Klima des Misstrauens
Eine ganz große Koalition im Bundestag will das Griechenland-PROGRAMM verlängern. Doch das Vertrauen, dass die Hilfe hilft, geht gegen null. Auch im Verhältnis zu Paris und Brüssel macht sich Misstrauen breit.
Es ist schon paradox: Nie war Deutschland mächtiger als heute. Nie konnten wir anderen Ländern unseren Kurs vorschreiben wie nun in Griechenland.
Doch weder den Deutschen noch den anderen Europäern scheint diese Lage zu behagen. Selbst im Bundestag in Berlin glaubt kaum jemand an das neue Hilfs-PROGRAMM.
In Athen wiederum glaubt kaum jemand, dass mit dieser Einigung das deutsch-griechische Drama zu Ende geht. Und in Brüssel bereitet man sich schon auf die nächste Krise vor.
Ähnlich verhält es sich mit Frankreich. Lange war die Zusammenarbeit nicht mehr so eng wie derzeit, z.B. in der Ukraine-Krise. Gleichzeitig schwindet das wechselseitige Vertrauen.
Zu dogmatisch und dominant
Aus deutscher Sicht sind die Franzosen schuld – weil sie sich nicht an die Regeln halten (Stichwort Defizit). Aus französischer Sicht sind die Deutschen zu dogmatisch und dominant.
Selbst die EU-Kommission, Teil der INSTITUTIONEN (vulgo: Troika), bekommt diese Vertrauenskrise zu spüren. Aus Berliner Sicht spielt sie zu sehr solo, aus EU-Sicht sagt Berlin zu oft Nein.
Die Spannungen kristallisieren sich immer wieder am deutschen EU-Kommissar Oettinger. Zuletzt sah sich Kommissionschef Juncker sogar genötigt, ihn öffentlich zu rügen.
Könnte es sein, dass die Regeln falsch sind?
Kurz: Ein Klima des Misstrauens breitet sich in Europa aus. Entscheidungen, die eine Krise lösen sollen, vertiefen sie noch. Regeln, die Konflikte entschärfen sollen, heizen sie noch an.
Könnte es sein, das dies an den Regeln liegt – weil sie untauglich und undemokratisch sind? Oder müssen die Regeln mit eiserner Faust durchgesetzt werden – zur Not im deutschen Alleingang?
Vielleicht sollten sich die Bundestags-Abgeordneten diese Fragen einmal vorlegen, wenn sie mit der Faust in der Tasche für das PROGRAMM stimmen…
popper
1. März 2015 @ 14:27
@Nemschak
Wenn Sie von Vorteilen in der Globalisierung sprechen, dann ist ihr Hinweis auf die 25% Welt-Sozialprodukt unerheblich. Zeigt aber, dass Sie die Globalisierung nicht verstanden haben. 1950 hatte Westeuropa einen Anteil von 26,3% an der Weltwirtschaft, bis 1998 sank dieser Anteil auf 20,6%. Kein Mensch, außer vielleicht ihnen, käme auf die Idee, dass es uns Europäern 1950 besser ging als 1998. Sie befinden sich mit ihrer Sicht in Frau Merkels Welt, wo nur der Wettbewerb zählt, in der derjenige die Nase vorn hat, der am günstigsten produziert. In dieser Welt gibt es keine Nachfrage. Denn wer die günstig produzierten Waren kaufen soll, interessiert dort niemand. Vielleicht sollten Sie einmal realisieren, dass es für die Menschen es ziemlich egal ist, welchen Anteil das „Tortenstück“ der heimischen Volkswirtschaften am großen „Weltwirtschaftskuchen“ hat. Entscheidend ist, wie groß das “Tortenstück” ist bzw. wie es sich auf die „Mitesser“ verteilt.
Die Löhne sind nominal gestiegen – ja!!. Real steigen sie nur, weil wir immer geringere Inflation haben. Würde Deutschland sich an das Inflationsziel von knapp 2% halten, gäb es weiterhin Reallohneinbußen. Auch der Abschluss von 3,4% der IG-Metall ist bezogen auf die Laufzeit von 15 Monaten ein nominaler Anstieg p.a. von 2,72% plus Einmalzahlung von 150.- €. Das sind 0,8% über der in Europa angestrebten Inflationszielrate von 1,9%. Also ziemlich mager. Dass die Gewerkschaften hier seit Jahren versagen, liegt auch daran, dass man ihnen mit den Arbeitsmarktreformen ab 2003 neben ihrem eigenen Versagen durch die Hartz-Gesetze erheblich in ihre Verhandlungsmacht eingegriffen hat.
Dass für Sie der Arbeitsmarkt ein Kartoffelmarkt ist, bei dem Angebot und Nachfrage sich über den Preis und Nutzenoptimierung regeln, ist nicht verwunderlich. Allerdings zeigen die Länder in denen massive Lohnkürzungen vorgenommen wurden, die Arbeitslosigkeit enorm angestiegen ist. Und das kann man nicht mehr mit strukturellen Versäumnissen erklären.
