Borrell, von der Leyen, Maas: So falsch lagen die EU-Politiker in Afghanistan
Das Debakel in Afghanistan fällt vor allem auf die USA und die Nato zurück. Doch auch EU-Politiker haben sich blamiert. Außenvertreter Borrell, Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Maas lagen mit ihren Einschätzungen immer wieder falsch – bis zuletzt.
Hier einige markante Zitate. Sie sprechen für sich…
“Afghanistan is far away from Europe, but it feels like a close neighbour. After so many years of conflict and so many lives lost, there is a chance for a new beginning. The EU as an honest broker is keen to support a complex national reconciliation process” EU-Außenvertreter Borrell am 1.05.2020 auf Twitter
“Otherwise, if power is taken by force and an Islamic Emirate re-established, the Taliban would face non-recognition, isolation, lack of international support and the prospect of continued conflict and protracted instability in Afghanistan.” EU-Außenvertreter Borrell am 12.08.21 (offizielles Statement)
“Die Lage hat sich insofern verbessert, als es heute die afghanischen Sicherheitskräfte sind, die selbstständig für den Schutz der Bevölkerung hier sorgen müssen.” Von der Leyen am 18.12.2018 (damals noch deutsche Verteidigungsministerin)
“Seit 2001 hat Deutschland für humanitäre Hilfe, für wirtschaftliche Entwicklung und für den Wiederaufbau dieses Landes über vier Milliarden Euro eingesetzt. Wir sind der festen Überzeugung, das ist gut eingesetztes Geld.” Von der Leyen am 21. Februar 2019 im Bundestag
„Mit Blick auf die Zukunft setzen wir darauf, dass die Taliban verstanden haben, dass die Konflikte in Afghanistan politisch gelöst werden müssen und es nie eine militärische Lösung geben wird.“ Außenminister Maas Ende April 2021
„All diese Fragen haben ja zur Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand haben werden. Das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen.“ Außenminister Maas am 9.6.2021 im Bundestag
Die interessante Frage ist nun, ob diese Fehleinschätzungen irgendwelche Konsequenzen haben. Werden unsere EU-Politiker ihre Fehler eingestehen und ihre allzu Amerika- und Nato-treue Politik ändern? Werden sie ihren Rücktritt anbieten?
Oder werden sie sich weiter als tatkräftige Krisenmanager präsentieren und “den Westen” preisen – wie immer?
Siehe auch “Fall von Kabul: Schuldiges Schweigen in Brüssel” Mehr zu Afghanistan hier
P.S. Maas räumt Fehler ein: “Wir haben die Lage falsch eingeschätzt”, sagte er laut n-tv. Man müsste das jetzt einfach so zugeben. Man habe nicht erwartet, dass das afghanische Militär nicht in der Lage sei, sich den Taliban entgegenzustellen. “Die Bilder aus Kabul, vor allem vom Flughafen, sind außerordentlich schmerzhaft”, so Maas.
Art Vanderley
18. August 2021 @ 20:35
Vielleicht sollte man mal aufhören mit dem nation building und ehrlich ansagen, daß es um Kampf gegen Terrorkreise geht.
Hat wirklich jemand geglaubt, die “westlichen Werte” seien stabil vor Ort, mal abgesehen davon, daß wir uns selber längst zur Hälfte von selbigen verabschiedet haben und schon deshalb nicht sehr überzeugend wirken.
Vielleicht sollte man in Zukunft das Militärische regeln und sich vor Ort eine halbwegs erträgliche Kraft suchen- hier z.B. die Nordallianz- die dann das zivile Leben regelt, und die dann vielleicht einschätzen kann, was in einem Land längerfristig geht und was nicht, und die das dann eventuell auch verteidigen (kann).
Dann gehen Mädchen eben erstmal nicht zur Schule und Frauen gründen keine Firmen, aber dann werden sie später auch nicht verschleppt und mißhandelt.
Ob das die weiße Feministin allerdings interessiert, die sicher im Westen sitzt und auf ihre Moral pocht, da hab ich meine Zweifel, und das scheint auch mir ein Teil des Problems zu sein.
