Willkommen im neuen, “pro-europäischen” Direktorium

Das gab’s noch nie: Sechs Staats- und Regierungschefs haben ein “Direktorium” gebildet und ‘mal eben ein Personalpaket für die gesamte EU geschnürt. Ist das okay?

Das fragen sich viele in Brüssel. So schreibt die “Tagesschau”:

Nach Informationen des ARD-Studios Brüssel hat sich eine Sechsergruppe, der auch Bundeskanzler Olaf Scholz angehört, auf ein Paket der wichtigsten EU-Spitzenposten geeinigt. (…) Für Außenstehende wirft das die Frage auf, warum eine Sechsergruppe so entscheidend ist, wenn doch am Gipfeltisch 27 Länder mit ihren Chefinnen und Chefs vertreten sind. 

Tagesschau

Ja, warum eigentlich?

Offiziell werden drei Gründe angeführt: Erstens sind hier “Pro-Europäer” am Werk, die die EU vor Populisten und anderen EU-Gegnern retten wollen. Zweitens verfügen sie zusammen über genügend Stimmen beim EU-Gipfel, so dass es für die nötige qualifizierte Mehrheit reicht. Und drittens geht es darum, ein Chaos wie 2019 zu vermeiden.

Damals hatten sich die Chefs über den Willens des Europaparlaments hinweggesetzt und in einem ungeordneten Verfahren die deutsche CDU-Politikerin von der Leyen zur Kommissionschefin ernannt. Das “Spitzenkandidaten-Verfahren” spielte keine Rolle mehr, die Wähler wurden getäuscht, die Demokratie beschädigt.

Drei Wahlverlierer

Doch ist es diesmal besser? Wohl kaum. Schauen wir uns die Sechsergruppe einmal näher an. Ganz vorn dabei wieder Scholz und Frankreichs Staatschef Macron. Beide wurden bei der Europawahl abgestraft – Scholz mit dem schlechtesten SPD-Ergebnis aller Zeiten, Macron mit einer krachenden Niederlage gegen die Nationalisten.

Dann wäre da noch der scheidende niederländische Ministerpräsident Rutte. Er “scheidet” seit gefühlt einem Jahr und hat sogar schon ein neues Amt als Nato-Generalsekretär. Auch seine rechtsliberale Partei wurde bei der Europawahl geschlagen, paktiert nun aber mit dem Rechtspopulisten Wilders. Rutte hat gar kein Mandat mehr.

Anders sieht dies bei den EVP-Politikern Mitsotakis (Griechenland) und Tusk (Polen) aus; sie können legitimerweise beanspruchen, ein Wörtchen mitzureden. Auch Spaniens sozialistischer Regierungschef Sanchez hat die Europawahl einigermaßen überstanden. Diese drei Länder reichen aber nicht für eine qualifizierte Mehrheit.

Keine Koalition

Noch problematischer wird es, wenn man sich anschaut, wie viele Sitze dieses selbst ernannte Direktorium im Europaparlament hat: Es sind lediglich 124 (von 720), wie der Europarechtler A. Alemanno ausgerechnet hat. Selbst wenn man die 399 Sitze der zugehörigen politischen Familien zählt, ist es bestenfalls eine knappe Mehrheit.

Ihr entspricht aber keine Koalition, wie dies in Demokratien üblich ist – das Europaparlament hat sich noch nicht einmal konstituiert! Außerdem trägt diese Gruppe in keiner Weise dem Wahlergebnis Rechnung, bei dem die beteiligten “pro-europäischen” Parteien an Boden verloren haben. Vor allem die Liberalen wurden gerupft.

Deshalb dürften Macron und Rutte eigentlich keinen Anspruch mehr auf einen Topjob erheben. Auch Scholz kann, nimmt man die Europawahl und die Umfragen, keine führende Rolle beanspruchen. Nur mithilfe eines Direktoriums – und der offenbar willigen CDU-Politikerin von der Leyen – können sie noch den Ton in der EU angeben.

Es sei denn, da regt sich Widerstand. Was macht eigentlich von der Leyens spezielle Freundin Meloni beim EU-Gipfel?