Wo Lindner recht hat
Der “Aufbruch für Europa” ist abgeblasen, auch die große EU-Reform à la Macron wird es nicht geben. Bisher schien dies in Deutschland kaum jemand zu stören – doch das ändert sich gerade: FDP-Chef Lindner muckt auf – ausgerechnet.
Zugegeben: Bisher kam Lindner in diesem Blog nicht gut weg. “Darf dieser Mann allein über EUropa entscheiden?”, fragten wir im Oktober – es wurde einer der meistgelesenen Beiträge. Doch nun müssen wir Lindner auch ‘mal recht geben.
Wenn Kanzler Kohl (CDU) und Außenminister Genscher (FDP) 1989 so zögerlich gehandelt hätten wie Kanzlerin Merkel heute, dann “hätte es die Deutsche Einheit niemals gegeben”, sagte Lindner beim FDP-Parteitag in Berlin.
Merkel müsse endlich die ausgestreckte Hand von Frankreichs Macron annehmen und die EU und den Euro reformieren. Recht hat Lindner – schade nur, dass er im Oktober das Gegenteil gefordert hat. Damals war er gegen alle Macron-Ideen.
Völlig richtig liegt der FDP-Chef auch mit seiner Forderung, einen EU-Sondergipfel zur Iran-Krise einzuberufen. Das hatten wir in diesem Blog auch schon gefordert. Schließlich ist der Atomdeal die Quintessenz der europäischen Außenpolitik.
Allerdings verkennt Lindner offenbar, dass Merkel kaum in außenpolitischen, dafür umso mehr in industriepolitischen Kategorien denkt. Sie will den deutschen Handel mit den USA retten, der Iran ist dagegen Peanuts.
Deshalb wird Deutschland nichts gegen die US-Sanktionen unternehmen – Wirtschaftsminister Altmaier hat es schon angekündigt. Berlin will auch nichts gegen die Strafzölle auf Stahl und Aluminium tun.
Nein, Merkel und Altmaier wollen US-Präsident Tump so weit entgegenkommen, wie nötig, um den US-Markt für deutsche Autos und andere Massenprodukte offen zu halten. Dafür verbiegen sie gerade die EU.
Die EU-Kommission soll im Zollstreit klein bei geben, Frankreich soll seinen Handel mit Iran vergessen. Deshalb wird es keinen Sondergipfel geben, bei dem Deutschland ziemlich allein gegen den Rest der Union stünde.
Nein, Merkel und Altmaier möchten alles mit Trump auskungeln. Eine “souveräne EU”, wie sie Macron fordert, ist mit ihnen nicht zu machen. Eher schon wird sie zum “Fussabtreter Trumps”, wie die “New York Times” schreibt…
Siehe auch “Letzte Warnung an Merkel”
WATCHLIST:
- Katalonien: Nach monatelanger spanischer Zwangsverwaltung bekommt Katalonien einen neuen Regionalpräsidenten. Das Regionalparlament in Barcelona stimmt im zweiten Anlauf über den parteilosen Joaquim “Quim” Torra ab, der die notwendige einfache Mehrheit erhalten dürfte. Torra gilt als Marionette des ehemaligen Separatistenführers Puigdemont.
- Jerusalem: Am Montag beginnt der Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem. Er dürfte von Protesten der Palästinenser überschattet werden; vor allem im Gazastreifen drohen neue Krawalle. Doch der EU sind die Hände gebunden: Tschechien, Rumänien und Ungarn haben eine kritische EU-Erklärung zur Ankerennung Jerusalems blockiert.
WAS FEHLT:
- Eine Regierung in Italien. Zwar sind sich die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega überraschend einig geworden. Einen Konsens gibt es offenbar auch in der Europapolitik: Italien soll keine “Kolonie Deutschlands” werden und deshalb auch nicht mehr alle Vorgaben aus Brüssel schlucken. Allerdings hat man sich noch nicht auf einen Regierungschef verständigt.
- Ein Wort von M. Schulz. Die SPD will ihren gescheiterten Kanzlerkandidaten entsorgen und zurück nach Brüssel schicken, wo seine politische Laufbahn begonnen hatte. Doch Schulz schweigt. Ob es wohl damit zu tun hat, dass er schon die letzte Europawahl 2014 verloren hat? 2019 sind die Aussichten für die Sozialdemokraten noch schlechter…
Mehr zum MEGA enttäuschenden Kandidaten Schulz hier
Peter Nemschak
14. Mai 2018 @ 09:28
Nicht nur Deutschland, auch die EU steht genau so vor der Frage, wie sie sich handelspolitisch verhalten soll. Was ist strukturell für sie wichtiger? Trump ist nicht die USA und wird nicht ewig Präsident bleiben. Sind andere Alternativen auf Dauer vorteilhafter?
Thomas
14. Mai 2018 @ 10:06
Doch, Trump ist die USA. Diese 180 Grad Wende weg vom Obama Bush Clinton Kurs ist schon jetzt irreversibel.
Wenn Berlin glaubt sie müssen nur abwarten bis Trump weg ist, was dauern kann, dann wird alles wieder “gut”, befinden sie sich, mal wieder, im Irrtum.
Peter Nemschak
14. Mai 2018 @ 11:53
Es wird nicht alles wieder gut, bloß anders. Die EU darf ihre politischen Kräfte nicht überschätzen, ihre militärischen schon gar nicht – sie ist strukturell schwach: politisch und militärisch. Allerdings sollte man für die (begrenzte) Unterstützung der USA eine entsprechende Gegenleistung einhandeln.
hintermbusch
14. Mai 2018 @ 06:57
„Zugegeben: Bisher kam Lindner in diesem Blog nicht gut weg“
Es war ein kleiner Furor gegen Lindner, wie ich einige Male nach Lindner-freundlichen Kommentaren feststellen konnte. Aber was soll’s, besser es bessert sich spät als nie.