Brüssel warnt neue Regierung in Athen
Offiziell ist Griechenland seit dem Ende des dritten Bailouts ein freies Land. Das heißt aber noch lange nicht, dass die neue konservative Regierung frei schalten und walten kann. Brüssel warnt schon wieder vor einem Bruch der Auflagen.
Die neue Regierung wäre gut beraten, sich an die “Absprachen” zu halten, sagte Währungskommissar Moscovici (ein Ex-Sozialist) bei der Vorlage der neuen Konjunkturprognose für die Eurozone.
Die EU-Auflagen sehen einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung vor – also einen harten Sparkurs. Unter Ex-Premier Tsipras wurde dies durch hohe Steuern erreicht.
Der neue Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat jedoch Steuersenkungen versprochen. Dafür will er “Bürokratie abbauen”, Sozialleistungen kürzen – und bessere Konditionen mit den Gläubigern aushandeln.
Doch die denken gar nicht daran, zu verhandeln. Der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, betonte, das Ziel eines hohen Haushaltsüberschusses bleibe eine wichtige Auflage.
Es sei nur sehr schwer vorstellbar, wie Schuldennachhaltigkeit ohne diese Vorgabe erreicht werden könne, erklärte Regling, der die Aufsicht von der verhassten Troika übernommen hat.
In Wahrheit kann von Nachhaltigkeit natürlich keine Rede sein. Schon der IWF hatte Reglings Berechnungen angezweifelt und davor gewarnt, Athen allzu harte Auflagen zu machen.
Ohne einen Schuldenschnitt, so der Währungsfonds, werde Griechenland seinen Schuldenberg von 180 Prozent der Wirtschaftsleistung nie und nimmer abtragen können.
Doch die EU setzte sich über die Warnung hinweg – und verordnete Athen ein Sparprogramm, das bis in das Jahr 2060 reicht. Das hat schon den Linken Tsipras aufgeregt – und letztlich seinen Job gekostet.
Ausgerechnet unter Mitsotakis, der die uneingeschränkte Unterstützung des gescheiterten EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber genießt, könnte es nun zum Schwur kommen…
Siehe auch “Schäubles Fluch: Linke verliert letzte Bastion”
Peter Nemschak
12. Juli 2019 @ 15:35
@Georg Soltau Höhere Zinsen für höheres Risiko sind logisch in einer Marktwirtschaft. Die Konstruktion des Euro in der gegenwärtigen Form ist ordnungspolitisch ein Fehler. Solange die Investoren de facto mit einem bail-out rechnen können, werden sie die höheren Zinsen mit Genuss einstecken. Dass die Griechen nach Syriza wieder konservativ gewählt haben, ist ihre Sache. Jeder ist seines Glückes Schmied und dafür verantwortlich, weil er auch einen möglichen Schaden zu tragen hat.
Georg Soltau
11. Juli 2019 @ 15:28
Der Schuldenberg von Griechenland beträgt jetzt 180 Prozent der Wirtschaftsleistung .Zur Finanzkrise 2008/2009 war Griechenland mit ca.110 bzw. 127 zum BIP verschuldet und
trotz Finanz- und Bankenhilfe der Troika ist das Land jetzt um 54 Prozent höher verschuldet? Das begreife ich nicht, was bitte war daran eine Hilfe
ebo
11. Juli 2019 @ 15:48
Da haben Sie leider Recht. Die “Hilfsprogramme” haben eben ihren Preis: Als Gegenleistung dafür, dass sie Athen zahlungsfähig gehalten haben, haben die Gläubiger dem Land immer neue Schulden aufgebürdet. Beim letzten Mal sogar gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung. Den Preis dafür zahlen die Griechen, vor allem die kommenden Generationen, denn der Ausgang aus dem Schuldenturm ist erst 2060 geplant, wenn überhaupt. Ein Irrsinn.
Peter Nemschak
11. Juli 2019 @ 19:28
Neue Schulden, um die alten zu refinanzieren. Wie groß war der Anstieg der Nettoverschuldung tatsächlich? Die Hilfsprogramme sollten Griechenland ermöglichen in der Eurozone zu bleiben und diese nicht zu destabilisieren. Warum hätte die EU die Fehler der konservativen Vorgängerregierung von Syriza ausgleichen sollen? Das wäre für jedes Mitgliedsland eine Einladung es gleich zu tun mit der Gewissheit, dass es ohnedies zu einem schmerzfreien bail-out kommt nach dem Motto: der Papa wird’s schon richten. Das gehört zu seinen Pflichten.