In Deutschland arbeiten ein gutes Fünftel im Niedriglohnsektor. Zwar erhöhen sich die Beschäftigtenzahlen bei sinkendem Arbeitsstundenvolumen. Was zeigt, dass Teilzeit-, Leiharbeit, Werkverträge und Minijobs extrem zugenommen haben, d.h die Prekarisierung der Arbeitsplätze hat weiter zugenommen. Insofern sind ihre Argumente ziemlich neben der Sache liegend. Die Angebotsideologie hat ihr Ende erreicht. Sie konnte nur in den Jahren enormer privater Verschuldung Erfolge erzielen, die in der mittleren Frist sich als wirtschaftswissenschaftliches Debakel herausstellen. Der Neoliberalismus mit seiner Gleichgewichtsideologie des Marktes, dem Monetarismus und einer tautologischen Quantitätstheorie ist gescheitert und stellt dies fortgesetzt unter Beweis. Wie könnte es auch anders sein, bei einem Glasperlenspiel, dass in ihren mathematischen Konstrukten Scheinwelten abbildet, die nichts, aber auch gar nichts mit den Abläufen in der realen Wirtschaft etwas zu tun haben.
Tim
1. März 2015 @ 17:33
@ popper
Du weißt sicher nicht viel über Neoliberalismus, aber jeder Neoliberale würde Dir bei der Beschreibung der Symptome in gewisser Weise zustimmen.
Ein Unternehmen, das an die Zukunft denkt, wird heute nicht mehr freudestrahlend in Deutschland investieren, sondern lieber nach freundlicheren Standorten Ausschau halten. Folge: Wenn deutsche Unternehmen Arbeitsplätze mit hoher Produktivität schaffen, dann zunehmend im Ausland. Daher gibt es für die Lohnentwicklung in Deutschland nicht mehr allzu viel Luft nach oben.
Ob “Deutschland” ein abstraktes Inflationsziel anstrebt oder nicht, ist dabei völlig egal. Sozialistisches Wirtschaftsplanung führt nicht weit. Unternehmen fragen sich, wo sie Geld verdienen können – dort schaffen sie dann Arbeitsplätze. Und dort steigen die Löhne.
winston
28. Februar 2015 @ 16:52
Einmal mehr trifft Hans-Olaf Henkel voll ins Schwarze.
Stellungnahme von Henkel bezüglich der dreckigen Griechenland Kampagne der Bild Zeitung.
https://twitter.com/HansOlafHenkel/status/571572805420126208
Johannes
27. Februar 2015 @ 21:59
Endlich mal wieder hier ein neutraler Kommentar ohne sofortige Schuldzuweisungen in Richtung Deutschland. Damit hatte ich nicht gerechnet.
popper
28. Februar 2015 @ 12:12
@Johannes
Wer Deutschland die Schuld zuweist ist vielleicht nicht neutral, aber womöglich objektiv. “Tim” und “Nemschak” sind hier im Forum die teilweise Erkenntnis-Resistenten, die die Neoklassik für einen gelungen Denkansatz halten. Und vor das Drama in Euroland ihre ideologischen Scheuklappen halten, um nicht an ihrer neoliberalen Weltsicht irre zu werden.
Dennoch führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Deutschland der Hauptverursacher der europäischen Misere ist. Die Griechen haben sicher über ihre Verhältnisse gelebt, aber Deutschland weit unter seinen Verhältnissen, indem es mehr und billig produziert hat, um es seinen Nachbarn zu verkaufen. Die eigene Bevölkerung wurde mit Dumpinglöhnen, Hartz IV, Leiharbeit und Minijobs von der Wohlstandsmehrung abgeschnitten. Den Preis dafür zahlten die anderen Euroländer mit Handelsbilanzdefiziten. Natürlich kommt jetzt bestimmt der Einwand, wir hätten ja niemandem etwas aufgedrängt und verschweigen damit, dass in einer Währungsunion sich Wettbewerbsvorteile, wie überall über den Preis regeln, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die anderen Euroländer nicht mehr auf- oder abwerten konnten.
Deutschland verfolgt diesen Weg bis heute und hat in den letzten 6 Jahren seine Schuldner mit Hilfe der Europäischen Kommission und der Troika gezwungen, ebenfalls ihre Löhne zu kürzen und zudem ihr öffentliches Vermögen zu Schleuderpreisen zu privatisieren. Das Ergebnis ist Armut, extrem hohe Arbeitslosigkeit, bei den Jugendlichen bis zu 50% und Deflation in ganz Europa.
Deutschland und seine neoliberale Entourage in Brüssel sollten endlich erkennen, das ihr Wirtschaftsmodell gescheitert ist und für Investitionen und Wachstum sorgen. Das geht nur, wenn Deutschland seine Überschüsse abbaut, indem es seine Löhne deutlich erhöht. Tut es das nicht wird der Euro und Europa scheitern und am Ende Deutschland mit. Insoweit ist Deutschland schuld an einer Europapolitik, die tagtäglich ihr Scheitern unter Beweis stellt, weil sie an ein Glasperlenspiel namens Neoliberalismus glaubt und die schlichten logischen Zusammenhänge ökonomischer Tatsachen leugnet.
