Warum Renzi der Kragen platzte
Der Krisengipfel von Bratislava war eine reine PR-Show. Keine Debatte über die Ursachen des Brexit, keine Analyse der EU-Krise, keine Beschlüsse. Genau das hatte Kanzlerin Merkel geplant. Doch einer störte die Inszenierung.
Es war Italiens ehrgeiziger Premier Renzi. Im August hatte er Merkel und Frankreichs Hollande nach Ventotene geladen, um zu dritt den Neustart der EU planen. Nun platzte ihm der Kragen.
“Wir müssen niemandem vorspielen, dass wir eine Einheit sind”, erklärte er nach dem Bratislava-Spektakel, bei dem Merkel und Hollande gemeinsam (ohne Renzi) aufgetreten waren.
Nichts als verletzter Stolz? Nein, es steckt mehr dahinter. Denn zum einen hatte Merkel das Führungstrio schon vor Bratislava platzen lassen – sie war am Tag vor dem Gipfel überraschend nach Paris gereist.
Zum anderen weicht Merkel den Themen aus, die Renzi am Herzen liegen. Sie schert sich einen Sch… um die Wirtschafts- und Bankenkrise in Italien, auch die dort anlandenden Flüchtlinge sind ihr egal.
Statt für eine faire Verteilung der Migranten in EUropa zu sorgen, wie sie bisher vorgab, äußerte Merkel sogar Sympathie für die “flexible Solidarität”, die die Visegrad-Staaten neuerdings fordern.
Orban statt Renzi, ist das das neue Motto? Seehofer und seine CSU würde es freuen – Renzi sicher nicht…
Peter Nemschak
19. September 2016 @ 17:59
@Guest On the other hand the Visegrad States in particular Hungary and Poland lead the way into autorianism.There are better ways to remind the Union of the principle of susidiarity.
Guest
18. September 2016 @ 21:25
“Orban statt Renzi, ist das das neue Motto?”
No, budgetary responsibility instead of deficit orgies (of southern type). Quite logical and understandable decision. And you are wrong – Bratislava summit was very important, possibly even crucial. Try to think about “flexible solidarity” as a precedence!!! What does it mean for the future…
Peter Nemschak
19. September 2016 @ 08:25
I agree with you. The accumulated excessive deficits in the European south are the result of 70 years of political mismanagement. Why has the European north developped in a more successful way than the south since WW2? Merkel who is critisized for the malaise was not even born then. As you mentioned “flexible solidarity”, hopefully not unlimited to avoid free-riding, is the right way forward.
Guest
19. September 2016 @ 12:10
Lets think about it: flexible solidarity in “refugee” crisis means that countries unwilling to take vast amounts of migrants will compensate by increasing their financial support to migrant camps or by sending over-proportional amount of security personnel to secure outer borders of Europe.
What would it mean as a precedence? Today some countries are mis-using so called “european solidarity” to blackmail their neighbours! Italy and Greece didnt protect their borders regularly believing they will get rid of the problem (in the end) by distributing it among the rest of European Community (mandatory quotas). Entire southern wing of eurozone doesnt care for its deficit because they all believe the North is going to pay it in the end!
It cant continue like this. What would “flexible solidarity” mean as a precedence? That every member state decides in what way it will help its neighbours in troubles. In opposite direction it means that member state in trouble would not be sure what kind of help it will obtain from other members and in what amount. That would in return – in my opinion at least – lead to more responsibility of each member states!!!
Thats my speculation only…..I am just thinking about it. But trust me this: Visegrad lands are not trying to destroy EU, they are trying to save it. Save it from the hell it is running into.
Skyjumper
18. September 2016 @ 20:29
Es gibt innerhalb der EU seit ihrem Bestehen 2 grundlegende Konsens-Aussagen die alle Mitgliedsstaaten unterschreiben:
1) Ich will einen Vorteil
2) Wir sprechen nur über Gemeinsamkeiten
Seit einigen Jahren ist nun bereits erkennbar dass die Punkte in denen eine gemeinsame Auffassung vorliegt dünner gesäat sind. Die Punkte die es da noch gibt werden nicht nur weniger, sondern auch zunehmend weniger konkret. Auf gut Deutsch: Schwafelpunkte.
Und für die Vorteile die sich aus der Mitgliedschaft ziehen lassen steigt der “Preis”. Mit ein bißchen Absichtserklärung hier, und ein wenig Nachgeben dort ist es vielfach nicht mehr getan.
Im Ergebnis gibt es dann solche Gipfelergebnisse wie jetzt in Bratislava. Es ist nicht der erste Gipfel dieses “Nicht-Kalibers”, und es wird auch nicht der letzte dieser Art bleiben. Dass was die EU der Öffentlichkeit zu verkünden hat wird immer diffuser werden, die Sternstunden immer seltener werden.