Georg Soltau
12. Juli 2019 @ 13:14
“Fehler der konservativen Vorgängerregierung von Syriza” ja, und wer hat dabei mächtig geholfen ? War da nicht etwas mit Basel ? höhere Zinsen bei höherem Risiko ? höhere Zinsen zur Absichern des Risikos ? und nicht nur zur Erhöhung der Rendite ? . Fast 5 Prozent mehr für griechische Anleihen, da muss man doch zuschlagen ! , “der Papa wird’s schon richten. Das gehört zu seinen Pflichten”, der lässt doch kein große Bank für fehlendes Risikomanagement pleite gehen.
zykliker
11. Juli 2019 @ 16:51
die “Hilfe” war nicht gedacht als Unterstützung für das Land, das hat man nur uns als “Gute-Nacht-Märchen” erzählt. Von den Milliarden ist fast nichts im griechischen Staatshaushalt wirklich angekommen, sondern damit mußten die Spekulanten, die einem hoffnungslos überschuldeten Pleitestaat zu hohen Zinsen Geld geliehen hatten, herausgehauen werden. Spekulanten? Das waren französische, angelsächsische und deutsche Großbanken, die mit ebensolchen Milliarden hätten gerettet werden müssen, wenn man Griechenland in die Pleite geschickt hätte.
Die Sanierung unsolider Bankbilanzen ging also nicht zu Lasten der Steuerzahler ihrer Stammländer, sondern zu Lasten der griechischen Wirtschaft, enorm vieler Kleinunternehmer, mittelständischer Existenzen…. Staatshaushalt, Gesundheitssystem….
Natürlich ist die Frage berechtigt: wie konnte es dahin kommen, haben die nicht sehr lange “über ihre Verhältnisse gelebt?” Ja, das Land hätte z.B. nicht in eine Währung gezwängt werden dürfen, die nur den nördlichen Exporteuren nützt, und die z.T. rückständige heimische Wirtschaft stranguliert…. Über “seine Verhältnisse gelebt” hat der “kleine Grieche” ganz bestimmt nicht, aber der steuerhinterziehende Millionär sehr wohl und es gab auch einige Sumpfblüten wie 125 jährige Rentenempfänger und Blindengeld kassierende Insel-Populationen.
Die “Spekulanten” hatten sich auch Dank des Netzwerks aus internationaler Finanzindustrie & Politik darauf verlassen können, daß sie im Pleitefall rechtzeitig herausgehauen werden würden: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste. Angelsächsischer Fachbegriff: moral hazard.
Kleopatra
12. Juli 2019 @ 08:27
M.W. war das griechische BIP vor zehn Jahren deutlich höher. Daher steigt – selbst wenn keine neuen Schulden dazukommen – der Wert der Schulden in % des BIP, wenn das BIP sinkt; anders ausgedrückt: mehr % des BIP sind nicht unbedingt ein höherer Betrag. Und gerade die Sparprogramme haben zum Sinken des BIP beigetragen.
Holly01
13. Juli 2019 @ 11:25
… und der IWF hat eingeräumt, das die Zerstörung der Wirtschaftskraft durch die “Einsparungen” eine doppelt so hohe Wirkung hatte wie angenommen.
Kaum zu sagen was man mehr betonen möchte, das die das vorausgesetzt haben oder das es doppelt so hoch ausgefallen ist …..
vlg
Kleopatra
11. Juli 2019 @ 07:31
Der Primärüberschuss von 3,5 % des Bruttosozialprodukts bedeutet, wenn man annimt, dass die Steuern nicht mehr als die Hälfte des BIP ausmachen, dass man Griechenland zu Zusage aufgenötigt hat, in den kommenden Jahrzehnten grob 5 % bis zu einem Zehntel seiner Steuern an ausländische Empfänger abzuführen. Solche Forderungen würden die Wirtschaft jeder Kolonie ruinieren und, wenn man sie einem im Krieg besiegten Gegner auferlegt, als sichere Garantie angesehen, dass es in wenigen Jahren zum nächsten Krieg kommt. Es geht hier auch nicht um wirtschaftliche Vernunft, denn die hätte gerade gesagt, dass aus überschuldeten Schuldnern nichts herauszupressen ist. Worum es ging, war das Problem, dass man der deutschen Öffentlichkeit versprochen hatte, dass D niemals für die Schulden anderer Eurostaaten garantieren werde, und daher musste man eine Konstruktion finden, bei der man mindestens so tun konnte, als ob man glaubte, dass Griechenland letztlich jeden Cent zahlen würde. Die Verträge scheinen mir von ihrer Symbolik „Versailles“ vergleichbar, nur ohne dass Griechenland einen Weltkrieg angefangen und verloren hätte. Insofern ist es kein Wunder, dass manche jetzt die Frage von Kriegsentschädigungen durch Deutschland zum Thema machen.
Peter Nemschak
10. Juli 2019 @ 13:02
Die EU möchte in Griechenland kein Budget à la Salvini haben. Mitsotakis wird sich etwas einfallen lassen müssen, um ohne Geschenke zu Lasten des Budgets und ohne die Bevölkerung weiter zu belasten, die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen zu erhöhen.