Frauenrechte, wenn es sich hier überhaupt um solche handelt, sind wichtig, aber es kommt auf das Wie an, und es gibt auch noch andere Werte.
Klaus
17. August 2021 @ 18:35
Die beiden vorigen Kommentare weisen m.E. auf wichtige Dinge hin.
Ich möchte den historischen Bezug ansprechen. Das britische Empire hatte Afghanistan besetzt 1839 – 1842- und musste erfolglos abziehen.
https://en.wikipedia.org/wiki/First_Anglo-Afghan_War
Dann kamen die Russen/die Sowjetunion Ende der 1970er – klappte auch nicht. Und zuletzt der ‘Westen/die Nato’ – dito.
‘Zwischendrin’ hatte der ‘Westen’ in den 1990ern ja die Glaubenskrieger (Mudschaheddin) verschiedener Herkunft massiv unterstützt. Ideologisch tat sich dabei insbesondere die FAZ hervor, die damals diese Kräfte als ‘Befreier’ vom drohenden ‘Kommunismus’ abfeierte.
Während die damalige afghanische Regierung denen ein Friedensarrangement anbot, aber auf z.B. auf Frauenrechen usw. bestand. Dann kamen die ‘Taliban – auch anfangs als ‘Ordnungsmacht’ vom Westen unterstützt (dass Pakistan und Saudi-Arabien diese finanzierten, war ihnen nur Recht).
Darüber redet man jetzt lieber nicht in den Kreisen der deutschen ‘extremen Mitte’ ( CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne). ‘Ortskräfte’ (von NGOs etc.) ausfliegen und aufnehmen – o.k. – der Rest ist ist egal. Die ‘unpolitischen’ Afghanis sollen halt sehen, wie sie zurecht kommen.
Die Grünen? Sie haben stets die Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan gebilligt. Die damalige Begründung z.B. von Claudia Roth – es gehe dabei um Frauen- & Menschenrechte – so kann man sich einen im Grunde imperialistischen Militäreinsatz schön reden.
Interessant finde ich, ob und wie die geopolitische Strategie des ‘Westens’ sich angesichts dieses zu erwartenden Debakels in Afghanistan verändert. Macron hat z.B. wg. Afrika/Sahel-Zone angekündigt, dass Frankreichs Militär sich zurück zieht, und andere Optionen überlegt. Vielleicht nicht zum ‘besseren’. Die zu erwartenden Flüchtlingsströme aus Afghanistan betreffen erst mal die Nachbarländer. In erster Linie Iran, Pakistan usw..
Insofern könnte es sein, dass dies von Biden so kalkuliert wird: Probleme mit den Taliban kriegen Putin (und seine Satelliten, Turkmenistan, Usbekistan usw.), China (auch wg. Xinjang), und der Iran.
Und der ‘Westen’ konzentriert sich dann auf ‘Chaos’ in ‘Euroasien’ und Militärstrategie im Pazifik (gegen China & Russland). Mal sehen …
Die Dinge sind nicht unbedingt so, wie sie erscheinen. Stand auf dem Rückspiegel von meinem Kleinstauto früher. Und auch Karl Marx wies darauf hin.
pitiplatsch
17. August 2021 @ 09:46
1. zu Herrn Fiedler: RICHTIG! Schon vor 20 Jahren hätte man anstatt Waffen die afghanische Mohnproduktion aufkaufen sollen und damit die Bauern an westliche Abnehmer binden, um später stufenweise auf andere Produkte umzulenken. Mit dem Verbrennen der Mohnproduktion trieb man sie in die Hände der Taliban.
2. Unsere Politiker & Medien: Laschet sagt, wir sollten künftig vorher überlegen, was wir da wollen. Genau das hat Schröder beim Irakkrieg getan – Frau Merkel flog dann zu Busch jun. und entschuldigte sich dafür. Alles vergessen – die Medien und die Etablierten diffamieren ihn als Gasableser wie sie das schon mit Steinbrück, Gabriel und anderen brauchbaren Köpfen getan haben. Die politischen Bonzen brauchen zur Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen schwache Führer – wie Laschet. Der diesbezügliche Klassiker ist die mehrfache Wahl Herzkranker zum Generalsekretär der KPdSU nach der langen Breschnew-Ärea. Wenigstens unsere 4. Gewalt sollte das bemerken.