Nemschak
28. Februar 2015 @ 14:30
In letzter Zeit sind die Löhne in Deutschland gestiegen, was zur Belebung der Konjunktur beigetragen hat. Im übrigen ist die EU kein geschlossener Wirtschaftsraum sondern stellt kaum 25 % des Weltsozialprodukts her. So gesehen könnten auch andere EU-Länder vom Weltmarkt mehr profitieren können als sie es bisher getan haben. Was mich verwundert, dass Sie die Rolle der Gewerkschaften in Deutschland nicht kritisieren. Immerhin hätten diese höhere Lohnforderungen stellen können als sie es getan haben. Allerdings hätten höhere Lohnforderungen auch mehr Arbeitslosigkeit bedeutet. Der von Ihnen behauptete positive Zusammenhang zwischen höheren Löhnen und höherer Inlandsnachfrage funktioniert nur in einem geschlossenen System, nicht aber in einem global offenen System. In den letzten Jahren haben jene Gruppen in Deutschland Einkommensnachteile hinnehmen müssen, die dem arbeitssparenden technischen Fortschritt oder der Konkurrenz vom Weltmarkt besonders stark ausgesetzt waren. Protektionismus, wie ihn manche als Gegenstrategie propagieren, würde Europa über kurz oder lang auf die Stufe eines Entwicklungslandes zurückwerfen, das Technologien von höher entwickelten Wirtschaften importieren müsste mit allen negativen Folgen für seinen materiellen Wohlstand.
ebo
28. Februar 2015 @ 14:39
Vielleicht liegt’s daran, dass ich in Berlin war… 🙂
Stefan
27. Februar 2015 @ 13:43
“In Athen wiederum glaubt kaum jemand, dass mit dieser Einigung das deutsch-griechische Drama zu Ende geht.”
Das glaubt nicht nur in Athen niemand, sondern auch sonst nirgendwo!
Nemschak
27. Februar 2015 @ 10:17
Selbst bei gutem Willen wird es für Griechenland schwer sein, ein effektives Steuersystem in der Kürze aufzubauen. Ohne massive technische Hilfe aus der EU wird es nicht funktionieren. Darüber hinaus könnte die EU, vor allem Deutschland, materielle Hilfe durch den Einsatz von medizinischen Teams im griechischen Gesundheitssystem leisten, um eine Versorgung der Ärmsten zu gewährleisten. Das wäre eine vertrauensbildende und motivierende Maßnahme.
Tim
27. Februar 2015 @ 07:53
Schöner Kommentar, volle Zustimmung.
Ich bin der Meinung, eines der großen Probleme ist der Vertrag von Lissabon. Europa hat nur Zukunft, wenn es konsequent auf Subsidiarität setzt. Die Demokratisierung der EU ist noch auf viele Jahrzehnte eine Scheinlösung.
Nemschak
27. Februar 2015 @ 11:05
Ich bin sehr für Subsidiarität, nur eine gemeinsame Währung bedarf Regeln betreffend Haushaltsdisziplin der Mitglieder. Sonst besteht die Gefahr, dass die Währung sich in Richtung des laxesten Mitglieds richtet. Dies wäre nicht im Sinne der ehemaligen Hartwährungsländer, die damit gut gefahren sind. In Wahrheit haben wir in Europa ein demografisches Problem. Die jetzt in den Ruhestand tretenden Babyboomer stellen die politische Mehrheit dar. Staatsschulden zur Finanzierung des heutigen öffentlichen Konsums zu Lasten der nächsten Generation, welche diese Schulden bedienen muss, sind keine Thema für die Alten.
Tim
27. Februar 2015 @ 12:58
@ Peter Nemschak
Das stimmt natürlich. Eine gemeinsame Währung ist ja schon an sich ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip, wenn man Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik im Sinne der Subsidiarität unter nationaler Hoheit lassen möchte.
Wobei die USA zeigen, daß auch in einer wirtschaftlich und fiskalisch sehr heterogenen Staatslandschaft eine gemeinsame Währung funktionieren kann. Dafür müssen aber eben (mindestens) zwei Voraussetzungen erfüllt sein: regelmäßiger Ausgleich der regionalen Zentralbanken und Verbot des gegenseitigen Bail-outs. Beides ist im Euro-System ja nicht gegeben.
Stefan
27. Februar 2015 @ 13:46
Wenn man eine gemeinsame Währung hat, gibt es keine Subsidiarität mehr, denn die funktioniert nur mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wer (meiner Ansicht nach zu Recht) am Prinzip der Subsidiarität festhalten will, muss folgerichtig die gemeinsame Währung wieder abschaffen.