Die Wirtschaft fällt zurück, die Bürger verlieren
Die EU steckt wieder in der Krise. Doch diesmal ist alles anders. Die 27 sind vom Kurs abgekommen – sie wissen nicht mehr, wo sie stehen und wohin sie gehen. – Heute: Die Wirtschaft fällt zurück, die Bürger verlieren.
Seit Wochen tobt ein ungewöhnlicher Streit in Brüssel. Ausgelöst wurde er durch einen Artikel in der britischen “FT”, wonach die EU bei fast allen wichtigen Wirtschaftsindikatoren hinter die USA zurückgefallen sei.
Noch 2008 sei die Wirtschaft etwas größer als jene in den USA gewesen. Doch 2022 habe sich das Verhältnis umgekehrt – die US-Wirtschaft sei nun ein Drittel größer – und sogar 50 Prozent mehr als die EU ohne das UK.
“In 2008 the EU’s economy was somewhat larger than America’s: $16.2tn versus $14.7tn. By 2022, the US economy had grown to $25tn, whereas the EU and the UK together had only reached $19.8tn. America’s economy is now nearly one-third bigger. It is more than 50 per cent larger than the EU without the UK.”
Financial Times
Das klingt nach einem dramatischen Niedergang. Doch offenbar wurde der Wechselkurs vergessen. Auch andere Aspekte seien vernachlässigt worden, heißt es im Brüsseler Thinktank Bruegel. In Wahrheit halte sich die europäische Wirtschaft ganz gut.
Wer hat recht? Das sollen die Ökonomen entscheiden. Fest steht, dass das Wirtschaftswachstum hinter andere Regionen zurückfällt, Deutschland flirtet sogar mit der Rezession. Sie könnte bald schon die ganze Eurozone erfassen.
Fest steht auch, dass es so nicht weitergehen kann. Während die Wirtschaft um den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit fürchtet und mit Abwanderung droht, können viele Menschen ihre Rechnungen nicht mehr zahlen – das Leben ist schlicht zu teuer geworden.
Die Wirtschaft fällt zurück, die Bürger verlieren und gehen verloren – wie sich bei der Wahl in den Niederlanden gezeigt hat. Wahlsieger Wilders hat nicht nur von der ungelösten Flüchtlingskrise profitiert, sondern auch von der Inflation und zu hohen Lebenshaltungskosten.
Probleme nicht erkannt
Die EU hat sich jedoch als unfähig erwiesen, diese Probleme zu erkennen, geschweige denn zu lösen. Die Energiekrise (die lange vor dem Krieg in der Ukraine begann und durch EU-Sanktionen noch verschärft wurde) wurde verschlafen, die Inflation ignoriert.
Als die Europäische Zentralbank schließlich reagierte, war es zu spät – nun drohen die allzu hohen Zinsen die Krise noch zu verschärfen. Auch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert.
Auf schwindende Wettbewerbsfähigkeit und drohende Abwanderung wurde man in Berlin und Brüssel erst aufmerksam, als Washington längst Fakten geschaffen hatte – mit dem “Inflation Reduction Act”.
Doch da war es schon zu spät. Jetzt hechelt die EU nur noch hinterher – auf allen Ebenen…
Dies ist Folge 7 einer mehrteiligen Serie. Fortsetzung folgt. Teil 6 (Haushalt außer Kontrolle) steht hier. Und ein Update hier
P.S. Bei kritischen Rohstoffen hinkt die EU “meilenweit” hinterher, berichtet der “Guardian”. Dabei sind sie für den Green Deal unverzichtbar – und der wiederum soll doch das neue, “grüne” Wachstum bringen…
P.P.S. Nach der neuen Eurobarometer-Umfrage klagt eine Mehrheit der Befragten in den EU-Ländern bereits über einen sinkenden Lebensstandard. Am größten ist die Klage in Zypern, Deutschland liegt mit 44 Prozent im Mittelfeld.
Arthur Dent
6. Dezember 2023 @ 09:01
“Wettbewerbsfähigkeit” hat sich die deutsche Wirtschaft viele Jahre lang in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durch Niedriglohn und moderate Lohnerhöhungen erschlichen. Hinzu kam eine jahrelange Nullzinspolitik der EZB. (Hat die Sparkonten der Bürger entwertet). Die Aussicht, dass die Leitzinsen in Kürze wieder sinken, lässt den DAX auf ein Allzeithoch klettern. Auch glaubt sie ein verbrieftes Anrecht auf Zufuhr billiger Lohnsklaven, Verzeihung, Fachkräften zu haben. Soll sich die Politik gefälligst drum kümmern. Merke: die deutsche Wirtschaft und Industrie brilliert nicht durch Herstellung und Vertrieb von Spitzenprodukten, sie lebt von Börsenspekulation und staatlicher Subvention. Dass sie abwandern will, ist keine Drohung sondern ein Segen.
Karl
6. Dezember 2023 @ 09:00
Die Medien schieben gern Flüchtlinge vor, damit sie über den Krieg und den Wirtschaftskrieg nicht schreiben brauchen.
Der Rassismus soll dafür sorgen, dass Krieg und Wirtschaftskrieg weitergehen.
Arthur Dent
5. Dezember 2023 @ 22:32
“Auf schwindende Wettbewerbsfähigkeit” – so ist das mit der Wettbewerbsfähigkeit, einige verlieren damit andere gewinnen.
KK
6. Dezember 2023 @ 00:19
„…einige verlieren damit andere gewinnen.“
Sollte es nicht – der Realität angemessener – heissen „…einige MÜSSEN verlieren, damit andere gewinnen KÖNNEN“?
ebo
6. Dezember 2023 @ 13:14
Ich halte auch nicht viel von dem Begriff Wettbewerbsfähigkeit. Doch er wird in der aktuellen Krise vielfach genutzt – von der EVP, um “bürokratische Hürden” anzuprangen, vom BDI wegen angeblich zu hoher Steuern und von VW, um eigene Fehler zu kaschieren. Wer dem Link zu Bruegel folgt, kann eine differenzierte, volkswirtschaftliche Betrachtung lesen!
Art Vanderley
5. Dezember 2023 @ 20:17
Die Probleme werden hier richtig benannt, umso schlimmer, daß jetzt auch noch der gefährliche Unfug der Schuldenbremse zuschlägt, von Kritikern lange prognostiziert.
Murphys law, was schiefgehen kann, geht schief, gerne alles auf einmal…