Aus der Sicht der EU-Granden ist es geradezu ein Segen, dass gerade die Visegradstaaten so extreme finanzielle Vorteile aus der EU-Mitgliedschaft ziehen. Doch sollten sich die diejenigen innerhalb der EU durchsetzen die sich für eine harte Gangart z.B. gegenüber Polen oder Ungarn einsetzen, würden sich wahrscheinlich weitere Riesengräben auftun. Ich bin überzeugt, dass sowohl Polen als auch Ungarn ihre Mitgliedschaft in der EU sehr schnell in Frage stellen würden, wenn man sie tatsächlich von den EU-Fleischtöpfen abschneidet um politisches “Fehlverhalten” zu sanktionieren. Aus dem Grund dürfte z.B. Asselborn aus dem Kreis der EU-Kollegen auch so wenig Unterstützung erfahren haben.
Die EU ist keine Wertegemeinschaft, und ist es vermutlich auch nie gewesen. Sondern war immer eine Vorteilsgemeinschaft. Daran wäre solange nichts auszusetzen wie man sich dazu bekennt. So wie es ist, ist es allerdings einfach nur ein verlogener Haufen von Bürokraten und Stühleklebern die nicht zugeben wollen dass sie ihren Grenzwert erreicht haben und einstige (unbestreitbar vorhandene) Vorteile sich langsam auflösen.
Bratislava war übrigens ein informeller Gipfel, da ohne die Briten. Logisch wäre es daher gewesen wenn das Schwerpunktthema die Bewältigung der Brexitfolgen gewesen wäre. Dazu gehört für mich ganz wesentlich auch die Frage wie man damit umgeht einen Nettozahler (es gibt insgesamt nur 10, und nur 5 wirklich große) zu verlieren. Immerhin hat GB die Fleischtöpfe der EU mit netto 5 Mrd. € finanziert. Nach DE und FR der drittgrößte Einzahler. Eine profane Frage, sicher. Doch für die 18 Empfängerländer sicherlich eine sehr wichtige. Polens Liebe für die EU würde empfindlich schrumpfen wenn es statt 14 Mrd. € plötzlich nur noch 9 Mrd. bekommen könnte. Oder setzt man Ungarn auf Nulldiät? Dann hätten wir wohl kurz danach den UNXIT. Oder zahlt Deutschland statt 15 Mrd. zukünftig 20 Mrd. ein?
hyperlokal
18. September 2016 @ 19:59
Orban statt Renzi?
Mir graust vor dieser europäischen Kumpanei der deutschen CDU/CSU mit der ungarischen Fidesz, der Polnischen PIS und der türkischen AKP.
Man kann sich schon jetzt ausmalen, dass eine solche europäische Fraktion das sichere Ende der Demokratie in Europa sein wird.
Auch deshalb kann Europa so nicht funktionieren.
Peter Nemschak
18. September 2016 @ 15:33
Die Flüchtlingskrise ist tatsächlich am besten, wenn überhaupt, gesamteuropäisch in den Griff zu bekommen. Die Chancen dafür stehen allerdings schlecht. Deshalb wurde sie aufgeschoben. Die italienische Bankenkrise ist ein italienisches Problem und von Italien durchaus lösbar. Am wichtigsten wäre die italienische Verfassungsreform, die allein Sache der Italiener ist. Der BREXIT wird spannend werden. Bis dahin wird noch viel Wasser der Themse und anderer Flüsse ins Meer fließen. Am Ende wird sich herausstellen, dass es nur Verlierer gibt. Wozu dann das Ganze?
Pique Dame
18. September 2016 @ 14:51
Ich geh mal davon aus, dass ich – als vormals wirklich glühende EU-Befürworterin – nicht die Einzige bin, die von diesem Affenzirkus die Schnauze gestrichen voll hat. Ich kann sie nicht mehr sehen, diese verlogenen Pressekonferenzen, wo man jedes Mal mit einem neuen Terminus um die Ecke kommt, der die tiefe Spaltung vertuschen soll: diesmal “flexible Solidarität”. OMG.
Ich bin wirklich froh, dass Renzi auf erfrischende Weise endlich mal Tacheles geredet hat. Konsequenzen?
Ich kann sie auch schon lange nicht mehr sehen, die selbsternannte Königin von Europa, die sich offenbar an ihrer Leader-Rolle aufgeilt, ohne zu merken, dass unter und wegen ihr der ganze Verein zerbröselt; wenn diese blutleere Technokratin dann in der PK hockt und glaubt, uns mit ihren müden Augen einen “Reset” verkaufen zu können. Ich bin ja eigentlich Anhängerin des Modells Guérot, aber solange Gestalten wie Juncker, Schulz und Merkel die Richtung angeben, bleibt das pure Utopie.
