Was Merkel geschafft hat – und was nicht
Ob Brüssel, London oder Paris: Alle warten auf die Wiederwahl von Kanzlerin Merkel. Premierministerin May und Präsident Macron haben sogar ihren Terminkalender nach der Krönung von Merkel IV ausgerichtet. Denn bei im Kanzleramt laufen mittlerweile alle Fäden der Europapolitik zusammen. Doch was hat Merkel erreicht – und was hat sie verbockt?
Was Merkel geschafft hat – und was nicht
In Europa wird deutsch gesprochen – doch geliebt werden wir nicht.
Das „deutsche Europa“, das Altkanzler Kohl nie wollte, ist unter Merkel Realität geworden. Deutschland dominiert (fast) alles in der EU. Doch der Preis ist hoch: Der europapolitische Konsens ist zerbrochen, Großbritannien tritt aus, Deutschland wird wieder offen angefeindet.
Der Euro ist nicht gescheitert – aber auch nicht nachhaltig gerettet.
„Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa“, sagte Merkel auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Und wenn er nicht scheitert? Dann leidet Europa – unter unsinnigen deutschen Regeln, schwachem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit. Nur die EZB hält den Laden zusammen – wie lange noch?
Der Brexit wurde gestoppt – doch die Desintegration geht weiter.
Erst wollte Merkel die EU gemeinsam mit den Briten führen, nun möchte sie sie vor den Briten und ihrem Austritt schützen. Doch die Desintegration geht weiter. Der Süden fällt zurück, Polen und Ungarn setzen sich immer mehr ab. Und 2018 wird es auch mit dem Brexit ernst.
Die Flüchtlingskrise ist eingedämmt – doch um welchen Preis?
Seit dem Herbst 2015 ist die EU nicht mehr, was sie mal war. Merkel hat gezeigt, dass sie bereit ist, sich über Regeln und Grenzen hinwegzusetzen – und die Krise dann mit Despoten vom Schlage eines Erdogan zu lösen. Sie hat ihre Seele verkauft, doch keinen inneren Frieden gewonnen.
Die EU-Staaten umgekrempelt – aber selbst keine Reform gewagt.
Das ist eine der unglaublichsten „Leistungen“ Merkels. Sie hat die EU-Staaten auf Budgetdisziplin und Wettbewerb getrimmt und schmerzliche Strukturreformen erzwungen, sogar in Frankreich. Doch sie selbst hat keine Reform gewagt und dringend nötige Investitionen verschleppt.
Die Unionsmethode bevorzugt – und die Gemeinschaft geschwächt.
Dank Merkel geben in der EU wieder die Staaten den Ton an, nicht die Brüsseler Institutionen. Für Deutschland ist das gut, für die Gemeinschaft ist es Gift. Die EU funktioniert nicht mehr so, wie im Lissabon-Vertrag geplant war. Doch jede Reform wurde bisher von Berlin blockiert.
Der SPD den Schneid abgekauft – und dann die AfD gefördert
Im Koalitionsvertrag für die letzte GroKo hat die CDU die Europapolitik diktiert. Die SPD wurde überrumpelt, Merkels Europapolitik gilt seither als „alternativlos“. Darunter leiden die Sozis bis heute (siehe Schulz) – und die AfD profitiert. Deutschland rückt nach rechts, die EU auch.
Die europapolitische Bilanz für SPD-Kandidat Schulz steht hier
Ben Evans
22. September 2017 @ 15:19
Vielleicht fällt Ihnen auch einmal was positives zu Deutschland und der Bundeskanzlerin ein. Ich stimme auch nicht allem zu; aber wir sollten froh sein, dass wir in vielen Belangen federführend sind.
Gemeinschaft ist immer dann gut, wenn alle ihren Teil dazu beitragen!
ebo
22. September 2017 @ 15:28
@Ben Evans – Haben Sie die sieben Thesen gelesen? Sie beginnen alle mit Merkels Leistungen und Erfolgen. Allerdings erlaube ich mir, diese einzuordnen und zu relativieren – genau wie bei Herrn Schulz. Genau das ist die Aufgabe eines Blogs!
F.D.
22. September 2017 @ 12:53
Excellenter Kommentar. Vielen Dank! Nur eine Frage: „Deutschland dominiert (fast) alles in der EU“ – Was bzw. wo dominiert Deutschland denn nicht in der EU? Militär?
ebo
22. September 2017 @ 20:50
F.D. In der Tat, beim Militär sind Briten und Franzosen vorn. Auch in Fragen der Kultur- und Sozialpolitik gibt Merkel (noch) nicht den Ton an. Und dann gibt es natürlich immer wieder Länder, die sich dem deutschen Willen widersetzen. Dass der Brexit unter Merkel stattfindet, ist gewiß kein Zufall…
Peter Nemschak
21. September 2017 @ 18:51
Man wird sehen, ob am Wahlsonntag die Mehrheit Ihre Kritik teilt. Nationale Wahlen werden wie eh und je mit nationalen Themen geschlagen. Wirtschaftlich geht es den Mitgliedern der EU derzeit nicht schlecht. Mangels einer veritablen Katastrophe fehlt die Motivation für eine europäische Republik. Es wird wie bisher bei kleinen Schritten bleiben. Vielleicht besser so als in Utopien schwelgen.