:44
GG:
Art. 1
(1) 1Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) 1Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 2Die Freiheit der Person ist unverletzlich. 3In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) 1Männer und Frauen sind gleichberechtigt. 2Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) 1Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. 2Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
….
Ich lebe “de facto” in einem tollen Land.
Dann darf der auch “de facto” EU und NATO Mitglied sein 🙂
Wenn sich Scholz von denen auf der Nase herumtanzen lässt, selbst schuld.
Schade das dem sein dickes Fell nicht ganz reicht, um ohne Rückgrat aufrecht durch das Leben gehen zu können.