Bratislava hat mir wirklich keinen Reset, sondern den Rest gegeben. In meinen Augen ist das EU-Projekt endgültig gescheitert. Danke Merkel.
duodecim stellae (@12stellae)
18. September 2016 @ 18:08
Punkt 1: Merkel muss weg!!!
Punkt 2: Juncker und Schulz hier verantwortlich zu machen ist lächerlich! Wer setzt sich seit Jahren für eine nachhaltige Lösung der Eurokrise ein? Präsidenten Juncker und Schulz! Wer setzt sich für eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas ein? Juncker und Schulz! Wer wird permanent durch die nationalen Staatshampelmänner und -Frauen im Europäischen Rat ignoriert, ausgebremst und übergangen? Juncker und Schulz! Also bitte mal nicht die falschen beschuldigen!
Pique Dame
18. September 2016 @ 20:28
Allein die Tatsache, dass Juncker und Schulz Merkel machen lassen(z.B. dass sie alle 2 Wochen ein neues Format kreiert, wobei sie immer die vergrault, die nicht dabei sind), die Tatsache, dass die Herren ihre Führungsrolle verweigern und Merkel/Schäuble das Feld überlassen, rechtfertigt imo meine Kritik. Sie stehen für die undemokratischen Strukturen, für den Neoliberalismus und für alles, was an Europa sonst noch nervt. Mit diesen Leuten ist kein Neuanfang zu machen.
Pique Dame
18. September 2016 @ 20:35
Ergänzung: Ich gehöre übrigens nicht zu denen, die Merkel ihren Anfall von Humanismus von vor einem Jahr vorwerfen. Überhaupt nicht. Aber auch hier hat sie wieder ein selbstherrliches Solo abgeliefert. Es wäre besser gewesen, sie hätte das in der EU abgesprochen. Kein Wunder, dass die jetzt alle mauern, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Dass die Herren Juncker und Schulz eine besondere Rolle in Sachen Flüchtlingen gespielt hätten, ist mir wohl entgangen.
Peter Nemschak
18. September 2016 @ 20:47
Merkels Abgang würde an der Aufteilungsunwilligkeit mancher Mitgliedsstaaten nichts ändern. Nach 25 Jahren Globalisierung wollen die Bürger nicht nur in Europa wieder das Nationale, Kleinteilige. Wir werden uns daran gewöhnen und entsprechend einrichten müssen. Unwahrscheinlich, dass sich die EU auflöst, weil die wirtschaftlichen Vorteile und Verflechtungen die Nachteile überwiegen. Das wissen auch jene, welche den BREXIT verhandeln werden. Große europäische Visionen waren das Ergebnis großer Katastrophen. Diese sind uns in Europa in den letzten 70 Jahren zum Glück erspart geblieben. Das mögen die glühend Enttäuschten bedenken.
Anonymous
21. September 2016 @ 13:10
@Peter Nemschak machen sie sich keine Sorgen. Die großen Katastrophen rasen geradewegs auf uns zu: Globale Demographie, Neofaschismus: Putin, Trump, Erdogan, Orban… Kollaps des globalen Finanzsystem steht unmittelbar bevor. Der Euro wird es in der From wie er zur Zeit beschaffen ist nicht überleben und die EU auch nicht. Fangen sie schon mal mit Hamsterkäufen an und besorgen sich Waffen. Vielleicht werden die Europäer in 2 bis drei Generationen, nach genug Blut, Schweiß und Tränen, wieder empfänglich für Vernunft sein.
Vielleicht entdeckt ein Wanderer ein halb verrottetes Exemplar von “Warum Europa eine Republik werden muss!” von Ulrike Guérot im trockenen, atomar verseuchten Sand der Norddeutschen Tiefebene und liest sich fasziniert in diese andere Welt hinein. Für wie blöd muss er seine Vorfahren halten, dass sie so einen vernünftigen Fahrplan für die Zukunft hatten und alles weg warfen aus purer Dummheit.
@Pique Dame , ich weiß Juncker- und Schulz-bashing sind zur Zeit voll en vogue im linken Spektrum (leider auch bei Frau Guérot). Wenn sie nicht wissen, dass Juncker sich für vernünftige europäische Lösungen in der Flüchtlingskrise einsetzte, könnte es daran liegen, dass sie sich schlecht informieren. Es ist aber zugegeben schwer sich über die Europäische Union gut zu informieren, da die Nationalen Staus Quo Medien immer einseitig berichten. Hier mal eine Priese Realität: http://www.treffpunkteuropa.de/europa-kann-mehr-tun