Zwei alarmierende Texte – von Orban und Soros
Sie sind einander spinnefeind: Ungarns Regierungschef Orban und der in Ungarns geborene US-Investor Soros. Doch in einem sind sie sich einig: die EU steckt in einer existentiellen Krise. Nun haben beide wichtige programmatische Texte veröffentlicht. Sie haben mir die Sprache verschlagen – doch lesen Sie selbst!
Fangen wir mit Soros an. Er warnt die “Schlafwandler” der EU, endlich aufzuwachen und sich dem “revolutionären Moment” zu stellen. Sein Text steht hier
Europe is sleepwalking into oblivion, and the people of Europe need to wake up before it is too late. If they don’t, the European Union will go the way of the Soviet Union in 1991. Neither our leaders nor ordinary citizens seem to understand that we are experiencing a revolutionary moment, that the range of possibilities is very broad, and that the eventual outcome is thus highly uncertain.
So geht es weiter – mit einer Warnung für die Europawahl:
It is difficult to see how the pro-European parties can emerge victorious from the election in May unless they put Europe’s interests ahead of their own. One can still make a case for preserving the EU in order radically to reinvent it. But that would require a change of heart in the EU. The current leadership is reminiscent of the politburo when the Soviet Union collapsed – continuing to issue ukazes as if they were still relevant.
Und nun Orban. Er beginnt mit Kanzlerin Merkel, die ihn kürzlich getroffen hat, und endet mit der neuen “Internationale”, die angeblich von Brüssel gesteuert wird. Sein Text steht hier
This week the German Chancellor and the four Central European prime ministers celebrated together the thirtieth anniversary of the final days of communism and the Soviet Union. As I look around, I see there are many here who only know the Internationale from history books, whereas we had to sing it at the end of every school event. For their sake I’ll quote from it: “The Internationale shall be the human race!” Thirty years ago we thought that we had consigned the communist way of thinking – which advocated the end of nations and a supranational world – to the dustbin of history. It seems that we were wrong. Today the slogan is the same: “The Internationale shall be the human race!” They are advocating a world without nations again, they want open societies, and they are fabricating a supranational world government. And again we have here those who wiped away our traditions, and would flood our countries with an alien culture. Thirty years after the fall of communism, on the eve of a pan-European parliamentary election, Europe finds itself in the position that we must stand up again for our Hungarian identity, for our Christian identity, protect our families and communities, and also protect our freedom. We, too, could do with some peace, but from the Internationale we also know that they will never rest; because – and again I quote them – “This is the final struggle”. Today Also they are controlled from abroad. The stronghold of the new internationalism is in Brussels, and its means is immigration.
Ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr, das zu kommentieren, und verweise auf meinen Text zu Merkel, Orban und Visegrad. Nun bin ich gespannt auf die Leser-Kommentare!
Erich Ganspöck
13. Februar 2019 @ 09:46
Organ muss sich irgendwann wieder einer Wahl stellen und versucht daher, die Mehrheitsstimmung für sich zu gewinnen. Soros muss sich keiner Wahl stellen, hat mit seinen Milliarden schon einmal eine ganze Währung fast zum Absturz gebracht und versucht, Europa nach seinen Ideen zu gestalten. Wer von beiden “gefährlicher” ist muss jeder für sich selbst entscheiden.
Da es den deutschen Politikern – volkstümlich gesagt “ums Verrecken” – nicht möglich ist, mit der AfD vernünftig umzugehen und diese rechts von der Mitte agiert und die Stimmung der Deutschen, die nachdenken und sich berechtigte Sorgen machen, wiedergibt, kann auch die CDU/CSU nicht ihren Standort links der Mitte verlassen um ihre Stimmenanteile wieder halbwegs auf das alte Niveau zu bringen.
(Die neue Vorsitzende hat ja unlängst schon ihre Parteifreunde als “Sozialistinnen und Sozialisten” angesprochen!!)
Georg Soltau
13. Februar 2019 @ 13:48
Was bitte an der CDU/CSU ist links von der Mitte ? … wo liegt den der Unterschied zwischen AfD und CSU ? …die AfD erscheint früher im Telefonbuch !
Kleopatra
13. Februar 2019 @ 09:03
Die großzügige Fassade gegenüber Migranten kann in Deutschland nur aufrechterhalten werden, weil andere das tun, was deutsche Politiker sich aus Furcht von “hässlichen Bildern” nicht trauen zu tun. Wie wäre die Stimmung in Deutschland, wenn wie vor Herbst 2015 Migranten ungehindert durch Ungarn nach Deutschland strömen könnten? Orbán erspart den Feiglingen der deutschen Politik nicht nur hässliche Bilder, sondern er gibt ihnen auch die Möglichkeit, relativ folgenlos vor dem Hintergrund dieses “Bösewichts” den Großzügigen zu spielen (und humaner als die auch aus Europa finanzierten libyschen Milizen ist die ungarische Grenzpolizei sicher). Hier fällt einem der “Gute Mensch von Szechuan” ein, wobei allerdings die Rollen auf zwei Personen verteilt sind, nämlich Merkel und Orbán; aber unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht verrückt, sondern logisch, dass beider Parteien im Europäischen Parlament einer Fraktion angehören.