Thomas Fiedler
16. August 2021 @ 23:26
Jetzt, wo sich in Kabul verzweifelte Menschen an Radkästen fortfliegender Militärmaschinen festkrallen, wäre der Moment für ein Nachdenken in der EU darüber, wie man es denn in Zukunft mit dem Regime der bärtigen Gesellen halten solle. Zahlreich sind die Rufe selbsternannter Experten im Westen, die mit vielen Ausrufezeichen und in Großbuchstaben twittern: Mit Extremisten verhandelt man nicht. Wer voreilig solchen Gedanken folgt, darf sich in zehn Jahren nicht wundern, wenn die erste Autobahn zwischen Kabul und Mazar – e – Scharif, die funkelnagelneue Bahnlinie zwischen Kabul und Kandahar und das zehnte Konfuzius-Institut, diesmal in Herat, eröffnet wird. Das jetzt entstehende Vakuum wird sich China nicht entgehen lassen, sondern alles daran setzen, sich auch dieses Land als Gläubiger unter den Nagel zu reißen, egal, ob demnächst wieder Frauen an den Toren des Fußballstadions aufgehängt oder Hände abgeschlagen werden. Jetzt wäre der Moment, darüber nachzusinnen, ob statt der Flaggen der USA und der Bundeswehr in Zukunft nicht die Europaflagge über zahlreichen waffenlosen, die Afghanen nicht verschuldenden, sorgfältig ausgewählten und evaluierten Projekten wehen sollten. Waffenlos, aber nicht bedingungslos sollte europäisches Geld nach Afghanistan fließen. Geld gegen Toleranz und zähneknirschende Akzeptanz friedlicher Projekte, die Hoffnung stiften und die wenigen zarten Pflänzchen der Aufklärung, die in den letzten 20 Jahren gesät wurden, weiter wachsen lassen. Und bloß keine Schutzmacht, keine Gewehre, keine Panzerwagen und willkürlich zusammengeschossene Hochzeitsgesellschaften, sondern nur der unwiderstehliche Charme von Geld und Bildung. Wenn die kriegshandwerkelnden Nationen der letzten 20 Jahre nur die Hälfte der Jahresbudgets nähmen, die sie zuvor in die militärische Präsenz in Afghanistan steckten, und jetzt Dorfschulen, Brunnen, Filmfestivals, Radiostationen, Erwachsenenbildung, Eisenbahnlinien und vieles mehr als gemeinsame EU-Initiative mit Hilfe von NGOs finanzieren und zugleich die unausweichliche Lebensmittelversorgung der afghanischen Bevölkerung übernehmen würden, wäre der Bevölkerung wirklich geholfen. Durch strenge Vergabebedingungen und sofortigen Entzug von Mitteln bei Monströsitäten der Taliban könnte ein feinmaschiges System der Kontrolle entstehen, das die Taliban so sehr auf das EU-Geld anfixen würde, dass sie sich wie vor einer Methadon-Ausgabestelle anstellen müssten. Das reflexhafte Verhängen von Sanktionen ist hingegen eine typisch amerikanische, moralisierende Reaktion, die sich bereits in Kuba, Nicaragua, Venezuela, Russland und vielen anderen Ländern als wirkungslos erwiesen hat. Deshalb sollte die EU ihre Pläne ohne die USA realisieren. Kurzgefasst: Die EU soll die Taliban zuscheißen mit Euros, bis sie davon völlig abhängig werden. Denn sonst machen es die Chinesen alleine. Wie sagte schon Mao schön griffig? „Lasst hundert Blumen blühen“. Ja, es wäre schön, eine solche gemeinsame EU-Strategie zu erleben. Aber, ach, zu frisch sind noch die Erinnerungen an den internationalen Flughafen in Gaza, der, gebaut mit EU-Geld und kaum eröffnet, schon wieder in Schutt und Asche gebombt wurde. Sind also Hardcore-Ideologen wie die Hamas und die Taliban wirklich „drogenresistent“ und nicht korrumpierbar? Ich fürchte, die Chinesen werden uns den Weg zeigen.