Die Selbst-Verzwergung EUropas
Bei ihrem wohl letzten EU-Gipfel hat Kanzlerin Merkel eine herbe Niederlage erlitten: Ihr Vorstoß zur Russland-Politik wurde abgeblockt, es wird kein EU–Russland-Treffen geben. Viele fühlen sich besser durch US-Präsident Biden vertreten – die Selbst-Verzwergung EUropas schreitet voran.
Das können wir auch, dachten sich Merkel und Frankreichs Präsident Macron, nachdem Biden ein Gipfeltreffen mit dem russischen Zaren Putin organisiert hatte – und dafür auch in EUropa gefeiert wurde.
Das wollen wir nicht, entgegneten nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Polen und dem Baltikum, sondern auch die Niederlande – die sich immer öfter gegen deutsch-französische Initiativen stellen.
Ergebnis: Es wird bis auf Weiteres keinen EU–Russland-Gipfel geben, auch andere “Formate” stehen unter Prüf-Vorbehalt. Stattdessen soll der EU-Außenbeauftragte Borrell neue Sanktionen vorbereiten.
Das ist nicht nur eine herbe Niederlage für Merkel, die ihre Initiative offenbar schlecht vorbereitet hatte und nun auch für ihre außenpolitischen Alleingänge – Stichwort Nord Stream 2 – abgewatscht wurde.
Es ist auch eine Schlappe für das deutsch-französische Duo, dass ja immerhin mit dem Normandie-Format und dem Minsker Abkommen für außenpolitische Impulse gesorgt hatte, auch im Sinne Osteuropas und der Ukraine.
Warum sie ausgerechnet jetzt einen Gipfel mit Putin wolle, wurde Merkel nach dem Ende dieses katastrophalen EU-Gipfels gefragt. Weil Biden es auch gemacht hat – und da sprach niemand von einer “Belohnung” für Putin, sagte sie.
Außerdem habe man doch zuletzt viel über EUropas Souveränität gesprochen und eine eine souveräne Außenpolitik der EU gefordert. Ein direktes Gespräch mit Putin zu führen, “wäre Ausdruck von Souveränität”.
Doch genau das wollen viele EU-Chefs nicht. Sie wollen keine Souveränität nach Brüssel abgeben. Und wenn es um Russland geht, verlassen sie sich lieber auf Biden und die USA – selbst auf die Gefahr hin, dass in ein paar Jahren ein neuer Trump kommt.
Dies zeugt nicht nur von einem abgrundtiefen Mißtrauen in der EU, sondern auch von einer geistigen Selbst-Verzwergung. Die EU soll es nicht machen, und Diplomatie soll es schon gar nicht sein.
Nur bei Sanktionen, da schreien alle Hurra. Aber halt, hat nicht Deutschland im vergangenen Jahr die längst überfälligen Sanktionen gegen die Türkei verhindert? Richtig, schon damals begann die Selbst-Verzwergung.
Auch die Türkei-Politik haben die EUropäer weitgehend an die USA delegiert…
Siehe auch “Kein EU-Russland-Gipfel, dafür mehr Sanktionen“
Klaus Draeger
26. Juni 2021 @ 16:40
Dieser Gipfel hat gezeigt, wo die EU steht. ‘Geopolitische Kommission’, ‘Strategische Souveränität’, ‘Selbstbehauptung Europas’ (in den 1980ern der Slogan der SPD-Linken gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen) – alles heiße Luft.
Der deutsch-französische Motor stottert intern schon seit langem. Neuestes Beispiel der Konflikt über das neue Kampfflugzeug FCAS, und es gibt vieles mehr. Nun konnten sich Merkel & Macron nicht mal mit der Idee eines EU-Russland-Gipfels durchsetzten. Die Mehrheit der EU ist mit ihrer Rolle als Vasall der USA sehr zufrieden, das ‘transatlantische Bündnis’ mit Biden wird gefeiert, und die Nato sowohl wg. Ukraine/Belarus als auch im Indo-Pazifik klar als ‘Gendarm des freien Westens’ positioniert. Neuer Kalter Krieg.
Eric Bonse’s Kommentar bleibt dazu m.E. an der Oberfläche. Die wirkliche Frage aus meiner Sicht ist die: soll sich die EU als ‘imperiale Großmacht’ aufstellen (was ihr nicht gelingen wird) – oder als ‘Friedensmacht’, die eine neue Entspannungspolitik ggü. Russland und China auf den Weg bringen will? Statt der gegenwärtigen Konfrontationspolitik, die vor allem für Europa schädlich ist?
Das ging in den 1970ern mit Breschnew (ebenso kein Demokrat wie Putin), und sogar mit Nixon und Mao. Alle hatten ihre Kalküle dabei, war m.E. aber besser als der jetztige verschärfte Konfrontationskurs.
BlueLion
26. Juni 2021 @ 15:51
Es ist kein Wunder, daß Putin keinen Pfifferling mehr auf die Meinung der EU-Staaten gibt, stellen die EU-Mitglieder doch immer wieder unter Beweis, daß sie sich lediglich als Protektorat der USA verstehen.
Peter Wahl
26. Juni 2021 @ 11:43
“Selbstverzwergung” klingt so, als ob es schade wäre, dass es zu keinem Gipfel mit Moskau kommt. Tatsächlich entspricht es dem wirklichen geopolitischen Gewicht der EU in der Welt. Und es ist aus emanzipatorischer und internationalistischer Perspektive auch nicht wünschenswert, dass sich das ändert. 500 Jahre europäischer Kolonialismus und Imperialismus sind genug.
ebo
26. Juni 2021 @ 12:28
Ja, ich finde es tatsächlich schade. Die meisten EU-Staaten wollen sich, wenn es um Russland geht, offenbar lieber von einem US-Präsidenten vertreten lassen, als von einem EU-Politiker. Das ist, um im Jargon zu leiben, eine Selbst-Unterwerfung unter den amerikanischen Imperialismus. Aber klar, ohne EU kann Deutschland weiter deutsche Geschäfte mit Russland machen, genau wie mit China 😉