Absturz oder Aufbau? – Kritik an Michels Plan

Der Gipfelchef macht Druck. “Jetzt ist der Moment, ein Deal ist nötig”, schreibt EU-Ratspräsident Michel in seiner Einladung für den EU-Gipfel, der am Freitag beginnt. Doch sein Kompromiss stößt auf breite Kritik. Hier die wichtigsten Streitpunkte.

  • Der Umfang des Haushaltsplans: Das neue EU-Budget soll mit rund 1,1 Billionen Euro kaum größer ausfallen als das alte – trotz ständig wachsender Aufgaben der EU. Schon dies ist ein Zugeständnis an die “geizigen Vier”. Nun will Michel einen neuen Entwurf vorlegen, der noch niedriger ausfällt, um ihnen weiter entgegen zu kommen. Genau so ist es auch gekommen. Michels Entwurf umfasst nur noch 1,047 Billionen Euro – und sieht Kürzungen bei beliebten EU-Programmen wie Erasmus oder Horizon vor. Das sei “bedauerlich” und ein “Rückschritt”, so ein EU-Diplomat.
  • Die Beitragsrabatte. Sie leiten sich vom Briten-Rabatt ab und sind nach dem Brexit eigentlich hinfällig. Dennoch wollen Deutschland, die Niederlande, Österreich und Schweden an ihren überkommenen Nachlässen festhalten. Kanzlerin Merkel befindet sich hier in einem Boot mit dem Super-Geizkragen Rutte aus den Niederlanden. – Michel will die Rabatte nicht nur beibehalten. Er hat nicht einmal eine schrittweise Absenkung vorgesehen. Dies könnte sogar dazu führen, dass Deutschland und andere einen Rabatt auf die Rückzahlung der EU-Schulden erhalten – “starker Tobak”, heiß es in Brüssel.
  • Der Umfang des Konjunkturprogramms: Merkel und Frankreichs Staatschef Macron haben 500 Mrd. Euro vorgesehen, die EU-Kommission will 750 Mrd. Man darf davon ausgehen, dass die Endsumme näher an 500 als an 750 Mrd. liegen wird. Kommissionschefin von der Leyen wollte schlicht Verhandlungsmasse schaffen… – Hier ist Michel standhaft gebleben – es bleibt vorerst bei den 750 Mrd. Euro.
  • Zuschüsse oder Kredite? Merkel, Macron und von der Leyen wollen einen Großteil der EU-Hilfen als Zuschüsse vergeben, weil die Krisenländer ohnehin überschuldet sind. Doch die “geizigen Vier” wollen nur Kredite ausreichen, die zurückgezahlt werden müssen. Am Ende wird man den richtigen “Mix” finden müssen. – Michel hat vorgeschlagen, dass Hilfen nur gegen Reformprogramme vergeben werden, die der Rat absegnen muss (und nicht die Kommission). Der niederländische Premier Rutte nutzt das als Steilvorlage: Er fordert Einstimmigkeit – Den Haag könnte dann Hilfen für Rom blockieren…
  • Die Kriterien für die Vergabe. Die EU-Kommission hat einen Schlüssel erarbeitet, der auf sozioökonomischen Kriterien vor der Coronakrise beruht, etwa der Arbeitslosigkeit. Das stößt auf Widerspruch, auch bei Merkel. Denn es führt dazu, dass Länder wie Polen viel Geld erhalten, obwohl sie kaum Probleme mit Corona hatten!Hier schlägt Michel eine Änderung vor: 70 Prozent der Hilfen sollen auf Grundlage des Kommissions-Schlüssels vergeben werden, 30 Prozent später aufgrund neuer, krisenbezogener Daten. Doch das würde Länder wie Belgien oder Luxemburg weiter benachteiligen…
  • Die Eigenmittel. Ein wichtiges Thema, das oft vergessen wird. Es geht um neue EU-Steuern und -Abgaben, mit denen die Schulden zurückgezahlt werden können. Je weniger Eigenmittel die EU bekommt, desto mehr müssen die EU-Länder in den Schuldendienst stecken, was zu Lasten der normalen EU-Programme gehen dürfte. – Doch ausgerechnet bei diesem kritischen Punkt bleibt Michel vage. Er schlägt lediglich eine Plastikabgabe vor, die schon 2021 kommen soll. Alles andere – Digitalsteuer, CO2-Grenzsteuer etc. – soll später diskutiert werden. Damit sind die Schulden aber auch nicht sicher refinanziert

Darüber hinaus zeichnet sich noch ein weiterer Knackpunkt ab: der Rechtsstaat. Michel schlägt vor, dass EU-Mittel bei Verstößen mit einer qualifizierten Mehrheit im Rat gekürzt werden können. Damit erschwert er Beschlüsse, denn der Kommissionsvorschlag sah eine “umgekehrte” qualifizierte Mehrheit vor. Doch das Europaparlament will hier nicht mitspielen. “Das ist für viele von uns eine rote Linie”, warnt der grüne EU-Abgeordnete R. Andresen. Im Klartext: Das Parlament könnte am Ende “Nein” sagen…

Siehe auch “Hat sich Merkel schon bewegt?”