Kleopatra
13. Februar 2019 @ 08:01
Soross Kommentar ist m.E so trivial wie fast alles, was er schreibt. Er ist ein erfolgreicher Spekulant, der gerne für einen originellen politischen Denker gehalten werden möchte; aber er genügt seinem eigenen Anspruch nicht. Der oben zitierte Artikel ist für mich der verzweifelte Versuch, durch dicke Schlagworte (wie EU = UdSSR) auf sich aufmerksam zu machen. Inhaltlich überzeugt sein Versuch nicht. Er versteigt sich z.B. zu einer Charakteristik des deutschen Parerteiensystems, wo er behauptet, durch die AfD im bayerischen Landtag habe das Bündnis zwischen CDU und CSU seinen Existenzzweck verloren, und diese könnten wegen der Konkurrenz durch die AfD nicht so proeuropäisch sein, wie sie eigentlich wollten. In Italien gibt es durch den Fast-Ausfall der linken PD angeblich keine Partei, der der beträchtliche proeuropäische Teil der Wählerschaft seine Stimm egeben kann (als ob irgendjemand gehindert wäre, diese Partei zu wählen) etc. Nicht das geringste Problem solcher Argumentationen ist ja auch, dass gar nicht klar ist, was für solche Autoren eigentlich “proeuropäisch” bedeutet.
Die Sowjetunion ist im Jahr 1991 übrigens deshalb zerfallen, weil ein Teil der konservativen Elite die Veränderungen mittels eines Putsches im Sommer 1991 aufhalten wollte und die Union dadurch unbeabsichtigt erst recht delegitimiert hat. Vergleicht Soros also Juncker, Merkel, Macron und Weber mit den Putschisten vom Sommer 1991?
ebo
13. Februar 2019 @ 09:24
Danke für die interessante Einschätzung! Ich war auch verwundert, dass nun ausgerechnet Soros die EU mit der Sowjetunion vergleicht – während Orban von einer neuen “Internationale” (gemeint ist wohl eher die Komintern) phantasiert. Der Vorteil der EU ist jedoch, historisch betrachtet, dass sie kein staatliches Gebilde ist, das zusammenbrechen könnte. Die EU-Institutionen arbeiten weiter, auch wenn der “europäische Geist” sie schon weitgehend verlassen hat. Auch die EU-Kommission produziert weiter Gesetze, selbst wenn sie kaum noch umgesetzt oder sogar offen abgelehnt werden…
Peter Nemschak
14. Februar 2019 @ 10:41
Soros und Krastev klingen ähnlich besorgt was die Entwicklung im ehemalig kommunistischen Einflussbereich Europas betrifft. Meines Erachtens befinden sich diese Länder in einer “middle income trap” im weitesten Sinn. Es wird oft übersehen, dass der mentale Zustand von Gesellschaften, man kann es auch Sozialkapital nennen, einen wesentlichen Teil der Infrastruktur eines Landes darstellt. Daran können auch massive Finanztransfers nichts ändern, wie das Beispiel Ostdeutschland zeigt. Social and political engineering sind enge Grenzen gesetzt. Historisch gewachsene Gesellschaften müssen sich natürlich weiterentwickeln, mit allen Rückschlägen, Kriegen und Revolutionen inklusive. Der Gang der Geschichte findet auch ohne Zutun der Politiker statt, manchmal vielleicht sogar günstiger für die Betroffenen. Im Mittleren Osten wäre ohne die Einmischung der Großmächte vermutlich längst Frieden. Es muss ja nicht gleich Demokratie sein.
Zander
12. Februar 2019 @ 17:50
Beide haben recht. Das ist das schlimme.
Peter Nemschak
12. Februar 2019 @ 21:04
Womit ?
Peter Nemschak
12. Februar 2019 @ 17:36
Man muss nicht unbedingt mit den beiden einer Meinung sein. Beide übertreiben, jeder von seinem Standpunkt. Die EU braucht sich nicht neu zu erfinden sondern muss danach trachten gemeinsame Interessen zu identifizieren. Das werden vor allem wirtschaftliche sein, weil die Gemeinschaft politisch heterogen ist. An Ungarn wird die EU nicht scheitern. allerdings wird die Modernisierung des Landes durch Orbans Politik behindert. Intelligente und weltoffene Menschen werden Ungarn verstärkt verlassen und ihr Glück anderswo suchen. Emanzipierte Frauen werden sich durch Orbans finanzielle demografische Initiative nicht unbedingt zur Geburt von drei und mehr Kindern bereit finden. Ungarn ist nicht der einzige Anachronismus in der EU, wenn man an sezessionistische Tendenzen wie jene in Katalonien denkt. Damit wird die EU wohl leben müssen.